Inhaltsverzeichnis
- Hintergrund und Motivation einer C/sells-Arbeitsgruppe zum regulatorischen Rahmen
- Standardisierung beschleunigt Innovation und schafft Massenfähigkeit
- Glossar mit Begriffssystem zum zellulären Energiesystem als Grundlage von Beteiligung und Autonomie
- Zelluläre Architektur und Digitalisierung
- Use Case Methodik
- Schutzmethodik — Schutzbedürfnisse im Energiesystem
- Flexibilitätsbegriff — Flexibilitätskonzepte — Flexibilitätsmodell
- Zusammenfassung der Ergebnisse des Projektes C/sells zu gemeinsamen technischen Regeln, Normen und Standards
Standardisierung beschleunigt Innovation und schafft Massenfähigkeit
Motivation
Die Erneuerbaren Energien bieten vielfältige Möglichkeiten der Beteiligung an den Chancen der Energiewende zur Eigengestaltung sowie zur lokalen und regionalen Wertschöpfung. Unverzichtbar ist dabei die integrierte Betrachtung von Energieflüssen bezüglich der Angebote für Strom, Wärme, Gas und Mobilität. Als Mittel zur Beherrschung der daraus resultierenden Komplexität dienen Autonomie und Flexibilität mit zellulären Systemen, Interoperabilität, gemeinsame Regeln, Digitalisierung sowie Informationssicherheit.
Diese Vielfalt kann nur dann massenfähig und wirtschaftlich beherrscht werden, wenn für grundlegende gemeinsame Abläufe Verabredungen zur Sprache und zum Aufbau des notwendigen Informationsaustausches, aber auch zur Gewährleistung von Sicherheit getroffen werden.
Aber Standardisierung wird häufig als Hindernis für Innovationen betrachtet. Die Gegenthese lautet, dass Standardisierung als Katalysator für Innovationen dienen kann [Blind, Knut. (10/2018)]. Zielgerichtete Standardisierung beschleunigt Innovation. Deshalb wurde in C/sells auch das Verhältnis der drei Handlungsebenen Regulierung, Standardisierung und Innovation zur Transformation des Energiesystems betrachtet. Dabei wird die Neujustierung des Verhältnisses von staatlicher, begrenzender Regulierung sowie von Industrie und Fachexperten getriebener internationaler Standardisierung im Kontext einer die Innovationen befördernden Standardisierung eingefordert. Zusätzlich besteht die Aufgabe, den schwierigen Transfer intellektueller Eigentumsrechte in Normen zu beachten.
Modulare und zelluläre Bauweise als Lösungsansatz
Um dem Kernthema der Energiewende, der Gestaltung eines flexibleren Systems gerecht zu werden, widmete sich das Projekt C/sells im Rahmen des vom Bundeswirschaftsministerium geförderten Schaufensterprogrammes SINTEG der Spezifikation gemeinsamer Methoden. Dies erfolgte unter besonderer Berücksichtigung des zellulärem Architekturansatzes für das zukünftige Energiesystem. Dies beinhaltet die Betrachtung nationaler und internationaler Energiesysteme als Systeme aus Systemen. Diese Architektur ermöglicht lokal und regional sowohl die autonome Gestaltung von Energieflüssen als auch die Unterstützung im Gesamtverbund, quasi als Energieorganismus.
Dazu erfolgte im Projekt die Beschreibung von Anwendungsfällen sowie die Ableitung von Anforderungen an Schnittstellen als auch an gemeinsamen Sicherheits- und Flexibilitätskonzepte. Auf Basis der hierbei beschriebenen Zielstellungen diente ein gemeinsames Standardisierungskonzept dazu, ein koordiniertes Vorgehen der vielfältigen Partner im zellulär organisierten Projekt zu erreichen.
