COP28 in Dubai

Klimaneutralität oder 50 Prozent sind nicht gleich 100 Prozent

Klimaneutralität oder 50 Prozent sind nicht gleich 100 Prozent

COP28 nimmt VAE-Konsens zum Klimawandel an

Kli­ma­neu­tra­li­tät oder 50 Pro­zent sind nicht gleich 100 Pro­zent. Eine tri­via­le Rechen­ope­ra­ti­on in Zusam­men­hang mit Kli­ma­neu­tra­li­tät zu brin­gen, ist erklä­rungs­be­dürf­tig. Aber dar­in liegt das Grund­pro­blem unter­schied­li­cher Stand­punk­te wäh­rend der Welt­kli­ma­kon­fe­renz in Dubai zur COP28. Gegen­sei­ti­ges Ver­ständ­nis eröff­net Kom­pro­mis­se für gemein­sam begeh­ba­re Wege. Mög­li­cher­wei­se benö­tigt gera­de Deutsch­land einen höhe­ren Grad an Kom­mu­ni­ka­ti­onsfä­hig­keit und Ver­ständ­nis statt Beleh­rung ande­rer Staa­ten.

Vorwort

Bei der Aus­ein­an­der­set­zung mit dem The­ma Kli­ma­wan­del bewegt sich der Autor auf einem schma­len Grat. Der Begriff ist emo­tio­nal auf­ge­la­den, und schnell kann man in eine poli­ti­sche Ecke gedrängt oder gar in sei­nem wis­sen­schaft­li­chen Ruf beschä­digt wer­den. Dabei ist es kei­nes­wegs die Absicht der nach­fol­gen­den Zei­len, den Kli­ma­wan­del zu leug­nen. Viel­mehr soll­ten unter­schied­li­che Per­spek­ti­ven auf ein The­ma nicht in einem ideo­lo­gi­schen, die Gesell­schaft spal­ten­den Kampf mün­den. Ein sach­li­cher Dis­kurs, der die Mei­nungs­frei­heit respek­tiert, beleuch­tet alle Facet­ten einer kom­ple­xen Her­aus­for­de­rung, ermög­licht ver­schie­de­ne Schluss­fol­ge­run­gen und betrach­tet unter­schied­li­che Möglichkeiten.

Aus mei­ner Sicht ist es ver­ständ­lich, war­um die Mensch­heit kei­ne über­stürz­ten Ent­schei­dun­gen tref­fen kann, die die Zukunft von Mil­li­ar­den Men­schen auf der Erde betref­fen. In die­se Über­le­gun­gen müs­sen auch die glo­ba­len Zie­le der UNO ein­be­zo­gen wer­den, die wei­te­re zen­tra­le Auf­ga­ben der Mensch­heit umfas­sen. Dazu zäh­len Bemü­hun­gen gegen Hun­ger, Armut und Krie­ge; für gerech­ten und bezahl­ba­ren Zugang zu sau­be­rem Was­ser und Ener­gie sowie für bes­se­re Gesund­heit und Bil­dung. All dies erfor­dert Res­sour­cen und Ener­gie. Ohne nach­hal­ti­ges Wachs­tum der Mensch­heit sind die­se Zie­le nicht erreich­bar. Daher ist es anma­ßend, wenn der Wes­ten, der mit einer Mil­li­ar­de Ein­woh­nern bereits ein hohes Wachs­tums­ni­veau erreicht hat, den rest­li­chen sie­ben Mil­li­ar­den Men­schen Ver­zicht und wirt­schaft­li­che Schrump­fung predigt.

Ande­re Per­spek­ti­ven füh­ren zu unter­schied­li­chen Inter­pre­ta­tio­nen von Ergeb­nis­sen. Ein kur­zer wis­sen­schaft­li­cher Exkurs im Fol­gen­den ver­an­schau­licht dies. Auf die­ser gedank­li­chen Grund­la­ge wer­den wir ver­schie­de­ne Schluss­fol­ge­run­gen aus dem Pari­ser Abkom­men und dem Bericht des Welt­kli­ma­rats bezüg­lich der Reduk­ti­on von Treib­haus­ga­sen auf­zei­gen, die sich in Deutsch­land von denen ande­rer Län­der unter­schei­den. Die­ser spe­zi­fi­sche Ansatz Deutsch­lands übt enor­men Druck auf unse­re Wirt­schaft aus.

