Flüssiges Erdgas (LNG) — Brückentechnologie oder Klimakiller?
Begriff: LNG = liquefied natural gas, GNL = gaz naturel liquéfié
Definition: Erdgas, welches durch Tiefkühlen verflüssigt wurde, um in dieser kompakteren Form gespeichert oder transportiert zu werden
Dr. Rüdiger Paschotta. Energie-Lexikon. URL: https://www.energie-lexikon.info/fluessigerdgas.html (2020)
Klimaschutz in der Zange von Machtinteressen
Angesichts des Krieges in der Ukraine sorgt sich Europa um die Sicherheit der Energieversorgung. Der Import von Erdgas und Erdöl steht im Rahmen wirtschaftlicher Sanktionen gegen Russland im Fokus der Diskussion. Verflüssigtes Erdgas – das sogenannte LNG (Liquefied Natural Gas) — wird als rettende Energiequelle promotet.
Der Artikel verfolgt nicht das Ziel, Sinn und Nutzen von Embargomaßnahmen einzuordnen. Zu Beginn der folgenden technischen Betrachtungen sei aber eine kurze Bemerkung erlaubt. Russland ist nicht Putin und Putin ist nicht Russland. Dies ist bei aller notwendigen Verurteilung des Krieges zu berücksichtigen, wenn Russland aus der Weltgemeinschaft mit einem Abbruch aller Beziehungen ausgeschlossen wird. Der Abbruch von Kommunikation steigert Misstrauen weiter und erhöht den Grad der Gefährdung der Menschheit. Dies hat schon Willi Brandt mit seiner Verständigungspolitik in den 70er Jahren verstanden. Saskia Esken sei an einen ihrer Vorgänger erinnert, wenn sie über das Eingreifen der NATO in der Ukraine sinniert. Dies hatte auch Reagan begriffen, als er Mitte der 80er Jahre bei höchster Gefahr bezüglich atomarer Vernichtung der Menschheit auf Gorbatschow zuging. Man sollte daran denken, dass auch jene am Ende vorrangig wirtschaftliche Interessen vertreten, die das sofortige Umschwenken Europas zu anderen Gaslieferanten fordern.
Die weiteren Ausführungen beurteilen nicht aufgrund politischer Sichten, ob Europa den Import von Öl und Gas aus Russland weiterführen sollte. Stattdessen sollen grobe, technische Abschätzungen die Frage beantworten, ob Europa auf diese Handelsbeziehungen im Hinblick auf benötigte Mengen und Umweltauswirkungen verzichten kann.
Letztendlich steht die gesamte Welt vor einer viel größeren Herausforderung. Wenn wir in den nächsten 10 Jahren nicht alles unternehmen, um den Klimawandel zu begrenzen, werden in diesem Jahrhundert Millarden Menschen gefährdet sein.
Maßeinheiten für Energiebedarfe sowie den Energiegehalt von LNG
Um den Wechsel von Erdgas aus Pipelines zu LNG-Lieferungen über die Weltmeere zu beurteilen, werden zuerst die Energiebedarfe betrachtet. Dabei kommen wir an der Verwendung von Maßeinheiten nicht vorbei. Zwischen den in der Energiewirtschaft verwendeten Einheiten lässt sich leicht der Überblick verlieren. Jeder kennt die Kilowattstunde (kWh) zu Hause vom Stromzähler. Ein Haushalt benötigt im Jahr durchschnittlich 3.000 kWh elektrische Energie. Fachleute verwenden für große Zahlen weitere Vorsilben zur Einheit Wattstunden (Wh), um das Schreiben von drei Nullen zu verkürzen. 1.000 Wattstunden sind eine 1 kWh und 1.000 Kilowattstunden entsprechen einer Megawattstunde (MWh). Der durchschnittliche deutsche Haushalt benötigt also 3 MWh im Jahr. Bei wachsender Größe der zum Energiebedarf betrachteten Region wird auch 1 Gigawattstunde (GWh) gleich 1.000 MWh genutzt. Diese Reihe lässt sich fortsetzen. 1.000 GWh entsprechen einer Terawattstunde (TWh) und für 1.000 TWh steht eine Petawattstunde (PWh). Da diese Größen unvorstellbar sind, werde ich zum Vergleich die durchschnittliche Jahresmenge elektrischer Energie für eine Person in 1.000 Kilowattstunden gleich 1 Megawattstunde verwenden.