Die Motivation zur Schaffung einer gemeinsamen normativen Basis für das zukünftige Energiesystem ergibt sich aus dem Projektansätzen Vielfalt, Partizipation und Zellularität. Die damit verbundene Innovationsvielfalt benötigt aber im Gesamtverbund sowohl eine gemeinsame normative Basis als auch Regeln eines Rechtssystems. Im Rahmen dieser Aktivitäten wurde die notwendige Neubewertung des Verhältnisses zwischen Rechtssystem und Standardisierung als normative Basis beim Systemumbau gefolgert. [C/sells – IOP Teil B+C. (03/2020)]
Wider dem Sprachwirrwarr beim Turmbau von Babel
Zur Erlangung eines gemeinsamen Verständnisses entstand zuerst eine Sprache zur Beschreibung eines zellulären Energiesystems auf Basis der System- und Modellbegriffe. Das Begriffssystem umfasst die Kategorisierung von Komponenten zur Beschreibung des Energiesystems in einer Zelle sowie der zugehörigen Funktionen, Schnittstellen und Eigenschaften. Dazu wurde ein Glossar für die einheitliche Verwendung von Begriffen erstellt und gepflegt. [C/sells – IOP Teil D. (04/2020)]
Zur Lösung komplexer Fragestellungen, die sich beispielsweise mit der Transformation des Energiesystems zu dezentralen Strukturen, mit volatiler Erzeugung und im Sektorenverbund ergeben, werden gesamtsystemische Betrachtungen benötigt. Dies entspricht einem Top-Down-Ansatz durch Eingrenzung auf geplante Handlungen bestimmter Akteure und ihrer Bedingungen im Rahmen eines Teilsystems. Dazu gehört die Bestimmung notwendiger Komponenten, Funktionen und Schnittstellen des Teilsystems auf Basis von Anwendungsfällen. Für dieses Vorgehen etablierte sich im internationalen Rahmen die Use Case-Methodik verbunden mit dem Smart Grid Architekturmodell zur Systembeschreibung. Diese Methodik ist sehr komplex und für den Praktiker nicht leicht nachzuvollziehen.
Deshalb wurde die Use Case-Methodik auf Basis des C/sells-Glossar genutzt, um mit dem „C/sells-Kochbuch“ eine gemeinsame Vorgehensweise für den Praktiker zu vereinbaren. Dies sicherte dasselbe Verständnis der Projektpartner im Gesamtsystem trotz Vielfalt der Ausprägung in autonom gestalteten Zellen.
[C/sells – IOP Teil F. (03/2020)], [C/sells – IOP Teil G. (05/2020)], [Bogensberger, Köppl, Kießling, Faller. (10/2018)]
Babel und Lessons Learned: Architektur vom Entwurf bis zur Planung
Zusätzlich galt es, im Rahmen der Use Case-Beschreibung auch ein gemeinsames Architekturverständnis zu erreichen. Dazu wurde ein Architekturmodell für zelluläre Systeme sowie ein zugehöriges Komponentenmodell in Verbindung mit den Komponenten des Infrastruktur-Informationssystems (IIS) bereitgestellt.
[C/sells – IOP Teil E. (05/2020)]
Als Querschnittsthema der Standardisisierung bei der Bestimmung von Anwendungsfällen und deren Implementierung wurde ebenso auf Grundlage des europäischen Standardisierungsmandates und der dort spezifizierten Schutzmethodik eine vereinfachte Methodenbeschreibung erstellt. Musterlösungen dienten dabei der besseren Veranschaulichung.
[C/sells – IOP Teil H. (04/2020)]
Ein über alle Teilprojekte reichender Arbeitskreis widmete sich der Aufgabe, Vorschläge für ein Flexibilitätsmodell, für Flexibilitätsnachrichten und für deren sichere Übertragung zu erarbeiten. Diese Beiträge zur Standardisierung von Flexibilitätsnachrichten bei der Vielfalt möglicher Flexibilitätsmechanismen im Markt und im Netz wurden durch die Ergebnisse der Fachgruppe Flexibilität zur Kategorisierung dieser Mechanismen möglich.
[C/sells – FG Flexibilität. (12/2018)], [C/sells – IOP Teil I. (03/2020)]
Auf dieser Grundlage wurde ein gemeinsames Flexibilitätsmodell für das Flexibilitätskataster spezifiziert, auf dessen Basis weiterführende Standardisierungsaktivitäten in nationalen und internationalen Gremien vorgeschlagen werden. Das Ziel besteht darin, mit einer vereinbarten Sprache und einer gemeinsamen digitalen Infrastruktur – dem IIS – Flexibilitätsnachrichten massenfähig und sicher übertragen. Hierzu spezifizierten Projektpartner die Nutzung eines sicheren Weges über das intelligente Messsystem (CLS-Kanal) mittels eines standardisierten Infrastrukturdienstes für Energiemarktteilnehmer. Die Umsetzung erfolgte im Rahmen einer Pilotlösung bei der Lab Noir-Demonstration zur Inselfähigkeit eines Wohnhausverbundes in der Nähe von Heidelberg im Autonomie Lab Leimen.
