Der Weg zum Smart Grids BW e.V.
Mit dem Smart Grids BW e.V. bietet sich die Chance, im großflächigen Maßstab ein Schaufenster für das intelligente Energiesystem mit hohem Anteil dezentraler Aktivitäten auf Basis erneuerbare Energien durch die Menschen, Institutionen und Firmen des Landes selbst zu gestalten und zu leben. Dabei entstehen bereits heute Gemeinschaften, Kooperationen und Beziehungen zwischen Partnern, die die Grundlage für den weiteren Erfolg der Plattform mit breiter Beteiligung legen.
Baden-Württemberg kann beim Thema Smart Grids Vorreiter in Deutschland sein, aber auch die zukünftige Exportkraft des Landes stärken.
Auf folgende Weise näherte sich die Projektgruppe Technologie innerhalb des Smart Grids BW e.V. der Aufgabe, die Verbindung von Technologien zu beschreiben, die die Energiewende am erfolgreichsten voranbringen kann.
Nach der Auftaktveranstaltung der Smart Grids Plattform und einem ersten Workshop, wo es insbesondere um die Ideensammlung sowie die Statusfeststellung ging, diskutierte die Gruppe am 24. April 2013 Szenarien für das zukünftige Energiesystem, da technologische Empfehlungen abhängig vom prognostizierten Szenario zu treffen sind. Der Workshop am 12. Juni widmete sich dann den verschiedenen Schlüssentechnologien und der Betrachtung ihrer Reifegrade. Am 17. Juli diente der vierte Workshop einerseits der Roadmap-Diskussion, aber insbesondere auch der weiteren Konzipierung eines Rahmenprojektes zur Entwicklung einer Pilotzone Baden-Württemberg als Schaufenster für Umsetzungsmöglichkeiten. Während einer Sondersitzung im August wurde dieses Thema weiter geführt.
Die drei Themen unter den Überschriften Zukunftsszenario, Schlüsseltechnologien und Pilotzone Baden-Württemberg werden als Highlights in der Projektgruppe nachfolgend ausgeführt.
Zukunftsszenario
Das Zukunftsszenario als Ausgangspunkt für die technologischen Empfehlungen wurde umfänglich diskutiert. Hier stand im Mittelpunkt die Frage, ob das zukünftige Energiesystem weiterhin auf Basis vorrangig zentraler Erzeugungskapazitäten sowie der alleinigen zentralen Systemverantwortung besteht oder sich durch einen wachsenden Grad dezentraler Erzeugung mit neuen Markt- und Netzmechanismen auszeichnet.
Mehrheitlich plädierte die Arbeitsgruppe für das Szenario hoher Anteile dezentraler Erzeugung, die eine enge Einbindung des Prosumenten und deren Liegenschaften in Markt- und Netzmechanismen erfordert. Aber ebenso wird Zentralität und Dezentralität nicht als Gegensatz gesehen, sondern die notwendige Verbindung beider Trends durch neue Abstimmungsmechanismen gefordert.
Das Zukunftsszenario wurde mit folgenden Punkten beschrieben.
1. Die Energiewende bietet vielfältige Chancen für Bürger, Kommunen, Stadtwerke und mittelständische Unternehmen zu regionalen Investitionen, die die Wirtschaftskraft der Regionen erhöhen.
2. Zu beobachten sind parallel die Trends zu lastferner Erzeugung im europäischen Verbund sowie die Entfaltung vielfältiger dezentraler Aktivitäten.
3. Klare Regeln zur Interaktion zwischen lokalen und übergeordneten Strukturen sind deshalb notwendigerweise festzulegen.
4. Vielfältige Flexibilitäten zur Lösung aller Anforderungen werden benötigt, die von Last- und Erzeugungssteuerung, über verschiedene Speichertechnologien, Importe und Exporte zwischen Netzgebieten bis zur Steuerung im Spartenverbund (Strom / Wärme / Gas / Verkehr) reichen.
5. Dafür werden Smart Grids als Basisinfrastruktur für smarte Netzoperationen sowie smarte Marktfunktionen benötigt.
6. Die regionale Autonomie als Beitrag für Versorgungssicherheit im Falle von Netzausfällen, ein regionaler Ausgleich zur Netzausbauoptimierung sowie die hierarchische Abstimmung im zellularen Netzverbund (SG cells im Rahmenprojekt) ist auszuprägen.
7. Erste Geschäftsmodelle (SG sells im Rahmenprojekt) wurden in der Projektgruppe Geschäftsmodelle identifiziert, um die Demonstration zukünftiger Funktionen auf der Basis von Smart Grids vornehmen zu können.
Schlüsseltechnologien
Die Auswahl der Schlüsseltechnologien für dieses Umsetzungsszenario erfolgte im Hinblick auf die energiepolitischen Ziele für erneuerbare Energien und höhere Energieeffizienz.
