Neue Sicherheitskonzepte und die Generation III
Sicherheit umfassender gedacht und neue Player in Asien
Wie Alvin Weinberg vorhersagte, zeigten die Leichtwasserreaktoren der Generation II erhebliche Sicherheitslücken, die zu schweren Katastrophen führten. Sie bewirkten in der Bevölkerung erheblichen Akzeptanzverluste zur Anwendung der Kernenergie. Doch relativ unbeachtet von der Öffentlichkeit wurde auf wachsendende Sicherheits- und Wirtschaftlichkeitsanforderungen mit den Generation III und III+ reagiert. Neue Kernkraftwerke ab den 2000-er Jahren sind mit diesen Reaktoren ausgerüstet. Neue Sicherheitskonzepte und die Generation III werden zunehmend in Asien durch Südkorea, China und auch Indien mitbestimmt.
“Im Bereich Innovation läuft Asien Europa davon“, Monika Kühn-Görg, Autorin, Lyrikerin, Aphoristikerin
Inhaltsverzeichnis
- Die Energie der Atomkerne
- Energiepotenziale der Kernspaltung
- Rezeptur der gesteuerten Kernspaltung oder „Der Mann mit der Axt”
- Technologiesuche zur Energiegewinnung mit Kernspaltung in der Generation I
- Leichtwasserreaktoren der Generation II
- Harrisburg — Tschernobyl — Fukushima
- Neue Sicherheitskonzepte und die Generation III
- Kernkraftwerke neu gedacht und die Generation IV
- Die Energie der Sonne durch Kernfusion und aufkommende Technologien
Fortschritte bei Leichtwasserreaktoren
Die Achillesferse der Reaktoren der Generation II
Das Schicksal der mit Leichtwasser betriebenen Reaktoren in der Generation II war schon besiegelt, bevor sie ihre massenhafte Verbreitung fanden. Alvin Weinberg sagte es voraus. Aber aufgrund der Verheißung einer Energieform extrem hoher Dichte im Vergleich zu fossilen Brennstoffen, einer von Umweltbedingungen unabhängigen Energieversorgung sowie der Begeisterung für technologische Möglichkeiten traten Risikobetrachtungen in den Hintergrund oder wurden unterschätzt. Die drei Katastrophen in Three Mile Island, Tschernobyl und Fukushima zeigten dies deutlich und ließen die weltweite Akzeptanz für eine hoffnungsvolle Energietechnologie sinken.
Insbesondere erwies sich der unverzichtbare Kühlkreislauf als Achillesferse dieser Reaktortypen. Die Kühlung muss auch im abgeschalteten Zustand des Reaktors funktionieren. Reaktoren der Generation II besaßen einen aktiven Kreislauf. Diese Systeme sind auf mechanische oder elektrische Komponenten wie Pumpen und Ventile sowie eine dafür notwendige Energiezufuhr angewiesen, um Kühlmittel durch den Reaktor zu bewegen und Wärme abzuführen. Im Falle eines Stromausfalls oder eines mechanischen Ausfalls funktioniert das aktive Kühlsystem möglicherweise nicht, was zur Überhitzung des Reaktors führen kann. Trotz verschiedener Ursachen lösten letztlich Störungen der Kühlung alle Katastrophen aus.
Trotz Verbesserungen an den Überwachungs- und Sicherheitseinrichtungen lässt sich das Versagen der aktiven Kühlung nicht vollständig ausschließen. Reaktoren der Generation II wurden für 40 Jahre Laufzeit gebaut und die Bedenken der Bevölkerung gegen die vorhandenen Reaktoren älterer Bauart waren gerechtfertigt.
Erhöhung der Effizienz von Kernreaktoren
Während aber Reaktorunfälle in der Öffentlichkeit eine breite Diskussion auslösten, blieb die Weiterentwicklung der Reaktoren zur Generation III außerhalb der Fachkreise weitgehend unbekannt.
