Der Energieatlas als Werkzeugkasten zur Neugestaltung gesellschaftlicher Wirklichkeit
„Der Wandel zum erneuerbaren Energiesystem löst eine soziale Debatte aus. Diese Debatte betrifft die kulturelle Identität von Lebensräumen der Menschen. Es ist eine Debatte, die das Verhältnis von Stadt und ländlichem Raum neu definiert; eine Debatte, die tief in die gesellschaftliche Wirklichkeit eingreift.“ Robert Habeck, 01/2022
Der Energieatlas soll unterstützen, die Hoheit bei der Gestaltung von lokalen und sicheren Energiekreisläufen in Gebäuden und Wohnquartieren, auf gewerblichen und industriellen Flächen sowie in den Städten und Gemeinden zu übernehmen.
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort: Was ist Energie?
- Energieatlas
- Ursache von Energie
- Fundamente aller Energiequellen
- Energiequellen im Zeitenwandel
- Nachhaltigkeit und der Blick in die Vergangenheit (Energiequellen im Zeitenwandel — Teil 1)
- Entstehen, Existenz und Vergehen der Sterne als Energiequellen (Energiequellen der Gegenwart)
- Neue Möglichkeiten am Horizont und die Zukunft ist offen
- Erneuerbare Energie im Überblick
- Direkte Nutzung der Sonnenstrahlung
- Bewegungsenergie des Windes
- Bewegungsenergie und chemische Energie von Meerwasser
- Bewegungsenergie von Fließwasser
- Wärmeenergie der Erdkruste
- Chemische Energie der Biomasse
- Fortsetzung folgt …
Wie gelangt der Strom in die Steckdose
Das Vorwort „Was ist Energie“ startete mit dem Slogan: „Der Strom kommt aus der Steckdose“. Die entscheidene Frage lautet aber: Wie kommt der Strom in die Steckdose?
Die Art der Bereitstellung von Strom ändert sich grundlegend. Die technische Umsetzung von Energiegewinnung, Energiespeicherung, die Verbindung von Elektrizitäts‑, Wärme- und Gasnetzen sowie Maßnahmen zur Klimafolgenanpassung, Gebäudemodernisierung und zur Steigerung der Energieeffizienz verlagern sich zunehmend in Städte und Gemeinden. Dies bietet Möglichkeiten zu lokaler Wertschöpfung, zur selbstverantwortlichen Umsetzung von Energiekonzepten bis in die Wohngebäude sowie zur Bildung von Energiegemeinschaften.
Der Wandel zum nachhaltigen Energiesystem auf Basis erneuerbarer Energien besitzt also nicht nur eine technische Dimension. Bundesminister Robert Habeck sagte dazu im Januar 2022 auf einer Bundespressekonferenz. „Der Wandel löst eine soziale Debatte aus. Diese Debatte betrifft die kulturelle Identität von Lebensräumen der Menschen. Es ist eine Debatte, die das Verhältnis von Stadt und ländlichem Raum neu definiert; eine Debatte, die tief in die gesellschaftliche Wirklichkeit eingreift.“
Um diese Debatte zu führen, benötigen alle Akteure der Gesellschaft ein tieferes Verständnis für Energie als Grundlage allen Seins, für durch Natur und Technologie anzapfbare Energiequellen sowie für die verschiedenen Formen der Energieumwandlung bis zur Nutzung von Energie in der Gesellschaft. Der Energieatlas soll dazu beitragen, dieses Verständnis zu verbessern. Er stellt eine gemeinsame Sprache und bildliche Symbolik bereit.
Fluss der Energie
Energie ist kein anfassbares Ding. Mit dem Begriff Energie wird eine Fähigkeit beschrieben, die Fähigkeit Arbeit zu verrichten. Energie bringt etwas in Gang, wobei sich die Energieart ändert. Sie lässt sich eher als Fluss beschreiben, der etwas mit sich trägt. Ein Fluss besitzt eine Quelle, wobei eine Quelle der Ursprung von etwas Bestimmten, von Flüssen, von Primärmaterialien oder von Information ist. Der Energieatlas konzentriert sich auf Energiequellen, aber auch auf damit verbundene stoffliche Flüsse und die Flüsse von Information.