Weiterhin benutzen Energietechniker statt der Maßeinheit Kilowattstunde auch die Einheit Joule (J). Diese Größe steht ebenso für Energie, findet aber eher im Bereich benötigter und verwendeter Wärmeenergie Verwendung. Die Umrechnung von Kilowattstunden in Joule in den verschiedenen Größenordnungen ist mühsam. Im Artikel verweise ich deshalb auf Hilfen im Internet. Da aber für Energiebedarfe sehr oft die Einheit Joule genutzt wird, entgehen wir der Größe nicht. Deshalb merken wir uns, dass 1.000 kWh für 3,6 Gigajoule (GJ) stehen.
Letztendlich werden für die Förderung der Rohstoffe Erdgas (inklusive verflüssigtes Erdgas – LNG), Erdöl und Kohle weitere Energie-Maßeinheiten in Form von Rohöl- und Steinkohleneinheiten genutzt. Um die Verwirrung nicht zu vergrößern, nutze ich diese Einheiten hier nicht. Bei weiterem Interesse zu Umrechnungsfaktoren ist folgende Webseite inklusive eines Energieeinheitentaschenrechners zu empfehlen: https://www.volker-quaschning.de/datserv/faktoren/index.php
Energiemengen im Wandel von Öl, Gas und Kohle zu Erneuerbaren Energien
Die aus Rohstoffen beschaffte Energie – auch Primärenergie genannt — lag in Europa (für OECD-Länder) im Jahre 2011 bei rund 73.060 Petajoule. Sie erinnern sich an die oben genannten Größen? Deutschland benötigte im Jahre 2018 rund 13.000 PJ. Nach Umwandlungsprozessen kommen bei den Energienutzern 9.000 PJ Endenergie an. Dies sind 112 GJ pro Einwohner. Somit werden in Deutschland – umgerechnet in elektrische Energie — 31.111 kWh Endenergie pro Einwohner eingesetzt. Genutzt wird dieser Betrag in Haushalten, bei Gewerbeunternehmen, in Industrie und Verkehr.
Die in Deutschland eingesetzte Endenergie wurde oben zum Zwecke der Vergleichbarkeit in elektrische Energie umgerechnet. Natürlich benötigen wir nicht nur elektrische Energie. Dieser Bedarf lag im Jahre 2017 nur bei 20 Prozent. Die Endenergie wurde den Nutzern im fossilen System in Form von Strom, Gas, Öl, Kohle und Wärme geliefert. Der größte Energiebedarf entsteht im Verkehr- und Wärmesektor sowie bei bestimmten Industrieprozessen. Mit dem Wandel zu erneuerbaren Energien werden auch diese Bereiche zunehmend elektrifiziert oder mit dem Energieträger Wasserstoff als Gas der Zukunft ausgestattet.
Die Gestaltung des Wandels erfolgte in Deutschland nach erfolgreichem Start in den Jahren 2000 bis 2010 im nächsten Jahrzehnt zunehmend zögerlich. Der Umbau des Energiesystems soll nun bis zum Jahr 2040 gelingen. Bis dahin stellt sich aber die Frage, woher die von erneuerbaren Energiequellen noch nicht bereitgestellten Energiemengen kommen. Deutschland hat sich gegen Kernenergie entschieden. Der Ausstieg aus der Kohleförderung soll bis 2035 erfolgen. Die im erneuerbaren Energiesystem bei schwankendem Angebot von Wind und Sonne notwendige Flexibilität soll zukünftig durch erneuerbar hergestellten Wasserstoff gedeckt werden. Wasserstoff gilt auch als Energieträger für den Fernlast‑, Schiffs- und Luftverkehr sowie für industrielle Prozesse wie die Stahl- und Aluminiumproduktion. Bis dahin wird Erdgas als Brückentechnologie betrachtet, d.h. mindestens für weitere 20 Jahre.