Die Generation III verspricht höhere Effizienz und damit einhergehend aufgrund besserer Ausnutzung der Kernbrennstoffe auch geringere Abfälle. Schauen wir uns zuerst das Thema Effizienz an. Warum sollte die Effizienz bei der Kernspaltung eine Rolle spielen, wenn für die Energiemenge, die ein Reaktor mit einer Leistung von einem Gigawatt in einem Jahr liefert, nur ein Waggon mit Uran-Brennelementen ausreicht? Es scheint aber nur so, dass Uran für lange Zeit zur Verfügung steht. Die bisher erschlossenen Uranlager reichen für die in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke nur wenige Jahrhunderte. Insofern kommt der Erhöhung der Effizienz von Kernreaktoren, das heißt der Ausnutzung des eingesetzten Urans eine hohe Bedeutung zu.
Die Effizienz der Kernreaktoren wird auf verschiedenen Wegen erhöht. Dazu gehören
- die Verbesserung des Kernbrennstoffdesigns, um eine effizientere Nutzung des Kernbrennstoffs durch Brennelemente mit höherer Dichte und mit Beschichtungen für eine bessere Wärmeübertragung zu gewährleisten;
- die Optimierung des Reaktordesigns, um durch eine optimierte Brennstoffanordnung und Reaktorgeometrie die Kernspaltung mittels höherer Neutronenausbeute effizienter zu gestalten;
- die erhöhte thermische Effizienz durch Nutzung fortgeschrittener Kühlmittel und Betriebsbedingungen, beispielsweise durch Einsatz von Wasser unter hohem Druck und hoher Temperatur in sogenannten überkritischen Wasserreaktoren (Supercritical Water Reactor — SCWR) für einen höheren Grad der Wärmeübertragung;
- das verbessertes Abfallmanagement zur Minimierung des produzierten nuklearen Abfalls und zur Erhöhung des Grades der Wiederaufbereitung von Brennstoffen sowie
- die längere Betriebsdauer von 60 Jahren im Gegensatz zu 40 Jahren bei Reaktoren der Generation II, was eine längere Energieproduktion aus einer einzigen Anlage ermöglicht.
Die Effizienzsteigerung trägt damit auch zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit von Kernenergie bei.
Erhöhung der Sicherheit von Kernreaktoren durch passive Kühlung
Aber die kritische Öffentlichkeit ist nicht mit dem Versprechen einer erhöhten Effizienz zu beruhigen. Die Sicherheit von Kernreaktoren steht an erster Stelle. Die notwendige aktive Kühlung erwies sich als die eigentliche Gefahr. Verschiedene, neue Technologien unter der Überschrift Notfall-Kernkühlsysteme (Emergency Core Cooling System – ECCS) begegnen dieser Gefahr. Dazu zählt das in Reaktoren ab der Generation III zum Einsatz kommende Konzept der passiven Kühlung.
Ein solches passives Kühlsystem erfordert keine Pumpen oder andere mechanische Geräte, um das Kühlmittel durch das System zu befördern. Es erfordert auch keine externe Stromquelle oder menschliche Eingriffe. Stattdessen treiben es allein die Gesetze der Physik auf Basis der Schwerkraft und natürliche Wärmeströmungsprozesse an. Folglich kann dieses System auch dann Wärme aus dem Reaktor abführen, wenn die Stromversorgung oder andere Teile des Kühlsystems ausfallen. Somit kann die Kühlung durch wiederholte Umläufe des Kühlmittels auch bei Verknappung der externen Wasserangebote in trockenen Sommern gesichert werden.