Die Energiegewinnung unserer Gesellschaft beruht bezüglich erneuerbarer Energie bisher auf der Nutzung von vier Primärenergiequellen. Dies betrifft den Wasserstoff der Sonne, die wechselnde Masseverteilung des Erde-Mond-Systems, die Masse der Erde und die radioaktiven Bestandteile im Erdkern. Diese Quellen beruhen also auf zwei der vier in der Physik bekannten Wechselwirkungen; der als starke Wechselwirkung bekannten Kernkraft und der Gravitation. Die vier genannten Ursprünge von Primärenergie beliefern wiederum verschiedene Verfahren zur Energiewandlung und zur Bereitstellung von Energie für Folgeprozesse. Später wird diese Aussage begründet, wobei auch ein Ausblick auf mögliche Kandidaten für zusätzliche Energiequellen erfolgt.
Zuerst sind aber noch die notwendigen Schritte zu klären, um aus der Primärenergiequelle die Energie in der benötigten nutzbaren Form zu gewinnen. Die der Quelle entspringende primäre Grundlage muss in der Regel mit natürlichen oder technologischen Verfahren extrahiert sowie in eine wirksame Form gebracht und weitergeleitet werden. Als Ergebnis steht Primärenergie zur Verarbeitung bereit.
Die Art dieser Energie ist in der Regel noch nicht zur direkten Nutzung in der Lebens- und Arbeitswelt der Menschen geeignet. Menschen können chemische Energie der Lebensmittel im Körper verarbeiten. Mit Pflanzenöl lässt sich eventuell auch ein Auto betreiben, aber nicht der Computer, mit dem diese Abhandlung geschrieben wird. Die bereitgestellte Primärenergie muss somit in eine geeignete Form umgewandelt werden, zum Beispiel in Elektrizität. Diese Energieform liefert den der Steckdose entnehmbaren Strom. Die dafür notwendigen Einrichtungen nennen wir Generatoren oder Wandler. Der Generator liefert die benötigte Energieform als Endenergie. Dieser Vorgang kann mehrere Zwischenschritte beinhalten. Die von Zwischenschritten gelieferte Energie nennt der Techniker gern auch Sekundärenergie. Doch sollte dies nicht verwirren, denn Energie besteht nur in Form verschiedener Energiearten mit unterschiedlicher Nutzbarkeit.
Schlussendlich wird die bereitgestellte Endenergie zum Betrieb verschiedener Einrichtungen, Anlagen und Geräte menschlicher Lebens- und Arbeitswelten eingesetzt. Als Nutzenergie steht sie am Ende der Kette den Energiesenken zur Verfügung. Sie bringt Leuchten in Gebäuden und auf Straßen zum Strahlen, sorgt mit Bewegungsenergie der Fahrzeuge für Mobilität oder betreibt Haushaltsgeräte und Maschinen. Eine weitere Nutzungsmöglichkeit besteht darin, Energie zur späteren Verwendung in Speichern aufzubewahren. Dies lässt sich zum Beispiel mit einer Batterie durch Speicherung elektro-chemischer Energie umsetzen.
Prozess der Energietransformation sowie Energiezyklen
Die beschriebenen Prozessschritte zur Energietransformation bilden eine Kette von der Energiequelle bis zur Nutzung. Dabei kann die bereitgestellte Nutzenergie auch gespeichert werden und somit als potenzielle Quelle für einen weiteren Ablauf dienen. Der Prozess formt einen Energiekreislauf, der zu einer beliebigen Anzahl von Zyklen verkettet werden kann. Jeder einzelne Zyklus setzt sich aus den beschriebenen sechs Schritten zusammen:
- Energiequelle zur Bereitstellung von Energie
- Verfahren zur Extraktion und Weiterleitung
- Primärenergie
- Generator / Wandler
- Endenergie
- Energiesenke zum Einsatz und zur Speicherung von Nutzenergie
Wir sprachen schon darüber, dass Energie weder erzeugt werden noch verloren gehen kann. Energie wird immer nur umgewandelt. Mehrere dieser Transformationsprozesse lassen sich als wiederholte Zyklen aneinanderreihen. Natürlich entsteht damit kein Perpetuum mobile. Die Energie bleibt zwar bestehen, aber die Nutzungsmöglichkeit von Energie, ihre Verfügbarkeit, verringert sich bei jedem weiteren Zyklus. Gleichzeitig wird der Grad nicht mehr verfügbarer Energie erhöht. Dieser nicht nutzbare Teil wird Entropie genannt. Bitte haben sie bis zur Klärung dieses Begriffes in späteren Kapiteln noch ein wenig Geduld. Somit verändert sich die Energieart in zyklischen Prozessen eher in Form einer Spirale, die Energie mit hoher Verfügbarkeit zu geringer Nutzbarkeit wandelt. Die Effizienz der Verbindung mehrerer Zyklen der Energietransformation ist somit danach zu bewerten, wie der Grad der Entropiesteigerung, also der Grad nicht mehr nutzbarer Energie, anwächst.