Die Gefahr der ideologischen Ausnutzung von Modellen

Der fol­gen­de wis­sen­schaft­li­che Exkurs soll einen wich­ti­gen Punkt her­vor­he­ben. Die Kli­ma­wis­sen­schaft stützt sich auf Model­le und Sze­na­ri­en. Die­se Model­le wer­den mit einer begrenz­ten Anzahl von Para­me­tern gefüt­tert, wäh­rend ande­re Para­me­ter mög­li­cher­wei­se ver­nach­läs­sigt wer­den. Zusätz­lich basie­ren sie auf Annah­men, die aus den auf­ge­stell­ten Sze­na­ri­en abge­lei­tet wer­den. Ob die Model­le voll­stän­dig oder feh­ler­haft sind, kann letzt­lich nur die Zukunft zei­gen. Im Gegen­satz zu expe­ri­men­tell basier­ten Natur­wis­sen­schaf­ten wie der Phy­sik, die Theo­rien durch Expe­ri­men­te fal­si­fi­zie­ren oder ver­bes­sern kön­nen, las­sen sich die Ergeb­nis­se von Kli­ma­mo­del­len erst nach lan­gen Zeit­räu­men in der Pra­xis über­prü­fen. Daher ist es beson­ders in der Kli­ma­wis­sen­schaft wich­tig, alle Grund­la­gen der Model­le sowie alle Berech­nungs­we­ge und Ergeb­nis­se für eine offe­ne Dis­kus­si­on trans­pa­rent zu machen, um Akzep­tanz für die dar­aus abge­lei­te­ten Maß­nah­men zu erreichen.

Ein Bei­spiel soll ver­deut­li­chen, wie Mess­da­ten aus Eis­bohr­ker­nen zu unter­schied­li­chen Inter­pre­ta­tio­nen füh­ren kön­nen. Da sol­che Mes­sun­gen oft mit gro­ßen Feh­ler­be­rei­chen behaf­tet sind, wer­den die dar­aus resul­tie­ren­den Gra­fi­ken geglät­tet – ein Vor­gang, den Phy­si­ker als „Kur­ven­fit­ting“ bezeich­nen. Unter­schied­li­che Glät­tungs­pa­ra­me­ter kön­nen schnell zu zwei völ­lig unter­schied­li­chen Kur­ven führen.

In der nach­fol­gen­den Gra­fik von S.A. Mar­cott et al. (2013) zeigt die stark geglät­te­te rote Kur­ve über die letz­ten 10.000 Jah­re einen Tem­pe­ra­tur­ver­lauf mit nur gerin­gen Schwan­kun­gen von etwa 0,4 Grad und einen stei­len Anstieg um 1 Grad in den letz­ten 150 Jah­ren. Im Gegen­satz dazu zeigt die weni­ger stark geglät­te­te schwar­ze Kur­ve eine natür­li­che Tem­pe­ra­tur­schwan­kung von etwa 1,5 Grad, die das Kli­ma-Opti­mum vor 7000 Jah­ren, die römi­sche Warm­pe­ri­ode und die klei­ne Eis­zeit zwi­schen dem 15. und 19. Jahr­hun­dert umfasst. Dabei liegt die aktu­el­le Tem­pe­ra­tur laut der schwar­zen Kur­ve nied­ri­ger als wäh­rend der römi­schen Warmzeit.

Diskussion mit ChatGPT zum Klimawandel
Tem­pe­ra­tur­ver­lauf im Holo­zän — S.A. Mar­cott et al., 2013

Mit die­sem Bei­spiel im Hin­ter­kopf betrach­ten wir die unter­schied­li­chen Ansät­ze der Län­der, die auf der Welt­kli­ma­kon­fe­renz in Dubai, der COP28, zu Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten führten.