Moderne Reaktortypen der Generation III+ nutzen ausschließlich passive Kühlsysteme (Passive Residual Heat Removal — PRHR), um im Reaktor verbleibende Wärme bei Ausfällen und Verlusten des Kühlmittels abzuführen. Wird der Reaktor heruntergefahren, erhitzt die verbleibende Wärme im Kern das Kühlmittel, das aufgrund seiner erhöhten Temperatur und damit verringerten Dichte aufsteigt. Im oberen Bereich des Systems gibt das Kühlmittel seine Wärme an die Umgebung ab. Die Wärmeabgabe kann an die Luft oder an ein zweites Wassersystem erfolgen, das dann die Wärme in den Kühlturm ableitet. Nach Abkühlung und der damit verbundenen Erhöhung seiner Dichte fällt das Kühlmittel aufgrund der Schwerkraft wieder nach unten und der Kreislauf startet neu.
Vorsorge für den schlimmsten Fall – der Core Catcher
Wie schon erwähnt, trugen insbesondere in Tschernobyl und Fukushima absichtlich außer Kraft gesetzte oder zerstörte Kühlsysteme zur Katastrophe bei. Passive Kühlsysteme verhindern derartige kritische Zustände bei Reaktoren ab der Generation III.
Damit sinkt die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten des schlimmsten Falles stark. Trotzdem fehlte ein weiterer Sicherungsmechanismus. Ein unkontrollierter Leistungsanstieg im Reaktor kann das Schmelzen des Kernbrennstoffes bewirken. Dies trat sowohl in Tschernobyl als auch in Fukushima ein. Geschmolzene Uran-Brennelemente in Verbindung mit anderen Reaktormaterialien bilden eine Art Lava mit höchster Radioaktivität, die durch den Reaktoruntergrund in das Erdreich eintreten kann. Fachleute erfanden dafür den Begriff „CORIUM“. Dies ist ein Kunstwort aus der englischen Übersetzung für Kern – Core — und der für chemische Elemente im Reaktor charakteristischen Wortendung ‑ium.
Damit besteht die Gefahr der Verseuchung des Grundwassers mit Corium. Dies kann bei Verbindungen zu Fließgewässern die Unbewohnbarkeit ganzer Regionen verursachen. Höchster menschlicher Einsatz ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit konnte an beiden Orten eine derartige Katastrophe abwenden. Doch neue Reaktoren benötigten eine Lösung zur Abwehr dieser Gefahr, einen Behälter zum Einfang des Coriums – einen „CORE-CATCHER“.
Die Hersteller von Kernkraftwerken entwickelten einen Sicherheitsbehälter, der das Corium im Falle einer Kernschmelze auffängt, den kritischen Zustand verhindert, es kühlt und aufbewahrt. Ausgereifte Lösungen für Core-Catcher bieten Reaktoren der Generation III+.
Im Falle einer Kernschmelze kann das Corium durch den Boden des Reaktorbehälters austreten. Bei Vorhandensein eines Core-Catchers fällt es in einen Behälter, der mit Material gefüllt ist, das beim Kontakt mit Corium schmilzt und sich mit der abfließenden radioaktiven Lava mischt. Dieses Gemenge verteilt sich im Auffangbehälter und bildet eine flache Schicht. Damit nimmt es eine größere Oberfläche ein und kühlt schneller ab. Dieser Raum ist oft mit Wasser gekühlt, um die Abkühlung des Coriums zu beschleunigen und die Freisetzung von radioaktiven Materialien zu minimieren.
Weitere Sicherheitseinrichtungen
Mit dem Terroranschlag auf die New Yorker Zwillingstürme trat eine weitere Gefahr in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Können die Reaktorgebäude einen direkten Treffer beim Absturz eines Flugzeuges ohne eine nukleare Katastrophe überstehen? Zwar sind die Reaktoren der zweiten Generation nicht mehr ungeschützt wie in Tschernobyl. Aber eine einfache Schutzhülle aus Beton, das sogenannte Containment, könnte einem Absturz möglicherweise nicht widerstehen. Neu gebaute Reaktoren werden deshalb in der Regel mit einer doppelten Schutzhülle errichtet. Diese Hülle besteht aus einem inneren Schutz aus Stahl sowie einem äußeren Schutz aus Beton.