Gasmengen für Europa durch Pipelines
Nun stellt sich die Frage, welche Energiequellen den Bedarf in Europa decken. Um später den Vergleich mit LNG durchführen zu können, schauen wir uns hier nur Gaslieferungen aus Russland an. Europa erhält von Russland insgesamt ca. 167 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr. Schon wieder müssen wir rechnen. Wieviel Primärenergie liefert ein Kubikmeter Erdgas? Wir halten uns bezüglich der verschiedenen Umrechnungen für Erdgas und Flüssiggas – also LNG — zurück, damit der Artikel lesbar bleibt. Interessierte können über folgenden Link weiter einsteigen: https://fluessiggas.de/wissen/fluessiggas/fluessiggas-umrechnung
An dieser Stelle nutzen wir nur folgenden Richtwert. Ein Kubikmeter unverflüssigtes Gas entspricht 28 kWh gelieferte Primärenergiemenge. Beim Endverbraucher kommen davon nach der Verbrennung 10 kWh Wärmenergie an. Das nach Europa gelieferte Gas im Umfang von 167 Milliarden Kubikmetern besitzt somit 4.676 TWh (4.676 Milliarden Kilowattstunden) Primärenergiegehalt. Dies entspricht wiederum 16.834 Petajoule. Deutschland erhält aus Russland 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr. Dies sind umgerechnet 1.540 Milliarden Kilowattstunden oder 5.544 PJ. Der Primärenergiebedarf Deutschlands wurde mit rund 13.000 PJ beziffert. Russisches Gas, das über Pipelines geliefert wird, deckt also ungefähr 43 % des gesamten Primärenergiebedarfes des Landes.
Alternativlösung Gas als LNG über Weltmeere?
Lässt sich die per Pipeline ankommende Primärenergiemenge durch LNG-Lieferungen ersetzen?
Die Idee lautet: Gas wird in den Förderländern um den Faktor 600 verdichtet und verflüssigt. Um den Transport bei annähernd Athmosphärendruck in riesigen Kugelbehältern auf Tankern zu ermöglichen, wird das verdichtete Gas auf minus 160 Grad Celsius gekühlt.
Nach Deutschland ist zur Deckung des aktuellen Bedarfes in Höhe von 55 Milliarden Kubikmeter verdichtetes LNG mit einem Volumen von 92 Millionen Kubikmetern zu transportieren. Die OECD-Länder Europas benötigen 167 Milliarden, womit rund 278 Millionen Kubikmeter Flüssiggas zu transportieren wären. Weltweit wurde im Jahre 2020 ein Erdgasvolumen in Höhe von 3.822 Millarden Kubikmetern verbraucht. Europa würde bei Verzicht auf russische Importe rund vier Prozent der weltweiten Gasförderung umlenken. Dies hört sich noch realistisch an, aber was ist mit der notwendigen Aufbereitung und Lieferung als LNG-Gas?
Nach Angaben der International Gas Union vom April 2017 wurden im Jahr 2016 weltweit 258 Millionen Tonnen LNG transportiert. Dazu waren 439 Schiffe im Einsatz. Schon wieder müssen wir rechnen. Hier hilft der Gasrechner (Quelle: https://www.linde-gas.at/de/services/gaseumrechner/index.html ).
Zum Beispiel werden 600 Kubikmeter Methan zu rund 1.000 Litern, also einem Kubikmeter Flüssiggas komprimiert. Diese Menge wiegt 0,4 Tonnen. Die Tanker transportierten also 645 Millionen Kubikmeter LNG im Jahr 2017. Im Jahr 2021 wurden schon annähernd 400 Millionen Tonnen LNG weltweit gehandelt, also 1000 Millionen Kubikmeter Flüssiggas.