COP28 nimmt VAE-Konsens zum Klimawandel an

Der Saal brach in lau­ten Jubel aus, und es gab ste­hen­de Ova­tio­nen, als der COP-Prä­si­dent Al Jaber ver­kün­de­te: ‘Wir haben zum ers­ten Mal über­haupt eine For­mu­lie­rung zu fos­si­len Brenn­stof­fen in unse­rem end­gül­ti­gen Abkommen.’“

Zitat: Gulf­news

Die Welt­kli­ma­kon­fe­renz 2023, bekannt als COP28 in Dubai, dem Inno­va­ti­ons­zen­trum der Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­te, war ein Erfolg. Die erziel­te Eini­gung ebnet den Weg für einen schritt­wei­sen Aus­stieg aus fos­si­len Ener­gie­trä­gern. Die­ser Kon­sens stellt kei­ne Über­for­de­rung für jene Staa­ten dar, in denen 7 Mil­li­ar­den Men­schen die glei­chen Rech­te auf wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung anstre­ben, wie sie 1 Mil­li­ar­de Men­schen in den Indus­trie­staa­ten im letz­ten Jahr­hun­dert genos­sen haben.

Die deut­sche Bericht­erstat­tung zeigt sich indes­sen zwie­ge­spal­ten zwi­schen Ent­täu­schung und zurück­hal­ten­der Erfolgs­mel­dung. Es stellt sich die Fra­ge, wor­auf die­se unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven beruhen.

Offen­bar besteht ein grund­le­gend unter­schied­li­ches Ver­ständ­nis der Begrif­fe Kli­ma­neu­tra­li­tät und Net­to-Null-Emis­sio­nen. Deutsch­land inter­pre­tiert die­se Kon­zep­te beson­ders strikt. Kli­ma­neu­tra­li­tät wür­de dem­nach eine 100%ige Reduk­ti­on von Treib­haus­gas­emis­sio­nen erfor­dern, wobei die Ener­gie­ge­win­nung aus­schließ­lich auf erneu­er­ba­ren Quel­len wie Solar‑, Wind‑, Was­ser- und Bio­en­er­gie basie­ren soll. Die Erläu­te­rung zur Fra­ge, war­um die­se Aus­le­gung als eng gilt, führt uns zur Arti­kel­über­schrift: Kli­ma­neu­tra­li­tät oder 50 Pro­zent sind nicht gleich 100 Prozent.

Bei den deut­schen Kli­ma­schutz­maß­nah­men wird die Ein­be­zie­hung und Nut­zung natür­li­cher Sen­ken kaum berück­sich­tigt. Kern­ener­gie und tech­ni­sche Sen­ken wie die CO2-Abschei­dung und ‑Spei­che­rung (CCS – Car­bon Cap­tu­re and Sto­rage) fin­den kei­ne Beachtung.

Die west­li­chen For­de­run­gen nach einer hohen Reduk­ti­on von Treib­haus­ga­sen bis 2050 erschei­nen für einen Groß­teil der Welt unrea­lis­tisch. Daher ist das Abschluss­do­ku­ment rea­lis­tisch, wenn es den Aus­stieg aus fos­si­len Ener­gien for­dert, aber die Fest­le­gung von Maß­nah­men und Zeit­plä­nen den ein­zel­nen Län­dern überlässt.

Doch auch ande­re Per­spek­ti­ven auf sinn­vol­le Maß­nah­men sind kon­sis­tent mit dem Pari­ser Abkom­men von 2015. Die Inter­pre­ta­ti­on des Pari­ser Abkom­mens zeigt bei­spiel­haft, wie Ergeb­nis­se inter­na­tio­na­ler Kon­fe­ren­zen oft ideo­lo­gisch ein­sei­tig beleuch­tet und nicht umfas­send dar­ge­stellt wer­den. Las­sen Sie uns dies genau­er betrachten.