Zusätzlich ermöglicht die doppelte Schutzhülle im Falle eines Druckanstieges im Reaktorbehälter in Verbindung mit Druckentlastungstechniken den Druckabbau durch Kondensation des Dampfes und dessen Aufnahme innerhalb der Schutzhülle.
Die Katastrophen in Tschernobyl und Fukushima zeigten, wie wichtig zusätzliche Optionen sind, um den Reaktorkern zu kühlen und die Kettenreaktion zu verlangsamen. Zusätzliche, mit gekühltem Borwasser gefüllte passive Kern-Ergänzungsbehälter (Passive Core Make-up Tanks — CMTs) vergrößern den Werkzeugkasten zur Gefahrenabwehr in neu gebauten Kernkraftwerken. Im Falle eines Kühlmittelverlusts oder Druckabbaus im Reaktor strömt das Borwasser aus diesen Behältern durch Schwerkraft in den Reaktorkern, um ihn zu kühlen und gleichzeitig die Neutronenabsorption zu erhöhen, was die Kettenreaktion verlangsamt.
Schlussendlich demonstrierten die Ereignisse in Fukushima eine weitere Gefahr. Im Falle eines schweren Störfalls kann Wasserstoff im Reaktorgebäude freigesetzt werden, was insbesondere in Fukushima die Explosionen auslöst. Um ähnliche Katastrophen zu verhindern, wurde ein passiver Wasserstoff-Rekombinator entwickelt. Beispielsweise nutzt der Rekombinator im südkoreanischen Reaktor APR-1400 chemische Reaktionen, um Wasserstoff und Sauerstoff wieder in Wasser umzuwandeln.
Neue Sicherheitskonzepte und die Generation III — Hauptakteure
Ein neuer Entwicklungszyklus des Westens
Die Entwicklung der Reaktoren zur Generation III begann in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren. Diese Reaktoren zielten auf verbesserte Sicherheit und Wirtschaftlichkeit. Sie beinhalten verbesserte Designkonzepte, bessere Sicherheitssysteme und längere Betriebslebensdauern.
Ein Beispiel für Reaktoren dieser Generation ist der fortgeschrittene Siedewasserreaktor (Advanced Boiling Water Reactor – ABWR) der Generation III. Er ist eine Weiterentwicklung der Siedewasserreaktoren (Boiling Water Reactor — BWR) in Generation II und durchlief als erster Reaktor der Generation III eine vollständige Sicherheitsüberprüfung. Der ABWR verfügt über passive Sicherheitssysteme sowie eine höhere Effizienz der Stromerzeugung und der Brennstoffausnutzung im Vergleich zur Generation II.
Dieser Reaktor entstand in US-amerikanischer und japanischer Partnerschaft bei General Electric Hitachi Nuclear Energy. ABWRs wurden in mehreren Ländern gebaut, darunter Japan und Taiwan in den 1990er und 2000er Jahren. Weitere Projekte waren in Planung oder im Bau. Finanzielle Schwierigkeiten sowie neue Sicherheitsanforderungen verhinderten aber oft die Umsetzung.
Auch der kanadische Reaktor CANDU‑6 ist der Übergangsphase von Generation II zur Generation III zuzuordnen. Mit dem fortgeschrittenen CANDU-Reaktor (Advanced CANDU Reactor — ACR-1000), der natürliches Uran als Brennstoff in Verbindung mit schwerem Wasser als Moderator nutzt, beschritt das Unternehmen Atomic Energy of Canada Limited (AECL) den Weg zur Generation III+. Dieser Reaktor wurde aber nie kommerziell gebaut.
Eine Antwort auf wachsendende Sicherheits- und Wirtschaftlichkeitsanforderungen sind Reaktoren der Generation III+ ab den späten 1990er Jahren. In der Regel enthalten sie passive Sicherheitssysteme und Core-Catcher. Beispiele für Reaktoren der Generation III+ sind der AP1000 vom US-Unternehmen Westinghouse sowie der sogenannte wirtschaftliche, vereinfachte Siedewasserreaktor (Economic Simplified Boiling Water Reactor – ESBWR) von General Electric-Hitachi als auch der europäische, ursprünglich in Frankreich entwickelte Druckwasserreaktor (European Pressurized Reactor – EPR). Auf die Reaktoren von Westinghouse und den EPR gehen wir noch ein.
