Zellularer Ansatz im Smart Grid-Projekt moma
Über das E‑Energy-Projekt moma zu sprechen, heißt über die notwendige Grundsatzentscheidung zur Energiewende, über die zellulare Netzarchitektur zur Gewährleistung von regionalen Konzepten und überregionalen Verbundsystemen sowie über die Bedeutung der Stadtwerke bei der Gestaltung intelligenter Städte unter aktiver Teilhabe der Prosumenten (Doppelfunktion von Produzenten und Konsumenten) zu sprechen.
Start der Smart Grid-Entwicklung in Deutschland mit E‑Energy
Zum Start des E‑Energy-Vorhabens im Jahre 2008 waren die euopäischen und nationalen Vorgaben zur Ressourcenschonung und einer klimaverträglichen Energiewirtschaft durch den Einsatz erneuerbarer Energieträger Ausgangspunkt der Überlegungen. Die damit verbundene, schwankendere Energiegewinnung und neue verbrauchsferne Erzeugungskapazitäten stellten Anforderungen an den Netzausbau sowie an die Erzeugungs- und Verbrauchssteuerung, aber auch die Speicherung von Energie. Dabei gilt es, das Optimum zwischen Netzausbau und neuen Markt- und Netzmechanismen auf der Grundlage von Informations- und Kommunikationstechnologie zu finden.
Dezentrale Energiewende
Mit dem seit 2010 stark wachsenden Anteil an dezentraler Erzeugung (Beispiel Photovoltaik) in den Verteilungsnetzen, Netzrückkäufen durch die Gemeinden sowie mit regionalen und lokalen Energiekonzepten in den Bundesländern, den Regionen und Kommunen aber auch bei den Bürgern und Unternehmen in Verbindung mit ihren Liegenschaften wuchs die Erkenntnis, dass im Kern auch die Fragestellung zu beantworten ist, wo die Energiewende stattfindet. Die offizielle Referenz für die Energiewende blieb aber das zentral orientierte Energiekonzept der Bundesregierung aus dem Jahre 2010, das eine vorrangige Energiegewinnung in Nord- und Ostsee sowie den damit verbundenem Energietransport von Nord nach Süd ergänzt um den Ausbau der Übertragungsnetze vorsieht.
Ein oft gehörtes Argument zugunsten regionaler Konzepte unterstreicht den eventuell verringerten Netzausbau, wobei es sich hier um eine schwer bezifferbare Einschätzung handelt. Es gibt aber viele Gründe für eine komplexere, sozioökonomische Betrachtung, um den gesellschaftlichen und ökonomischen Zusammenhang herzustellen, wenn es darum geht, mit den Regionen und Kommunen sowie den Unternehmen und den Bürgern alle Interessenträger für die ökologischen und energiepolitischen Ziele der Energiewende zu aktivieren und damit Chancen statt nur Notwendigkeiten zu betonen. Hier gilt es auch, den Vorteil der Diversifizierung der Energieangebote zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit gegenüber zentralen, angreifbaren Systemen abzuwägen, die wiederum eventuell effizienter im Meer und in Nordafrika Energie gewinnen.
Akzeptanz und Partizipation
Eine sozioökonomische Betrachtung versteht zusätzlich, dass Akzeptanz für den Änderungsprozess bezüglich der Landschaftsentwicklung durch neue Energietechnologien und der informationstechnischen Vernetzung des Energiesystems nicht allein mit einer Aufklärungsoffensive zur Darstellung der Notwendigkeiten und einer weiter zentral aufgestellten Energiegewinnung mit einseitiger Verteilung der wirtschaftlichen Chancen zu erreichen ist. Akzeptanz entsteht durch Teilhabe, und Teilhabe entwickelt Prosumenten im Energiesystem mit neuen Formen regionaler Raum- und Gebäudeentwicklung auf Grundlage einer kommunikativen Verbindung bis zu den Anlagen und Geräten in den Gebäuden und industriellen Anwesen. Es ist also die gesellschaftliche Grundsatzentscheidung zu treffen, wie zentral oder dezentral Energiekreisläufe zukünftig funktionieren. Im Fall der Beförderung regionaler und lokaler Energiekreisläufe besteht die umfassende Aufgabe darin, zentral und dezentral erzeugte Energie in den Verbund des nationalen und europäischen Energiekreislaufes zu integrieren sowie Energieeffizienz auf allen Handlungsebenen zu erhöhen. Sowohl Eigenständigkeit und Verschiedenheit im lokalen Handeln mit selbst gestalteten Energiekonzepten sind zu unterstützen als auch Verbundenheit im globalen Denken zu befördern.