LNG wurde im Jahr 2016 von 18 Ländern geliefert. Hauptexporteure sind Katar, Australien, Malaysia, Nigeria, Indonesien. Auch die USA dringen zunehmend in diesen Markt ein. Oben wurde kalkuliert, dass Europa bei Ersatz des Pipeline-Gases 278 Millionen Kubikmeter LNG benötigt. Der europäische Bedarf zum Ersatz russischen Gases würde die weitere Erhöhung der weltweiten LNG-Exporte um rund 30 Prozent erfordern!! Die Möglichkeiten dieser Steigerungsrate können hier nicht beurteilt werden, doch die Folgen für die Tankerflotte lassen sich abschätzen.
Folgen für die LNG – Tankerflotte der Welt
Für den Transport von LNG werden riesige Tanker benötigt. Deren Bauzeit liegt bei 24 bis 27 Monaten. Die dazu notwendigen spezialisierten Schiffsbauer kommen vorrangig aus Korea, Japan oder China. Sie liefern jährlich 20 LNG-Frachtschiffe als 300 Meter lange und 50 Meter breite Kolosse. Sie können durchschnittlich 150.000 Kubikmeter verflüssigtes Erdgas aufnehmen. Diese Menge entspricht nach der Dekomprimierung um den Faktor 600 und Einleitung in das Gasnetz einem Gasvolumen von 90 Millionen Kubikmetern. Diese Menge beinhaltet 2,5 Milliarden Kilowattstunden Primärenergie. Damit kann eine Stadt mit 80.000 Einwohnern für ein Jahr vollständig mit Energie für Haushalt, Gewerbe, Industrie und Verkehr versorgt werden. Neue Tanker transportieren bis zu 250.000 Kubikmeter LNG.
Weltweit waren 2018 bereits 470 LNG-Tanker mit einer Gesamtkapazität von 75 Millionen Kubikmeter im Einsatz. Die Tanker werden aufgrund der hohen Baukosten für eine Lebensdauer von etwa 40 Jahren konstruiert und meist erst auf Kiel gelegt, wenn eine Langfristcharter (20 Jahre) vorliegt. Zu Anforderungen beim Ersatz des Gases aus russischen Pipelines für Europa geben folgende Abschätzungen Orientierung.
Deutschland bezieht 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr aus Russland. Mit der Verflüssigung zum Verdichtungsfaktor 600 sind somit 92 Millionen Kubikmeter LNG zu transportieren. Ein Tanker liefert bei einer Fahrt 150.000 bis 250.000 Kubikmeter LNG. Damit werden bei durchschnittlich 200.000 Kubikmetern 460 Tankerfahrten benötigt. Bisher existieren in Deutschland keine Terminals für LNG-Tanker. Bei 460 Tankerfahrten pro Jahr benötigt Deutschland zwei neue LNG-Terminals.
Zusätzlich erhalten die weiteren OECD-Länder Europas 112 Milliarden Kubikmeter Erdgas per russischer Pipelines. Bei Ersatz durch LNG müssten Tanker zusätzliche 187 Millionen Kubikmeter Flüssiggas liefern. Die Folge sind weitere 935 Tankerfahrten. Bisher existieren in Europa 29 LNG-Terminals. Sechs weitere Terminals inklusive der zwei für Deutschland berechneten Terminals würden für den Ersatz russischer Pipelines benötigt. Ein Neubau umfasst mindestens den Zeitraum bis 2025.
1395 Tankerfahrten pro Jahr nach Europa für Gaslieferungen?
In der Summe wären zum Ersatz russischen Gases für die OECD-Länder Europas 1395 Tankerfahrten notwendig. Zur Bestimmung der durchschnittlichen Fahrzeit für eine Lieferung dient folgende Abschätzung. Ein Containerschiff fährt ungefähr 45 Tage von China nach Europa durch den Suezkanal. Bei einer mittleren Strecke von 10.000 km von Nordeuropa bis zu Lieferhäfen in den USA oder Katar und einer maximalen Geschwindigkeit von 16 Knoten wird für Hin- und Rückweg sowie Belade‑, Entladezeiten- und Wartezeiten als auch Wartungszeiten ein Zeitraum von zwei Monaten angenommen. Je Tanker können somit ungefähr sechs Fahrten pro Jahr stattfinden. Für die Summe von 1395 Fahrten werden über 200 Tanker benötigt.