Technologien sind zuerst hinsichtlich der Energieflüsse mit Techniken zur Gewinnung und Speicherung von Energie in den Bereichen Elektrizität, Wärme und Gas zu definieren. Für deren sinnvollen Einsatz in unterschiedlichen Lebensräumen ist das Wissen um die verschiedensten Potentiale notwendig, worauf später bei der Betrachtung des Informationssystems eingegangen wird. Verschiedenste Technologien nutzen die angebotene Energie. Bei der Flexibilisierung im zukünftigen fluktuierenden, erneuerbaren Energiesystem spielen Technologien bestimmter Lastschwerpunkte eine wichtige Rolle (z.B. Wärmepumpen und Elektromobilität). Neue Netztechnologien besonders im Bereich der Nieder- und Mittelspannungsnetze, wie intelligente Trafostationen, dienen der Beherrschung der dezentralen Erzeugung. Die schon angesprochenen smarten Netzoperationen sowie smarten Marktfunktionen benötigen die kommunikationstechnischer Vernetzung von Erzeugung, Speicherung und Verbrauch sowie von Netzführungstechnologien insbesondere unter Integration der Liegenschaften der Netznutzer.
Die Überwachung und Regelung dieses hochgradig vernetzten und fluktuierenden Energiesystems erfolgt mittels zunehmender Ausstattung mit Informations- und Automationstechnologie. Dazu gehören Mess- und Stelleinrichtungen, automatisierte Energiemanager, Energieinformationssysteme wie Potentialkataster und Anlagenregister, Leitsysteme, aber auch neu einzuführende vorausschauende Prognosesysteme.
Vielfältige Schlüsseltechnologien stehen also bereit, bedürfen aber noch gemeinsamer Kraftanstrengungen zur breiten Einführung, einen angepassten Rahmen und die Vernetzung durch Smart Grids als Basisinfrastruktur.
Digitalisierung als Schlüsseltechnologie der Energiewende
Die beschriebene Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) stellt die Vermittlungsebene zwischen der Physik und dem darauf basierenden Vermittlungssystem (Markt) dar.
Auf der ersten Schicht — der physikalischen Ebene — wird die Unterteilung in drei Domänen der Netzinfrastruktur in Hoch- und Höchstspannung, Mittelspannung sowie Niederspannung vorgenommen, wobei in diesen Domänen unterschiedliche große Erzeugungsanlagen und Energienutzer angesiedelt sind. Hier ergeben sich insbesondere Baustellen im Niederspannungsbereich auf Grundlage der zunehmenden dezentralen Erzeugung.
Die IKT bildet die vermittelnde Schicht, wobei Kommunikation, Informationsverarbeitung sowie Regelung heute vorrangig im Hoch- und Höchstspannungsbereich sowie Mittelspannungsbereich erfolgt. Neue Anforderungen ergeben sich teilweise im Mittelspannungsbereich sowie besonders im Niederspannungsbereich. Die IKT vermittelt zwischen den technologischen Herausforderungen von Vernetzung und Informationsverarbeitung auf der einen und den dynamischen Veränderungen von Marktbeziehungen und Regeln auf der anderen Seite.
Sie liefert im zukünftig dynamischeren Umfeld eines Systems mit vorrangig erneuerbaren Energien die Werkzeuge für die Beherrschung und Steuerung des Wandels und kann dafür notwendige Gestaltungsspielräume für Wirtschaft, Gesellschaft und Politik eröffnen.
Die dritte Schicht wird durch die Märkte gebildet, wobei diese Märkte heute vorrangig durch den Großhandelsmarkt zur Vermittlung von Energiemengen und vom Regelenergiemarkt geprägt sind. Zukünftig wird ein neues Marktdesign benötigt, mit dem die Vermittlung von Flexibilitäten (z.B. Leistungsanpassungen, Lastverschiebung) für Markt- und Netzbedarfe, das Handeln mit Systemdienstleistungen bis in den Niederspannungsbereich, das Bereitstellen von Kapazitäten für Erzeuger, Speicher und Verbraucher wirtschaftlich wird. Hierbei werden auch neue regionale Mechanismen benötigt.
Pilotzone
Den dritten Kern der Betrachtungen in der Projektgruppe Technologie des Smart Grids BW e.V. stellte die Skizzierung eines Rahmenprojektes unter der Bezeichnung SG c/sells (wobei cells für Netze, sells für Märkte steht) als Pilotzone Baden-Württemberg dar, in der die Erfahrungen aus dem E‑Energy-Projekten (Meregio und moma) genutzt werden können.
Entsprechend den oben ausgeführten drei Schichten des Energiesystems soll die Architektur des Rahmenprojektes folgendermaßen gestaltet werden.
Die physikalische Struktur befindet sich verteilt in der Gesamtfläche des Landes Baden-Württemberg. Sie wird durch das sogenannte Produktionsnetz aus Anlagen und Energienetzwerken symbolisiert, die einerseits Subsidiariät ermöglichen, aber anderseits Verbundenheit im Land und Europa gewährleisten. Wir sprechen hier von einem zellularen Verbund. Das Produktionsnetz wird auf der zweiten Schicht von einem Informationsnetz überlagert, das das notwendige Energieinformationssystem sowie die automatisierte Regelung bis zur Liegenschaft ermöglicht.