Um die damit verbundenen Herausforderungen zu beherrschen sind vielfältige Flexibilitäten integrierter Energiesysteme aus Strom, Gas und Wärme unter Partizipation der Kunden zu erschließen. Die anstehende Gestaltung des neuen Marktdesigns für das Stromsystem auf der Grundlage von Flexibilitäten sowie der notwendigen regulatorischen Rahmenbedingungen kann nur dann konsistent und zielorientiert vorgenommen werden, wenn die Grundsatzentscheidung getroffen wurde. Dabei besteht das Ziel nicht darin, autarke, nebeneinander existierende Energiekreisläufe zu entwickeln. Diese Form des Individualismus führt zu verringerter Versorgungssicherheit, da ausgleichende Effekte zwischen großen Energieverbünden verloren gehen. Der Netzverbund sowie der europäische Energiemarkt sind zu erhalten, aber mit regionalen Mechanismen, Produkten und Verantwortlichkeiten zu unterlegen.
Zellulare Architektur
Das E‑Energy-Projekt Modellstadt Mannheim (moma) stellte sich der Herausforderung, erste Schritte auf dem Weg zu einem überregionalen Energieverbundsystem unter Einführung regionaler Konzepte zu gehen, um die notwendigen wissenschaftlichen Arbeiten für diese Grundsatzentscheidung zu aktivieren. Dafür wurde im Projekt moma eine zellulare Architektur des Energiesystems entwickelt. Die Energiezellen bilden einerseits Gebäude, Stadtteile, Kommunen und Regionen mit selbstoptimierenden Energiekreisläufen, die anderseits regional und in hierarchischer Weise auch überregional miteinander verbunden sind und somit eine Art Energieorganismus bilden. So lassen sich regionale Interessen für eigenständige Chancen in der energiewirtschaftlichen Wertschöpfung, Versorgungssicherheit und Informationssicherheit durch diversifizierte Strukturen sowie Datenschutz und Minimierung der Datenflüsse zu übergeordneten, zentralen Strukturen verbinden.
Inhaber von Gebäuden, Unternehmen, Städte und Regionen entwickeln sich somit zu Prosumenten, die durch ein passendes Marktdesign zum gemeinsamen Handeln in einem Energieverbund angeregt werden. Übertragungsnetzbetreiber werden in ihrer Verantwortung für das Gesamtsystem von Verteilungsnetzbetreibern unterstützt, wobei in Verteilungsnetzen wiederum die Einbeziehung von Liegenschaften in Abstimmungsprozesse erfolgt. In dieser Interaktion von Prosumenten untereinander werden weiterhin neue regionale Energiemechanismen bei gleichzeitiger Einordnung in den einheitlichen Energiemarkt möglich. Insbesondere können für den zukünftigen Energiemarkt Leistungsflexibilitäten durch Erzeugungs- und Verbrauchsmanagement, durch verschiedenste Speicherpotentiale, mittels Spartenverbundsteuerung von Elektrizität, Gas und Wärme sowie auch durch Export-/Importmechanismen zwischen Regionen und Netzebenen erschlossen werden.