Das Pariser Abkommen

Bevor wir uns die Aus­sa­gen des Pari­ser Abkom­mens im Ori­gi­nal anschau­en, sei mir eine per­sön­li­che Bemer­kung erlaubt. Erst mein Besuch in Dubai anläss­lich der Welt­kli­ma­kon­fe­renz 2023 ermög­lich­te mir ein tie­fe­res Ver­ständ­nis der Begrif­fe “Net­to-Null-Emis­sio­nen” und “Kli­ma­neu­tra­li­tät” gemäß ihrer ursprüng­li­chen Defi­ni­ti­on. Das am 12. Dezem­ber 2015 geschlos­se­ne Pari­ser Abkom­men führ­te die­se Aus­drü­cke ein, die in den Medi­en oft ohne aus­rei­chen­de Erklä­rung erwähnt wer­den. Es ent­steht der Ein­druck, dass nur weni­ge Jour­na­lis­ten und Poli­ti­ker das Abkom­men wirk­lich gele­sen haben. Lei­der muss ich geste­hen, dass auch ich die Ergeb­nis­se des Pari­ser Abkom­mens bis­her ohne Kennt­nis des Abschluss­tex­tes im Ori­gi­nal inter­pre­tiert habe.

Ein gemein­sa­mes Ver­ständ­nis des Begriffs Kli­ma­neu­tra­li­tät ist ent­schei­dend, um eine gesell­schaft­li­che Über­for­de­rung bei der Umset­zung zu verhindern.

Arti­kel 4, Absatz 1 des Pari­ser Abkom­mens beschreibt das Ziel, ein Gleich­ge­wicht zwi­schen den anthro­po­ge­nen Emis­sio­nen von Treib­haus­ga­sen und deren Absorp­ti­on durch Sen­ken zu errei­chen, und for­dert kei­ne 100%-Reduktion aller CO2-Emissionen!

Die­ser Abschnitt des Abkom­mens legt fest, dass in der zwei­ten Hälf­te die­ses Jahr­hun­derts ein Gleich­ge­wicht zwi­schen den anthro­po­ge­nen Emis­sio­nen von Treib­haus­ga­sen aus Quel­len und dem Abbau sol­cher Gase durch Sen­ken im Sin­ne der Gerech­tig­keit, nach­hal­ti­gen Ent­wick­lung und der Bemü­hun­gen zur Besei­ti­gung der Armut her­ge­stellt wer­den soll. Die­ses Ziel wird oft als “Net­to-Null-Emis­sio­nen” oder “Kli­ma­neu­tra­li­tät” bezeich­net. Das Pari­ser Abkom­men for­dert also nicht die 100%-Reduktion aller Emissionen.

Die Ver­ein­ba­rung im Abschluss­text umfasst die voll­stän­di­ge Reduk­ti­on des Über­schus­ses zwi­schen Emis­sio­nen und der Absorp­ti­on von Treib­haus­ga­sen durch natür­li­che sowie men­schen­ge­mach­te, tech­ni­sche Senken.

Internationale Folgerungen

Die Welt­mee­re und die Pflan­zen­welt, als natür­li­che Sen­ken, neh­men etwa 50% der mensch­li­chen Emis­sio­nen auf. Hin­zu kom­men men­schen­ge­mach­te, tech­ni­sche Sen­ken, ins­be­son­de­re die CO2-Abschei­dung und ‑spei­che­rung sowie neue Ver­fah­ren in der che­mi­schen Indus­trie zur Nut­zung von CO2 aus der Atmosphäre.