Folgende Betrachtung ist Ausgangspunkt der gewählten Architektur.
Die zunehmende Komplexität im Energiesystem resultiert aus der dezentralen Vielfalt, der Vernetzung bis in die Niederspannung sowie neuen Organisationsformen und daraus resultierenden neuen Prozessen. Systemexperten zerlegen ein zentral geführtes System ab einem nicht mehr zu beherrschenden Grad an Komplexität in ein System aus Systemen. Dies bedeutet die Zerlegung des zentral geregelten Energiesystems in verbundene Regelkreise mit dezentralen und verteilten Strukturen mit definierten Regeln zur Interaktion mit anderen Systemen.
Die Verbundenheit im Gesamtsystem auf Basis dieser Regeln wird durch ein Energieinformations- und Optimierungssystem zur Vermittlung zwischen Systemen und zugehörigen Markt- und Netzfunktionen ermöglicht. Das Energieinformationssystem umfasst dabei planerische Informationen für Potentiale der Erzeugung, Speicherung, des Verbrauches in Katastern, während ein Register Informationen über installierte Anlagen beinhaltet.
Für das Rahmenprojekt wurde hierzu ein Abstimmungsmodell definiert. Die energetische und monetäre Optimierung erfolgt bidirektional unter Berücksichtigung der Anforderung unterschiedlicher Handlungsebenen. Die Gliederung kann dabei folgendermaßen beschrieben werden.
1. Dezentrale Erzeuger, Verbraucher und Speicher in Liegenschaften der Prosumenten und in Arealnetzen werden – wo möglich – durch ein dezentrales Energiemanagement optimiert geführt. Im Störungsfalle übergeordneter Netze können diese Zellen als Microgrid betrieben werden, was das Gesamtsystem weniger verletzlich und widerstandsfähiger macht. Notwendige Datenmengen aus den Liegenschaften können minimiert werden.
2. Regelbare Trafostationen in Netzzellen als Bereiche im Verteilungsnetz gewährleisten die Regelung im Umfeld vielfältiger dezentraler Erzeugung und entlasten die Leitwarten von zu hohen Datenmengen.
3. Leitwarten mit Steuer- und Prognosesystemen in Verteilungsnetzen können zunehmend vorausschauend agieren und können somit den Markt bei vorhergesehenen Netzproblemen einbeziehen.
4. Das Transportnetz stellt die höchste Optimierungsebene dar.
Den Nutzen der beschriebenen Pilotzone, die es im Rahmenprojekt zu gestalten gilt, sieht die Projektgruppe in folgenden Punkten.
Grundsätzlich ist das bisherige Partikularwissen aus Forschungsprojekten (z.B. E‑Energy) und von neuen Technologien in eine flächenhafte Implementierung zu überführen und zu einer funktionsfähigen Smart Grids-Region zu verbinden.
Mit der Entfaltung von Kommunikations- und Informationstechnologien im Smart Grid wird die Basis für neue Geschäftsmodelle in Netz und Markt demonstriert und über den Wissenstransfer mittels der Smart Grids Plattform BW e.V. i.G. zügig in die breite Praxis eingeführt.
Die Erfahrungen aus einer großflächigen Pilotzone werden dokumentiert und breiten Akteurskreisen zur Verfügung gestellt. Mit der Bewertung dieses Wissens zeigen die Ergebnisse des Rahmenprojektes die technologische Machbarkeit des zellularen, auf Erneuerbaren basierenden Energiesystems sowie noch benötigte Innovationsbedarfe auf.
Mit der Feststellung der Übertragbarkeit auf andere Regionen werden weitere Handlungsbedarfe zur Gestaltung von Rahmenbedingungen adressiert.
Die Pilotzone Baden-Württemberg wird von den Menschen, Institutionen und Firmen selbst gestaltet und gelebt, wobei bereits heute Gemeinschaften, Kooperationen und Beziehungen zwischen Partnern entstehen, die sich bisher eher aus dem Weg gegangen sind. Hier kann als Beispiel die zunehmende Zusammenarbeit von Haushaltsgeräteherstellern, IKT-Unternehmen, Gebäudeausstattern und Energiedienstleistern genannt werden. Diese Zweckgemeinschaft entwickelte sich aus der Notwendigkeit der Definition neuer, gemeinsamer und interoperabler Prozesse.
Nicht zuletzt entsteht im Rahmen des Smart Grids BW e.V. mit SG c/sells erstmals ein flächendeckendes, im Feld getestetes Smart Grids-Schaufenster, das einerseits in den nationalen Kontext des Mitte September 2013 durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie veröffentlichten Förderwettbewerb “Schaufenster Intelligente Energie” eingeordnet, aber auch die zukünftige Exportkraft des Landes Baden-Württemberg als Wissensträger stärken kann.