Energieatlas
Die Aufgabe besteht darin, effiziente Energieprozesse mit minimaler Energieentwertung für verschiedene Einsatzfälle zu gestalten und zu bewerten. Dazu nutzen wir die sechs Schritte zur Beschreibung eines Energiezyklus. Zur Veranschaulichung dienen grafische Basiselemente. Der darauf basierende Energieatlas dient dem Überblick zur Vielzahl verschiedener Energiequellen, Extraktionsverfahren von Primärenergie, Primärenergiearten, Generatoren zur Wandlung zwischen Endenergiearten sowie zu deren Anwendung in verschiedenen Lebens- und Arbeitswelten als Energielandschaften.
Der Atlas umfasst Designelemente zur Gestaltung autonomer Energiesysteme für Gebäude, Areale, Städte und Regionen in Interaktion mit der Umwelt. Er unterstützt die Konfiguration von Energiezyklen entsprechend den lokalen Bedingungen und Bedürfnissen der Anwender. Folgende Abbildung ordnet zuerst den sechs Schritten des Energiezyklus grafische Symbolkategorien zu.
Abbildung: Symboltypen
In den nächsten Kapiteln werden zum Design von Energielösungen in Gebäuden und Quartieren, auf gewerblichen und industriellen Arealen, in Städten, Gemeinden und ländlichen Raumen auf Basis erneuerbarer Energiequellen weitere grafische Elemente eingeführt. Beispielhafte Energiekonzepte nehmen dabei stets Bezug auf diese Darstellung des Energiezyklus. Der Kreislauf wird entsprechend obiger Abbildung in drei Phasen gegliedert.
Die Extraktionsphase beschreibt die Gewinnung und Weiterleitung von Primärenergie aus einer Energiequelle.
In der Bereitstellungsphase übernimmt ein Generator oder Wandler die Konvertierung der Primärenergie in benötigte Endenergie sowie deren Weiterleitung zur Nutzung.
Die Nutzungsphase ermöglicht den Einsatz von Endenergie sowie die Energieaufnahme in Speichern, um die zeitverzögerte Verwendung oder den Energieeinsatz in weiteren Zyklen zu ermöglichen.
Zuerst starten wir mit der Beschreibung von Energiequellen und den Möglichkeiten zur Extraktion von Primärenergie. Dazu kehren wir noch einmal zur Frage zurück, was Energie im Kern eigentlich ist. Die Suche nach Antworten führt zu zwei neuen Fragen.
Worin besteht die eigentliche Ursache von Energie und auf welchen fundamentalen Ursachen basieren alle Energiequellen?
Auf dieser Grundlage startet in den nächsten Kapiteln die Suche nach Wegen zur Extraktion von Primärenergie sowie die Beschreibung darauf basierender Möglichkeiten zur Umsetzung von Energiezyklen.
Quellen:
Kießling, Andreas (Hrsg.).; Hartmann, Gunnar. Energie zyklisch denken. 136 S. 2. Auflage: Januar 2019. Paperback, ISBN: 978–3‑7469–7427‑9. Hardcover, ISBN: 978–3‑7469–7428‑6. E‑Book, ISBN: 978–3‑7469–7429‑3. Hamburg, tredition GmbH. https://amzn.to/3vUDaQw
Andreas Kießling, energy design, Leimen / Heidelberg — 09. Mai 2022