Ange­sichts der Defi­ni­ti­on von Kli­ma­neu­tra­li­tät im Pari­ser Abkom­men und der vom Welt­kli­ma­rat im wis­sen­schaft­li­chen Bericht aus­ge­wie­se­nen natür­li­chen Sen­ken sowie tech­no­lo­gi­scher Mög­lich­kei­ten für men­schen­ge­mach­te Sen­ken legen Staa­ten ihre Zie­le fest, wie in den fol­gen­den Beispielen:

  • Chi­na plant, vor 2030 den Höhe­punkt sei­ner CO2-Emis­sio­nen zu errei­chen und bis 2060 Koh­len­stoff­neu­tra­li­tät anzustreben.
  • Indi­en ver­pflich­tet sich, sei­ne Emis­si­ons­in­ten­si­tät pro Ein­heit des Brut­to­in­lands­pro­dukts bis 2030 um 33–35% gegen­über 2005 zu reduzieren.
  • Bra­si­li­en strebt bis 2050 Kli­ma­neu­tra­li­tät an.
  • Russ­land bekennt sich dazu, sei­ne Emis­sio­nen bis 2030 um 25–30% gegen­über 1990 zu redu­zie­ren und strebt Kli­ma­neu­tra­li­tät bis 2060 an.
  • Die Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­te (VAE) haben das Ziel, bis 2050 Kli­ma­neu­tra­li­tät, also Net­to-Null-Emis­sio­nen, zu erreichen.
  • Sau­di-Ara­bi­en kün­digt Kli­ma­neu­tra­li­tät bis 2060 an.
  • Die USA haben unter der Biden-Admi­nis­tra­ti­on das Ziel fest­ge­legt, bis 2050 eine Reduk­ti­on der Emis­sio­nen um 50% gegen­über 2005 zu erreichen.
  • Die Euro­päi­sche Uni­on setzt sich das Ziel der Kli­ma­neu­tra­li­tät bis 2050, was das Gleich­ge­wicht zwi­schen emit­tier­ten und aus der Atmo­sphä­re ent­fern­ten Treib­haus­ga­sen, also Net­to-Null-Emis­sio­nen, umfasst.
  • Deutsch­land strebt an, bis 2050 weit­ge­hend treib­haus­gas­neu­tral zu wer­den, was eine Reduk­ti­on der Treib­haus­gas­emis­sio­nen um min­des­tens 95% gegen­über 1990 beinhaltet.

Die Beschlüs­se der EU und Deutsch­lands for­mu­lie­ren Kli­ma­neu­tra­li­tät mit Net­to-Null-Treib­haus­gas­emis­sio­nen bis 2050, ent­spre­chend dem Pari­ser Abkom­men. Jedoch spricht Deutsch­land nicht von Kli­ma­neu­tra­li­tät, son­dern von Treib­haus­gas­neu­tra­li­tät und ver­bin­det damit die For­de­rung nach einer nahe­zu 100%igen Reduktion.

Wor­auf basie­ren nun die unter­schied­li­chen Ziel­stel­lun­gen zur CO2-Reduk­ti­on, die von 50% bis 100% im Jahr 2050 reichen?

Klimaneutralität oder 50 Prozent sind nicht gleich 100 Prozent

Die­se unter­schied­li­chen Ziel­set­zun­gen basie­ren auf dem soge­nann­ten Bud­get-Modell. Die­ses Modell geht davon aus, dass die Atmo­sphä­re einer Bade­wan­ne gleicht, die nur bis zu einem bestimm­ten Grenz­wert Treib­haus­ga­se aus ver­schie­de­nen Quel­len auf­neh­men kann, bevor sie über­läuft. Der Über­lauf sym­bo­li­siert dabei eine kata­stro­pha­le, Kipp­punkt-arti­ge Ver­än­de­rung des Kli­mas. Da die “Bade­wan­ne” gemäß eini­ger Sze­na­ri­en unge­fähr bis zum Jahr 2050 gefüllt sein soll, wür­de nur eine Reduk­ti­on der Treib­haus­ga­se um 100% das Über­lau­fen verhindern.