Neue Reaktoren im neuen Jahrtausend
Die ersten Reaktoren der Generation III+ wurden in den 2010er Jahren gebaut und in Betrieb genommen. Das Grundkonzept der Leichtwasserreaktoren hat sich nicht geändert. Brennstoff, Neutronenquelle, Neutronenabsorber, Moderator sowie Mittel zum Wärmetransport und Kühlung bleiben erhalten. Nicht die Rezeptzutaten ändern sich, sondern die Zubereitungsweise. Ein neues Reaktordesign, Veränderungen zur Brennstoffanordnung sowie deren Qualität erhöhen die Effizienz und Lebensdauer der Reaktoren. Hinzu kommen im Punkt VI der Zutatenliste zum Reaktorbau (Kapitel: Rezeptur der gesteuerten Kernspaltung und Prozeduren) neue Sicherheitskonzepte mit redundanten Systemen, passiver Kühlung und der Einsatz von Core-Catchern.
Auch das Unternehmen Westinghouse beteiligte sich mit dem AP1000 an der Entwicklung von Reaktoren der Generation III+. Die elektrische Leistung dieses Typs beträgt 1.000 Megawatt. Der AP1000 besitzt ein passives Sicherheitssystem, einen modularen Aufbau sowie eine eigene Lösung zur Behandlung von Corium, das sogenannte System zur Rückhaltung im Reaktorgefäß (In-Vessel Retention). Anstatt das Corium nach Verlassen des Reaktorbehälters aufzufangen, zielt dieses System darauf ab, das Corium innerhalb des Reaktorbehälters zu halten und zu kühlen.
Teile des Reaktors werden in einer Fabrik hergestellt und zur Baustelle transportiert, um den Bau zu beschleunigen und Kosten zu reduzieren. Wie alle Reaktoren der Generation III besitzt er ein verbessertes Kerndesign, um den Uran-Brennstoff effizienter zu nutzen und den Abfall zu reduzieren sowie eine auf 60 Jahre verlängerte Lebenszeit.
In China wurden vier AP1000-Reaktoren gebaut. Zwei davon befinden sich im Kernkraftwerk Sanmen und zwei im Kernkraftwerk Haiyang. 2018 und 2019 in Betrieb genommen, waren sie die ersten Reaktoren dieses Typs, die vollständig betriebsbereit waren.
In den USA wurden vier AP1000-Reaktoren am Standort Vogtle in Georgia und am Standort Virgil C. Summer in South Carolina geplant. Bei Vogtle sind zwei Reaktoren noch im Bau, während das Projekt am Standort V.C. Summer nach erheblichen Kostenüberschreitungen und Verzögerungen eingestellt wurde.
Die Generation III+ in Russland
Zu den wichtigsten Hauptakteuren bei der Entwicklung von sicheren Reaktoren der Generation III+ gehört Russland mit dem VVER-1200 (Wasser-Wasser-Energie-Reaktor — WWER) von Rosatom. Er ist eine Weiterentwicklung des früheren VVER-1000-Designs, das zur Generation II gehört. Zu den wichtigsten Merkmalen und Verbesserungen des VVER-1200 zählen die auf 1200 Megawatt erhöhte Leistung, das passive Sicherheitssystem, der Core-Catcher, die auf 60 Jahre verlängerte Lebensdauer, die verbesserte Effizienz sowie vollständig digitalisierte Steuerungs- und Überwachungssysteme, die eine genauere und effizientere Kontrolle des Reaktorbetriebs ermöglichen.
Einige der ersten VVER-1200-Reaktoren wurden in Russland in Betrieb genommen, und weitere, mit Beispielen laut nachfolgender Liste, sind in verschiedenen Ländern in Planung oder im Bau.