Verbreitung der Erkenntnisse
Im Autonomie Lab Leimen wirkten Partner projektübergreifend an der Spezifikation einer Musterlösung zur Kommunikation von Flexibilitätsnachrichten über den sicheren Kanal des Smart Meter Gateways. Hierbei wurde eine standardisierte Lösung für einen digitalen Netzanschluss zur Leistungsbeeinflussung am Netzanschluss erarbeitet.
[C/sells – HLUCs G‑H-I. (11/2020)]
An dieser Lösung beteiligten sich C/sells-Partner (z.B. EEBus-Initiative und Stadtwerke München) projektübergreifend an der Spezifikation einer VDE-Anwendungsregel mit Use-Case-Spezifikationen sowie der Beschreibung einer technischen Umsetzung auf Basis einer nationalen Standardisierungsinitiative (EEBus).
[VDE-AR‑E 2829–6‑1], [VDE-AR‑E 2829–6‑2, 3, 4]
Die Ergebnisse aus C/sells werden somit unter der Bezeichnung „Digitaler Netzanschluss“ in Standardisierungsgremien aufgegriffen und finden erste Anwendung über das Projekt hinaus.
Der Vorschlag zum digitalen Netzanschluss in Verbindung mit dem Wirken in Standardisierungsgremien ist ein Beispiel für die Verknüpfung zu nationalen, europäischen und internationalen Normungsgremien sowie zur Regelsetzung in Verbänden. Dies erfolgt im nationalen Rahmen auch durch die Mitwirkung der Projektpartner VIVAVIS (früher IDS) und der PPC AG an der Task Force Smart Metering, Smart Grid und Smart Mobility bei BMWi und BSI sowie der damit verbundenen Spiegelung der dortigen Aktivitäten im DKE Systemkomitee K901 durch den Unterauftragnehmer von Fraunhofer ISE (Andreas Kießling, energy design) sowie Vivavis, PPC und Stadtwerke München.
Die Erfahrungen aus der Nutzung der Use Case Methodik in Verbindung mit dem zellulären Architekturkonzept werden auch in internationale Standardisierungsgremien (IEC TC 57, WG16) eingebracht (Stadtwerke München, FfE e.V.).
Die Bewertung von Aktivitäten zur Interoperabilität in C/sells erfolgte bezogen auf Musterlösungen. Dabei ergänzte die Betrachtung des Verhältnisses von Regularien und Energierecht das Verfahren. Auf dieser Grundlage wurden Maßnahmen zur Beförderung von Innovationen in Verbindung mit der Sicherung von technischem Wissen vorgeschlagen. Aus Sicht des Projektes C/sells besteht dabei die Notwendigkeit, das Verhältnis der Gestaltungsebenen staatliche Regulierung sowie Standardisierung und Innovation unter den Bedingungen der Systemtransformation neu auszurichten. Die resultierenden Vorschläge sind Bestandteil der Abschlussdokumentation.
[C/sells – IOP Teil B+C. (11/2020)]
C/sells-Vorschlag
Standardisierung beschleunigt Innovation. Auf dieser Grundlage schlägt das Projekt C/sells in Ableitung der Ergebnisse verschiedener Demonstrationen die Spezifikation der Anwendungsregel für einen digitalen Netzanschlusses sowie dessen Förderung entsprechend nachfolgender Maßnahmen vor:
- Förderung autonomer, lokaler Energiemanagementsysteme als Grundlage von Eigenverbrauch als auch von Energiegemeinschaften
- Spezifikation eines digitalen Netzanschlusses an Gebäuden mit Kommunikationszugang, intelligentem Messsystem und Leistungssteuerung am Netzanschluss sowie Förderung von lokalen Kommunikationsnetzwerken in Gebäuden als Bestandteil der Ausstattung mit Energiemanagementsystemen
- Ersatz bisheriger Standardlastprofile durch öffentlich in Informationskomponenten bereitgestellte Standard-Prosumentenprofile an Netzanschlüssen
- Förderung von Plattformen für Energiegemeinschaften zur Verbindung von Eigenverbrauchslösungen sowie Gestaltung von Rahmenbedingungen für eine vereinfachte Direktvermarktung unter Abbau von Bürokratie, Berichtspflichten und Umlagen für Anlagen kleiner 30 kW
Digitaler Netzanschluss sowie Eigenverbrauchslösung (Zelle) mit lokalem Energiemanagement, Standard-Prosumentenprofilen und Überschuss-Vermarktung bei Prosumenten als Alternative zu BNetzA-Optionen
Quellen
[Blind, Knut. (10/2018)] Prof. Dr. Knut Blind. Standardisierung als Katalysator für Innovation – Inaugurationsrede, Stiftungslehrstuhl für Standardisierung, Rotterdam School of Management. DIN Deutsches Institut für Normung e.V., Berlin. Mai 2019.