Das Bud­get-Modell ver­nach­läs­sigt jedoch, dass die “Bade­wan­ne” offe­ne Abflüs­se in Form von Sen­ken zur Auf­nah­me von Treib­haus­ga­sen besitzt (Gan­te­för, 2023). In der poli­ti­schen Dis­kus­si­on und in den Medi­en fin­den sowohl die natür­li­chen als auch die men­schen­ge­mach­ten, tech­ni­schen Sen­ken kaum Beachtung.

Natür­li­che Sen­ken wer­den oft nicht erwähnt oder der Zeit­ho­ri­zont ihrer Wirk­sam­keit wird trotz gegen­tei­li­ger wis­sen­schaft­li­cher Erkennt­nis­se bestrit­ten. Die Wir­kung die­ser Sen­ken wird vor­aus­sicht­lich im 21. Jahr­hun­dert anhal­ten, was Zeit für die Gestal­tung einer nach­hal­tig wach­sen­den Welt ohne Über­for­de­rung der aktu­el­len Gesell­schaft bietet.

In Deutsch­land wer­den zudem tech­ni­sche Sen­ken, ins­be­son­de­re die CO2-Abschei­dung und ‑spei­che­rung, ausgeschlossen.

Daher basie­ren die Plä­ne der Bun­des­re­gie­rung nicht auf einer Reduk­ti­on der Treib­haus­ga­se um 50%, die ein Gleich­ge­wicht zwi­schen Zuflüs­sen und Abflüs­sen her­stel­len könn­te. Statt­des­sen sind alle Maß­nah­men auf eine Reduk­ti­on um 100% aus­ge­rich­tet, um den men­schen­ge­mach­ten Zufluss voll­stän­dig zu stoppen.

Teil­wei­se wird dies damit begrün­det, dass Deutsch­land als Vor­rei­ter agie­ren und soli­da­risch Lücken aus den Zie­len ande­rer Staa­ten schlie­ßen möch­te. Doch dies könn­te ein gro­ßer Trug­schluss sein.

Der über­höh­te Druck auf die Gesell­schaft scha­det der Wett­be­werbs­fä­hig­keit Deutsch­lands im Ver­gleich zu ande­ren Län­dern. Wenn deut­sche Ener­gie­prei­se auf­grund einer über­for­dern­den Vor­ge­hens­wei­se welt­weit füh­rend sind, könn­te dies zur Ver­la­ge­rung von Unter­neh­men in ande­re Län­der füh­ren, was letzt­end­lich nur zu einer Ver­schie­bung der CO2-Emis­sio­nen füh­ren wür­de. Aus­ge­wo­ge­ne und ähn­li­che Ziel­stel­lun­gen der Haupt­ver­ur­sa­cher von Treib­haus­ga­sen sind daher der Weg, um Ver­la­ge­rungs­ef­fek­te zu verhindern.

Schlussfolgerungen

Das Ver­hält­nis zwi­schen Emis­sio­nen und Absorp­ti­on von Treib­haus­ga­sen zeigt eine Abbil­dung aus dem Welt­kli­ma­be­richt (IPCC AR6 Phys­Sci­ence­Ba­sis (2021)). Rund 50 Pro­zent der Emis­sio­nen wer­den durch Welt­mee­re und Pflan­zen auf­ge­nom­men. Es ver­blei­ben 50 Pro­zent in der Atmo­sphä­re. Die Wir­kung natür­li­cher Sen­ken ist in der öffent­li­chen Dis­kus­si­on in Deutsch­land kaum bekannt.

IPCC AR6 PhysScienceBasis (2021) - 6. Assessment Report of the IPCC - Physical Science Basis
CO2-Kreis­lauf; Quel­le: IPCC AR6 Phys­Sci­ence­Ba­sis (2021) — 6. Assess­ment Report of the IPCC — Phy­si­cal Sci­ence Basis

Unter Ein­be­zie­hung der Sen­ken wird somit bis 2050 zunächst eine 50-pro­zen­ti­ge Reduk­ti­on von Treib­haus­ga­sen benö­tigt. Kli­ma­neu­tra­li­tät besteht bereits bei begrenz­ter wei­te­rer Nut­zung fos­si­ler Ener­gie­quel­len, ins­be­son­de­re Erd­gas, ohne eine 100-pro­zen­ti­ge Reduk­ti­on der Treib­haus­gas­emis­sio­nen. Die­se Erkennt­nis ist nicht tri­vi­al. Inzwi­schen gibt es Stu­di­en, die den Ein­fluss des mensch­li­chen Atems auf das Kli­ma als rele­vant betrach­ten. Dies ist lei­der kei­ne Satire.