Flexibilitätserschließung
Das Projekt moma konzentrierte sich zur Flexibilitätserschließung besonders auf thermische Speicherpotentiale von Kälte- und Wärmeanlagen und auf nicht speicherbehaftete Geräte im Haushalt sowie auf die Anreizsteuerung mit variablen Tarifen und die Import-/Exportmechanismen im zellularen Netzverbund. Erste Geschäftsmodelle auf diesem Weg wurden identifiziert, wobei die erfolgreiche Transformation des Energiesystems noch erhebliche Anpassungen im Marktdesign benötigt, um die wirtschaftliche Entwicklung sowie die Nutzbarkeit der mit dem Wandel verbundenen Chancen zu forcieren.
Der bisherige Energieaustausch wurde durch zentrale Kraftwerke, Übertragungsnetzbetreiber und Energiehändler gewährleistet. Dementsprechend sind auch nur begrenzte Informationsflüsse in der Markt- und Netzkommunikation notwendig. Der zukünftige, vielfältige Energieaustausch von Prosumenten in der Verbindung von Dezentralität und Zentralität benötigt aber den Informationsaustausch vielfältiger Akteure bis in die Liegenschaften. Technische Voraussetzung für diese Aufgabe sind sogenannte intelligente Energienetzwerke, um neue Dienstleistungen zu ermöglichen. Das E‑Energy-Projekt Modellstadt Mannheim (moma) nähert sich der Aufgabe auf Grundlage der zellularen Gestaltung mit einer Systemarchitektur, die im Rahmen der verteilten Automatisierung im Verteilungsnetz und dezentralem Energiemanagement in den Gebäuden automatisierte Markt- und Netzführungsabläufe befördert.
Die Entwicklung der für den Wandel notwendigen intelligenten Netzinfrastruktur (Smart Grids) bis in die Niederspannungsbereiche unter Einbindung der Liegenschaften benötigt jedoch einen verantwortlichen Akteur. Diese Infrastruktur ist Basis neuer Markt- und Netzfunktionen und bietet die Grundlage zur Entfaltung subsidärer Konzepte im Energieorganismus des europäischen Verbundes. Wesentliche Träger bei der Entwicklung der digitalen Energieinfrastruktur für die Energieträger Elektrizität, Wärme und Gas im Verbund mit intelligenten Verkehrskonzepten und der Bereitstellung von Energie für den Verkehr sind die Stadtwerke und Kommunen. Hier entsteht also eine neue Herausforderung bei der Entwicklung von Smart Grids für Smart Cities, der sich moma mit ersten Lösungsansätzen widmete und mit weiteren Projekten — siehe auch Smart Grids BW e.V. und Projekt C/sells im SINTEG-Programm — widmete.
„Wir haben darauf zu vertrauen, dass jeder einzigartig ist und alle verschieden. Das muss zur vollen Blüte gebracht und in Kooperation mit anderen zusammen geführt werden, damit etwas entsteht, was höchste Flexibilität besitzt. Flexibilität ist das Rezept der Natur zur besten Anpassung von höher entwickelten Wesen an zukünftige Anforderungen. Sie sind nicht optimiert auf ganz bestimmte Situationen, sondern sie sind optimiert auf etwas, was prinzipiell unbekannt ist, eben auf eine Zukunft hin, die wesentlich offen ist.“
(Hans-Peter Dürr, Quantenphysiker, langjähriger Mitarbeiter von Werner Heisenberg, Träger des Alternativen Nobelpreises)
Quelle
Kießling, A.: Modellstadt Mannheim Abschlussbericht. Modellstadt Mannheim (moma) : Beiträge von moma zur Transformation des Energiesystems für Nachhaltigkeit, Beteiligung, Regionalität und Verbundenheit ; E‑Energy — IKT ‑basiertes Energiesystem der Zukunft. Herausgeber: MVV AG. Mannheim, Germany. Juli 2013. https://doi.org/10.2314/GBV:778685772