[Bogensberger, Köppl, Kießling, Faller. (10/2018)] Kochrezept Use Case Methodik — Eine praktische Anwendungshilfe für alle C/sells-Partner. Leitfaden. München, Oktober 2018.
[C/sells – FG Flexibilität. (12/2018)] SINTEG-Programm des BMWi. Projekt C/sells. FG Flexibilität – Ergebnisdokument Flexibilität. 12/2018.
[C/sells – HLUCs G‑H-I. (12/2020)] SINTEG-Programm des BMWi. Projekt C/sells. Teilprojekt 5 / Arbeitspaket 5.5. Wirtschaftliche, interoperable und sichere Einbindung flexibler Energiewandler. 11/2020
[C/sells – IOP Teil B+C. (11/2020)] Interoperabilität — Grundlagen der Massenfähigkeit Teil B+C. Ergebnisse zu Methoden, Modelle für Interoperabilität durch Regeln, Standards und Normen sowie Verhältnis von Innovation, Standardisierung und Regulierung. SINTEG-Programm des BMWi. Projekt C/sells. Teilprojekt 2 / Arbeitspaket 2.8. 11/2020
[C/sells – IOP Teil D. (06/2020)] Interoperabilität — Grundlagen der Massenfähigkeit Teil D. Glossar: Ergebnisdokument Terminologie Zelluläres Energiesystem. SINTEG-Programm des BMWi. Projekt C/sells. Teilprojekt 2 / Arbeitspaket 2.8. 04/2020
[C/sells – IOP Teil E. (05/2020)] Interoperabilität — Grundlagen der Massenfähigkeit Teil E. Planung von Energiezellen und Verbund – Herausforderungen / Architektur / Komponenten / Musterlösungen. SINTEG-Programm des BMWi. Projekt C/sells. Teilprojekt 2 / Arbeitspaket 2.8. 05/2020
[C/sells – IOP Teil F. (03/2020)] Interoperabilität — Grundlagen der Massenfähigkeit Teil F. Use Case Methodik. SINTEG-Programm des BMWi. Projekt C/sells. Teilprojekt 2 / Arbeitspaket 2.8. 03/2020
[C/sells – IOP Teil G. (05/2020)] Interoperabilität — Grundlagen der Massenfähigkeit Teil G. Use Case Musterbeschreibung: Einführung in das Use Case Template am Beispiel einer Musterlösung. SINTEG-Programm des BMWi. Projekt C/sells. Teilprojekt 2 / Arbeitspaket 2.8. 05/2020
[C/sells – IOP Teil H. (04/2020)] Interoperabilität — Grundlagen der Massenfähigkeit Teil C. Schutzmethodik. SINTEG-Programm des BMWi. Projekt C/sells. Teilprojekt 2 / Arbeitspaket 2.8. 04/2020
[C/sells – IOP Teil I. (03/2020)] Interoperabilität — Grundlagen der Massenfähigkeit Teil C. Flexibilitätsmethodik. SINTEG-Programm des BMWi. Projekt C/sells. Teilprojekt 2 / Arbeitspaket 2.8. 03/2020
[VDE-AR‑E 2829–6‑1, 2, 3, 4] VDE-Anwendungsregel. Technischer Informationsaustausch an der Schnittstelle zur Liegenschaft und den darin befindlichen Elementen von Kundenanlagen. VDE DKE. Frankfurt am Main. 12/2020
Leimen, den 24. Februar 2021