Ausgehend von der Vermutung, dass bisher eingesetzte Tanker ausgelastet sind, werden zusätzliche Tanker benötigt. Der Bau von rund 180 neuen Tankern ist geplant, wobei diese bis 2025 schrittweise in Betrieb genommen werden. Die komplette Flottenerweiterung würde benötigt, um den europäischen Gasbedarf in den nächsten Jahren zu decken. Dabei ist aber zu beachten, dass die aktuell in Auftrag gegebenen Tanker ihre Ladungen nicht zum Ersatz russischen Gases geplant haben.
Folgende Herausforderungen sind damit verbunden:
Erstens müssten zur Deckung des europäischen Bedarfes vom Gasaufkommen der Welt durch Verflüssigung vier Prozent nach Europa umgelenkt werden. Dabei wäre das LNG-Aufkommen um 30 Prozent zu erhöhen. Die notwendigen zusätzlichen Verflüssigungsanlagen sind noch zu bauen.
Zweitens müssten aufgrund der begrenzten Möglichkeiten zur Erhöhung des LNG-Aufkommens andere Länder auf Liefermengen verzichten. Die Bereitschaft hat beispielsweise Japan signalisiert, um in der Folge mehr Kohle zur Energiegewinnung zu verbrennen. Zum Zwecke der Sanktionen wären erhöhte Treibhausgasemissionen die Folge.
Drittens benötigt Europa sechs weitere LNG-Terminals, die vor 2025 nicht fertiggestellt sind.
Viertens werden über 200 neue LNG-Tanker mit einem mehrjährigen Produktionszeitraum benötigt.
Fünftens steigt zunehmend die USA in den LNG-Markt mit umweltschädlich gefördertem Fracking-Gas ein.
Noch einmal zum Klimaschutz in der Interessen-Zange
Es stellen sich somit zwei grundlegende Fragen:
1) Wie wird die Lieferlücke bis 2025 ersetzt, wenn zu schnell der sofortige Stop russischer Gasimporte beschlossen würde.
2) Noch wichtiger ist die Frage, welche Folgen die gesamte Menschheit trägt, falls mit dem Ersatz der Lieferungen über Pipelines durch LNG-Gas ein zusätzlicher Schaden an der Umwelt und damit am Weltklima zu verzeichnen ist.
1395 Tankerfahrten pro Jahr nach Europa wurden im Rahmen dieses Artikels abgeschätzt. Die Klimaneutralität soll in Europa im Jahr 2050 erreicht werden. Dann werden auch LNG-Importe überflüssig. Es stellen sich neue Fragen. Bei einer Charterzeit von 20 Jahren für neue LNG-Schiffe könnten Teile der Flotte schon vorher unwirtschaftlich sein. Können LNG-Tanker für die zukünftige Lieferung von Wasserstoff umgebaut werden? Diese Betrachtung gilt analog für LNG-Terminals.
Ohne Beurteilung, wie eine Infrastruktur; die frühestens 2025 russisches Gas vollständig ersetzt, aber deren Nutzung zwischen den Jahren 2030 und 2050 zur Einhaltung der Klimaziele schon wieder zu reduzieren ist; bezüglich der Nutzung für Wasserstoff umgewandelt werden kann, lassen sich keine fundierten Entscheidungen treffen.
Bei der Wahl der Lieferländer ist zwingend der zusätzliche Kohlendioxidausstoß durch die Verlängerung der Lieferkette aufgrund technischer Zusatzschritte zu bewerten. Wenn eine sofortige Abkehr von russischem Gas schädlich für das Klima und damit für die gesamte Menschheit ist, sind Nutzen und schädliche Folgen von Sanktionen abzuwägen.
Als Ersatzlieferanten bieten sich aktuell insbesondere die USA und Katar an. Durch umweltschädliche Fracking-Methoden hat sich die USA zum führenden Gasförderer entwickelt. 24 Prozent der weltweiten Gasförderung finden in den USA statt. Rund 17 Prozent kommen aus Russland. Zwischen 5 und 6 Prozent werden jeweils in Iran, China, Katar und Kanada gefördert (Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Erdgas/Tabellen_und_Grafiken).