- Novovoronezh II (Russland): Der erste Block dieses Kraftwerks wurde 2016 in Betrieb genommen und der zweite Block 2019.
- Leningrad II (Russland): Der erste Block dieses Kraftwerks wurde 2017 in Betrieb genommen und der zweite Block 2020.
- Ostrovets (Weißrussland): Beide Blöcke dieses Kraftwerks wurden 2020 und 2023 mit VVER-1200-Reaktoren ausgestattet.
- Akkuyu (Türkei): Dieses Kraftwerk befindet sich im Bau, wobei der erste von vier geplanten VVER-1200-Blöcken im Jahr 2023 fertiggestellt wurde.
- Rooppur (Bangladesch): Das Kraftwerk befindet sich im Bau und wird mit VVER-1200-Reaktoren ausgestattet, wobei der erste Reaktor im Jahr 2024 den Betrieb aufnehmen soll.
Europa mit Frankreich noch im Spiel
Mit der Generation III+ ist Europa vorrangig noch durch Frankreich mit einem Konsortium zwischen dem französischen Energieversorger EDF und Siemens im Spiel. Das Ergebnis ist der europäische evolutionäre Leistungsreaktor (Evolutionary Power Reactor — EPR).
Die Besonderheiten des EPR als Druckwasserreaktor umfassen verbesserte Sicherheitsmerkmale. Dazu gehören ein vierfaches Kühlsystem und ein Kernfängersystem, der Core Catcher, um im Falle einer Kernschmelze den flüssigen Uran-Brennstoff in eine Wanne abfließen zu lassen. Der EPR verfügt über verbesserte Maßnahmen zur Bewältigung von Erdbeben durch mehr Flexibilität der Bauten und Konstruktionen bezüglich auftretender Schwingungen sowie redundante Sicherheits- und Notstromsysteme.
Der EPR ist mit 1600 Megawatt Leistung einer der stärksten kommerziellen Reaktoren, die zur Verfügung stehen, der ebenso bezüglich Effizienz und einer Lebenszeit von 60 Jahren optimiert wurde.
Gebaut wurde der EPR oder ist geplant in
- Finnland, Block Olkiluoto 3 als erstes Projekt, das einen EPR-Reaktor verwendete, aber auch mit erheblichen Verzögerungen und Kostenüberschreitungen zu kämpfen hat;
- Frankreich, Block Flamanville 3, ein ebenso für Verzögerungen und Kostenüberschreitungen bekanntes Projekt;
- China, Blöcke Taishan 1 und 2 als erste kommerziell betriebene EPR-Reaktoren, die 2018 und 2019 in Betrieb genommen wurden;
- Vereinigtes Königreich, Block Hinkley Point C, wo sich zwei EPR-Reaktoren im Bau und zwei weitere für den Standort Sizewell C geplant sind.
Seitens der das EPR-Konzept entwickelnden Unternehmen Framatome (früher AREVA) und EDF wurden inzwischen mehrere Verträge zum Bau von Kraftwerken in China inklusive des Transfers bestimmter Technologien geschlossen.
Asien übernimmt – Vorreiter Südkorea
Die US-amerikanische und japanische Partnerschaft bei General Electric Hitachi Nuclear Energy sowie der gemeinsame Bau von Siedewasserreaktoren (Boiled Water Reactor BWR) der Generation II wurde schon erwähnt. Japan entwickelte auch eigene Druckwasserreaktoren (Pressurized Water Reactor – PWR). Die Weiterentwicklung zur Generation III+ betraf den fortgeschrittenen Druckwasserreaktor (Advanced Pressurized Water Reactor — APWR) von Mitsubishi Heavy Industries (MHI). Dazu gehört weiterhin der von einem Konsortium zwischen Mitsubishi Heavy Industries und dem französischem Unternehmen AREVA (jetzt Framatome) entwickelte ATMEA‑1.