Die Her­stel­lung des Gleich­ge­wich­tes zwi­schen Emis­sio­nen und Auf­nah­me ver­bun­den mit Maß­nah­men zur Ver­stär­kung der Wir­kung natür­li­cher Sen­ken bis 2050 führt zur Net­to-Null-Emis­si­on. Dies ver­hin­dert bereits den wei­te­ren Anstieg von Treib­haus­gas­emis­sio­nen. 

Der voll­stän­di­ge Aus­stieg aus fos­si­len Ener­gie­trä­gern kann somit einen lang­fris­ti­gen Zeit­ho­ri­zont bis 2100 mit mehr Hand­lungs­op­tio­nen umfas­sen. Dies betrifft auch tech­ni­sche Maß­nah­men wie CO2-Spei­che­rung oder die CO2-Nut­zung in der che­mi­schen Indus­trie, aber auch den wei­te­ren Aus­bau der Kernenergie.

Tech­no­lo­gi­sche Offen­heit im Gegen­satz zu ideo­lo­gisch gepräg­ten Tech­no­lo­gie­vor­schrif­ten bestimmt den Unter­schied zwi­schen Län­dern mit hoher Inno­va­ti­ons­kraft sowie büro­kra­ti­schen Plansystemen.

Daher lau­tet die Emp­feh­lung an Deutsch­land, den Weg der Tech­no­lo­gie­of­fen­heit, von Inno­va­tio­nen und Wett­be­werb mit grund­le­gen­den, staat­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen unter Beach­tung des inter­na­tio­na­len Wett­be­werbs zu bege­hen; anstatt durch tech­ni­sche Detail­re­gu­lie­rung, büro­kra­tisch orga­ni­sier­tem Wan­del, durch Ver­bo­te und tech­ni­sche Ein­schrän­kun­gen Ent­wick­lungs­po­ten­zi­al zu ver­lie­ren und den wirt­schaft­li­chen Rück­wärts­gang einzulegen.

Quellen

Gan­te­för (2023): ENERGIE ist LEBEN — Mehr Opti­mis­mus in der Kli­ma­de­bat­te (Vor­trag am KIT) – Vor­le­sungs­rei­he Ener­gie und Kli­ma, Teil 99. Auf You­tube gela­den am 22.12.2024, https://youtu.be/LYUlEMzllTM?si=Au9e-gkoKlcSf6U0

IPCC AR6 Phys­Sci­ence­Ba­sis (2021): Inter­go­vern­men­tal panel on cli­ma­te chan­ge. Working group I – Con­tri­bu­ti­on to the Sixth Assess­ment Report of the IPCC. AR6 Cli­ma­te Chan­ge 2021: The Phy­si­cal Sci­ence Basis. Figu­re 5.12: Chap­ter 5. pp. 673–816, doi: 10.1017/9781009157896.007. 2021

Mar­cott et al. (2013): Shaun A. Mar­cott, Jere­my D. Shakun, Peter U. Clark, Alan C..  Recon­s­truc­tion of Regio­nal and Glo­bal Tem­pe­ra­tu­re for the Past 11,300 Years. Sci­ence, Vol 339, Issue 6124, pp. 1198–1201. 8 March 2013. DOI: 10.1126/science.1228026

Kli­ma­neu­tra­li­tät oder 50 Pro­zent sind nicht gleich 100 Pro­zent: Lei­men / Hei­del­berg — 22. Dezem­ber 2023

Andre­as Kieß­ling, ener­gy design

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