Hinter dem Druck, Gas und Erdöl in die Sanktionen gegenüber Russland einzubeziehen, verbergen sich sicherlich auch geostrategische Positionen und Machtfragen.
Zudem bieten die Amerikaner oder auch Katar keine Freundschaftspreise an, sondern verkaufen an den höchsten Bieter. Europa müsste für einen entsprechend großen Anteil an weltweiten Flüssiggasexporten andere Kunden verdrängen. Dies würde zu deutlichen Preisaufschlägen führen. Am Ende verdient mit steigenden Preisen auch wieder Putin, der Ausfälle durch Europa sicherlich schnell wieder in Asien, besonders China, kompensiert.
Dementsprechend ist beispielsweise der geplante Bau der Terminals in Deutschland für die Deutsche Umwelthilfe nichts anderes als ein politisches Zugeständnis an die USA, die dadurch einen Absatzmarkt für ihr durch das umstrittene „Fracking“ gewonnene Erdgas schaffen.
Wie klimafreundlich ist LNG?
Dies sind politische Argumente. Aber welche Umweltauswirkungen gibt es, wenn Gaslieferungen aus Russland über Pipelines durch LNG-Transporte mit Tankern über Weltmeere ersetzt werden? Dabei müssen wir einen Begriff verstehen und wiederum eine Maßeinheit klären. Alle in die Atmosphäre ausgestossenen, klimaschädlichen Gase werden als Treibhausgasemissionen bezeichnet. Gemessen wird dieser Umfang in Kohlendioxid-Äquivalenten (CO2-äq.).
Unter dem Titel „Wie klimafreundlich ist LNG?“ veröffentlichte das Fraunhofer-Institut ISI eine Kurzstudie zur Bewertung der Vorkettenemissionen. Diese Emissionen umfassen die bei der Förderung, Umwandlung und Lieferung von verflüssigtem Erdgas entstehenden Treibhausgasemissionen.
[UBA-FB FB000040/KURZ: Climate Chance 21/2019]Die Feststellungen zu Vorkettenemissionen von LNG wurden im Kapitel 4 der Studie im Vergleich zu leitungsgebundener Gasversorgung bewertet und mit nachfolgener Abbildung veranschaulicht. Dabei wird deutlich, dass der Einsatz von LNG im Rahmen der Betrachtungen zu Treibhausgasemissionen eine Alternative sein kann. Dies betrifft insbesondere Gas aus Katar, dass bei Betrachtungen der Vorkettenemissionen den gleichen CO2-Ausstoß aufweist wie Lieferungen über Pipelines aus Russland.
Die Darstellung verdeutlicht aber auch, dass die Förderung und Lieferung aus den USA mit 50 Prozent höherem Ausstoß an Treibhausgas verbunden ist. Angegeben sind zusätzliche Emissionen von 8.000 Gramm CO2-Äquivalent je Gigajoule (GJ) Energiemenge. Bei 28 kWh Energie pro Kubikmeter Gas stellen 167 Milliarden Kubikmeter Pipeline-Gas aus Russland 16.834 Petajoule Energie bereit, also rund 16.834.000.000 Gigajoule. Die Multiplikation mit 8.000 zusätzlichem Gramm CO2-Äquivalent je Gigajoule bei Fracking-Gas aus den USA ergibt 134.672.000 Tonnen zusätzliche Emissionen pro Jahr.
Als Maßeinheit für Treibhausemissionen wird die Größe Gigatonnen (Gt) gleich eine Milliarde Tonnen genutzt. Die gesamten Emissionen Europas betrugen im Jahre 2019 rund 3,6 Gt (Quelle: Umweltbundesamt); bei weltweiten Emissionen von ungefähr 30 Gt pro Jahr (Quelle: Statista). Die zusätzlichen Emissionen am Beispiel des „Fracking“-Gases aus den USA gegenüber Russland und Katar betragen mit der obigen Berechnung 0,135 Gt pro Jahr, knapp 4 Prozent der europäischen, jährlichen Gesamtemissionen. Im aktuellen Trend verringern sich die Emissionen Europas jährlich um 4 Prozent. Die Belieferung mit dem klimaschädlicheren „Fracking“-Gas aus den USA würde den Erfolg zur Senkung der Emissionen eines ganzen Jahres aufzehren. Bei der Suche nach Ersatzlieferungen sind also Lieferländer zu bevorzugen, in denen die Vorkettenemissionen der Förderung und Lieferung aus Russland entsprechen.