Als asiatischer Vorreiter bei der Entwicklung von Kernkraftwerken gilt aber Südkorea. Die Erfolgsgeschichte begann in den 1970er Jahren. Das erste Kernkraftwerk, Kori 1, ein Druckwasserreaktor mit einer Kapazität von 576 MW, wurde 1978 in Betrieb genommen. Die Errichtung durch das amerikanische Unternehmen Westinghouse diente als Grundlage für den Technologietransfer nach Südkorea.
In den folgenden Jahrzehnten baute Südkorea eine starke nationale Nuklearindustrie auf, die zum Entwurf und Bau eigener Kernreaktoren fähig ist. Die Korea Electric Power Corporation (KEPCO) und ihre Tochtergesellschaft Korea Hydro & Nuclear Power (KHNP) sind dabei die Hauptakteure. Zu den errichteten Anlagen gehören die Druckwasserreaktoren mit der Bezeichnung „Standardisiertes Kernkraftwerk“ (Standardized Nuclear Power Plant – SNUPPS) sowie der „Optimierte Leistungsreaktor“ (Optimized Power Reactor 1000 – OPR-1000) der Generation II.
APR-1400
Der neueste Reaktortyp aus Südkorea gehört zur Generation III+ und weist eine Reihe von Verbesserungen gegenüber dem bisherigen Design auf. Der sogenannte „Fortgeschrittene Leistungsreaktor (Advanced Power Reactor 1400 – APR-1400) ist für den Export vorgesehen und wird derzeit in den Vereinigten Arabischen Emiraten in Barakah gebaut. Das Kernkraftwerk befindet sich ca. 53 km westlich der Stadt Ruwais im Emirat Abu Dhabi. Es soll aus vier Blöcken mit je einem Druckwasserreaktor vom Typ APR-1400 zu Gesamtkosten von rund 32 Milliarden US-Dollar bestehen. Der erste Block startete am 6. April 2021 den kommerziellen Betrieb.
Der APR-1400-Reaktor umfasst sowohl ein passives Kühlsystem als auch einen Core Catcher. Die Wanne zum Einfangen der Kernschmelze verwendet ein spezielles keramisches Material, das mit dem Corium reagiert, um eine stabilere und weniger hitzeintensive Substanz zu bilden. Dies erleichtert die Kühlung. Der Reaktor besitzt zusätzlich eine doppelte Schutzhülle, einer inneren Hülle aus Stahl und einem äußeren Schutz aus Beton.
Weiterhin nutzt der APR-1400 Brennelemente mit höherer Leistungsdichte, thermischer Effizienz und längerer Lebensdauer. Er erzeugt somit mehr elektrische Energie aus der gleichen Menge an Kernbrennstoff und verringert die Abfallmenge. Die höhere Effizienz verbessert die Wirtschaftlichkeit des Reaktors. Dazu tragen auch die längeren Betriebszyklen von bis zu 24 Monaten im Vergleich zu den 18-monatigen Zyklen der älteren Reaktor-Designs bei. Dies reduziert die Anzahl planmäßiger Abschaltungen für Wartungsarbeiten.
Asien übernimmt – China mit Riesenschritten
Wir sind schon auf den ursprünglich in Frankreich entwickelten europäischen Druckwasserreaktor (European Pressurized Reactor – EPR) eingegangen. Der Technologietransfer auf Basis dieses Reaktors stärkte die Verbindung zwischen der europäischen Nuklearindustrie und China. Die Zusammenarbeit begann mit Planung und Bau von zwei EPR-Reaktoren im chinesischen Taishan. Der erste Reaktor ging 2018 in Betrieb, gefolgt vom zweiten Block im Jahr 2019.
Die Unternehmen Framatome (früher Areva) und Electricité de France (EDF) arbeiteten dabei eng mit der China General Nuclear Power Group (CGN) zusammen. Der Bau der Reaktoren in Taishan ermöglichte den ersten erfolgreichen kommerziellen Betrieb von EPR-Reaktoren, der dem Projekt eine globale Bedeutung verlieh. Der EPR diente als Grundlage für die Entwicklung des Hualong One, einer chinesischen Weiterentwicklung. Durch den Technologietransfer konnte China sowohl seine nukleare Kapazität erweitern als auch seine Kompetenzen in der Kerntechnologie stärken.