Schlussfolgerungen
1) Der Ersatz von über russische Pipelines geliefertem Erdgas durch LNG-Lieferungen per Tanker erscheint aus Umweltaspekten eine mögliche Alternative zu sein.
2) Voraussetzung ist, dass die Treibhausgasemissionen durch die sogenannte Vorkette aus Förderung, Lieferung und Bereitstellung in die Gasinfrastruktur nicht deutlich über den Emissionen bei Lieferung durch Pipelines liegen.
3) Dies trifft für durch umweltschädliche „Fracking“-Verfahren in den USA und in Australien gewonnenes Gas nicht zu, wo die Vorkettenemissionen bei vollständigem Ersatz russischen Erdgases in Europa bezogen auf das Jahr 2019 die Treibhausgasemissionen um vier Prozent steigern.
4) Grundsätzlich erfordert ein Wechsel zu anderen Gaslieferanten, dass zur Deckung des europäischen Bedarfes in Höhe von 278 Millionen Kubikmeter Flüssiggas bei Ersatz russischen Gases die heute rund 1.000 Millionen Kubikmeter umfassenden weltweiten LNG-Exporte um 30 Prozent gesteigert werden müssen.
5) Bei Katar als Hauptlieferant zur Minimierung zusätzlicher Treibhausgasemissionen müsste das Land die aktuellen LNG-Produktionsziele von 127 Millionen Tonnen bis 2027 – entspricht 317 Millionen Kubikmeter – fast verdoppeln.
6) Unter der Voraussetzung, dass die notwendigen Mengen klimaneutral gegenüber dem Status Quo beschafft werden können, verbleibt die Notwendigkeit, in Europa sechs neue LNG-Terminals zu bauen und ungefähr 200 neue Tanker in Auftrag zu geben, die vor 2025 nicht fertiggestellt sein würden.
7) Eine mindestens fünfjährige Konversionsphase zum Ersatz russischen Erdgases wäre die Folge, wobei diese Infrastruktur nur für rund 20 Jahre benötigt wird, da Europa spätestens 2050 Klimaneutralität erreichen will. Bis dahin besteht die zusätzliche Aufgabe, die neu aufgebaute Erdgasinfrastruktur in eine Wasserstoffinfrastruktur umzuwandeln.
8) Kurzfristig, mit Ende des Winters, sind die europäischen Gasspeicher zur Überbrückung bei eventuell ausfallenden Lieferungen aus Russland ausreichend gefüllt. Im Winter 2022 / 2023 wäre aber die Energieversorgung gefährdet, insbesondere in Deutschland, das seinen Primärenergiebedarf zu 43 Prozent aus Russland deckt. Der Ersatz ist nur in einem mehrjährigen Prozess möglich.
9) Der schnelle Verzicht auf russisches Erdgas würde in Europa zu schweren gesellschaftlichen Verwerfungen führen. Der Schaden für Europa könnte ohne Beachtung des notwendigen mehrjährigen Konversionsprozesses höher sein als für Russland. Die mit einem Wechsel des Marktes und die bei einer kurzfristig kaum zu deckenden Nachfrage folgende Preissteigerung erhöht letztendlich auch die Einnahmen Russlands, das neue Abnehmer in Asien und China finden kann.
Quellen:
[UBA-FB FB000040/KURZ: Climate Chance 21/2019]: Fraunhofer ISI, Umweltbundesamt. Wie klimafreundliche ist LNG? Kurzstudie zur Bewertung der Vorkettenemissionen bei Nutzung von verflüssigtem Erdgas (LNG). CLIMATE CHANGE 21/2019. Dessau-Roßlau, 05/2019.
Andreas Kießling, energy design, Leimen / Heidelberg — 19.03.2022