Der Hualong One ist ein Druckwasserreaktor mit einer Leistung von etwa 1.000 MW. Er verfügt über passive Sicherheitssysteme, die auch bei Stromausfall die Kernschmelze verhindern soll. Tritt dieser Fall doch ein, besitzt er einen sogenannten “Core-Catcher”, um geschmolzenes Kernmaterial aufzufangen und sicher zu kühlen. Darüber schließt eine doppelte Schutzhülle – Containment — das Reaktorgebäude ein, das radioaktives Material bei schweren Unfällen im Gebäude halten, aber auch gegen Flugzeugabstürze sichern soll. Der Hualong One gehört damit zur Generation III+.
China plant den weltweiten Einsatz dieser Technologie. Dabei setzt das Land auf eigene Design- und Baufähigkeiten, um eine Position als globale Führungskraft in der Nuklearindustrie zu erreichen.
Fortschritte und weitere Herausforderungen
Die Generation III und III+ der Kernreaktoren repräsentiert wichtige Fortschritte bezüglich Sicherheit und Effizienz.
Dazu gehören die im Kapitel beschriebenen Notfall-Kernkühlsysteme mit passiver Kühlung. Reaktorkonzepte der Generation III+ nutzen inzwischen Behälter zum Auffangen vom geschmolzenen Kernbrennstoff bei schweren Reaktorunfällen, den Core-Catcher.
Auch die doppelte Hülle um den Reaktor dient der höheren Sicherheit. Sie soll Schutz gegen Flugzeugabstürze bieten, aber auch mit Druckentlastungstechniken die Aufnahme von kondensiertem Dampf innerhalb der Schutzhülle ermöglichen. Wir sind auch auf die mit gekühltem Borwasser gefüllten Ergänzungsbehälter sowie die Wasserstoff-Rekombinierer eingegangen. Der von Südkorea in den Vereinigten Arabischen Emiraten gebaute Reaktor APR-1400 setzt diesen Rekombinierer ein.
Es ist aber wichtig zu betonen, dass diese Systeme als letzte Maßnahmen gedacht sind, falls alle anderen Sicherheitssysteme versagen. Sie sind Beispiele für die “Verteidigung in der Tiefe”-Strategie mit mehreren unabhängigen und redundanten Sicherheitssystemen, um Risiken zu minimieren.
Trotzdem gibt es weiterhin Kritik. Dazu gehören technische und finanzielle Hürden, Fragen der Entsorgung und des Recyclings von Kernabfällen sowie in einigen Ländern auch mangelhafte Akzeptanz bei der Bevölkerung.
Die Reise der Kernenergie endet aber nicht mit der Generation III+. Die Forschung und Entwicklung für Reaktoren der Generation IV erfolgt mit dem Ziel, noch sicherere und effizientere Anlagen zu schaffen. Diese Entwicklungen bleiben nicht bei bisherigen Leichtwasserreaktoren stehen. Sie bieten völlig neue Konzepte wie Schmelzsalzreaktoren oder auch mit Thorium statt Uran als Ausgangsmaterial arbeitende Reaktoren. Dazu gehören ebenso neue modulare Bauformen, wie der kleine modulare Reaktor (Small Modular Reactor – SMR), der aufgrund vielfältiger Konzepte sowohl der Generation III+ als auch der Generation IV zuzuordnen sind.
Aktuell entstehende Testanlagen haben das Potenzial, die Kernenergieindustrie zu revolutionieren. Diesen neuen, aufkommenden Technologien wenden wir uns im nächsten Kapitel zu.
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Quellen
Neue Sicherheitskonzepte und die Generation III: Leimen / Heidelberg — 04. Juli 2023