Nachhaltigkeit — Ein Beitrag zur Begriffsbestimmung
Die Energiegewinnung basierte in der Geschichte des menschlichen Fortschrittes auf der Nutzung unterschiedlichster Energiequellen, wobei wir heute einerseits zwischen den konventionellen Energieträgern auf Basis fossiler Rohstoffe und den radioaktiven, für Kernspaltungsprozesse genutzten Materialien sowie anderseits den erneuerbaren Energiequellen unterscheiden. Um nun die Nutzungsformen von Energiequellen in diese Kategorien einordnen zu können, müssen wir uns kurz mit dem Begriff der Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Dieser Begriff wird teilweise inflationär eingesetzt. Im Kern wird dabei das Handlungsprinzip zur Ressourcen-Nutzung beschrieben, bei dem die Bewahrung der wesentlichen Eigenschaften, der Stabilität und der natürlichen Regenerationsfähigkeit des jeweiligen Systems im Vordergrund steht [Seite „Nachhaltigkeit“, In: Wikipedia, 31.03.2014]. Die Definition deutet darauf hin, dass der Begriff Nachhaltigkeit eher Dynamik als Statik beschreibt. Die Entwicklung der Lebensräume und damit der darin eingebetteten Energiesysteme ist ein dynamischer Prozess der Veränderung, der die Systemwandlung beinhaltet. Der Erhalt des Lebens erfordert aber auch eine gewisse Stabilität des Systems und seiner wesentlichen Eigenschaften. Zur Entwicklung des Lebens werden die Systemressourcen der jeweiligen Lebensräume benötigt. Um die notwendige Stabilität des Systems zu sichern, ist zwingend dessen Regenerationsfähigkeit zu gewährleisten, die sich auf Grundlage interner Prozessgeschwindigkeiten aber auch auf Basis des Austausches mit der externen Systemumgebung durch Zuflüsse und Abflüsse ergibt. Dieses fragile Gleichgewicht eines metastabilen Systems wurde durch die übermäßige Nutzung unserer fossilen Ressourcen sowie der natürlichen Angebote unserer Lebensräume gestört. In diesem komplexen Umfeld bewegt sich der Kern der Nachhaltigkeitsdiskussionen.
Fossile Energiequellen, Kernspaltung und Nachhaltigkeit
In Bezug auf die globalen Auswirkungen der seit der industriellen Revolution sich vorrangig entwickelnden Formen der Energiegewinnung mit fossilen und nuklearen Energiequellen sprechen wir deshalb heute von der Notwendigkeit einer nachhaltigen Energiepolitik. Es gilt die drohende Klimaveränderung durch den Ausstoß klimaschädlicher Gase in die Atmosphäre und damit den Verlust von Stabilität, mit katastrophalen Konsequenzen für die Entwicklung der seit 20.000 Jahren stabilen Lebensumwelt der Menschheit, abzuwenden sowie die natürlichen Ressourcen der Erde auch für unsere Nachkommen noch langfristig zu erhalten. Die Frage besteht darin, wie weit kann das Potential der Vergangenheit ausgeschöpft werden, um die Zukunft unter Erhalt der wesentlichen Systemeigenschaften und unter Ausnutzung der Systemregeneration zu gestalten.
Der Begriff Nachhaltigkeit ist aber ebenso bei der Beurteilung des Einsatzes nuklearer Energiequellen zu verwenden. Zwar ist spaltbares Material langfristig vorhanden. Es findet bei stabilem Betrieb eines Kernkraftwerkes auch kein Ausstoß klimaschädlicher Gase statt. Das inakzeptable Restrisiko einer radioaktiven Katastrophe und die Unmöglichkeit der stabilen Lagerung von radioaktiven Reststoffen über Jahrhunderttausende widersprechen aber den Nachhaltigkeitsprinzipien zum Erhalt wesentlicher Eigenschaften und der natürlichen Regenerationsfähigkeit des Systems Erde. Hier stellt sich die Frage, wie weit das zukünftige System belastet wird und damit vorab ausgeschöpft werden kann, um wichtige Systemeigenschaften auch in der Zukunft vorzufinden.
Insofern ist die Nutzung fossiler Energieträger nicht per se in die Kategorie nicht nachhaltiger Prozesse einzuordnen. Menschliche Energiegewinnung basierte lange auf der Anwendung eigener Muskelkraft oder der von Tieren, um Bewegungsenergie zu erhalten. Die Muskelkraft beruht wiederum auf der in Pflanzen und Tieren gespeicherten chemischen Energie, die mit der Nahrung aufgenommen wird. Die Energiegewinnung aus der Nahrungskette ist solange nachhaltig, wie nicht mehr Leben genommen wird als neu entstehen kann. Diesbezüglich ist die heutige Überfischung der Meere kein nachhaltiger Prozess.
Bioenergie und Nachhaltigkeit
Ebenso war die Gewinnung von Wärme für den menschlichen Bedarf beim Heizen und Kochen unter Nutzung organischer, pflanzlicher Rohstoffe, beispielsweise durch die Nutzung von Holz, solange nachhaltig, wie weniger Holz verbraucht wurde als zur gleichen Zeit nachwachsen konnte. Gleichzeitig bewirkte die ausgeglichene Nutzung zwischen Abbau und neuem Wachstum, dass der Kohlendioxid-Anteil in der Luft konstant blieb. Bei einer geringen Bevölkerungszahl auf der Erde konnte dies gewährleistet werden. Unter den Bedingungen des massiven Bevölkerungswachstums zeigt das heutige Schwinden von Waldflächen in Ostasien und in Südamerika nun, dass diese Form der Umwandlung von Energiearten nicht mehr nachhaltig ist. Heute nutzen wir die Ressourcen schneller als sie nachwachsen können und geben mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre ab als neu gebunden wird. Die Eigenschaften des Systems Erde ändern sich damit massiv. Überlebensfähige Gesellschaften der Vergangenheit bewahrten die Ressourcen ihrer Umwelt. Bei Raubbau an den Ressourcen im Sinne nicht nachhaltiger Verwendung verschwand Schritt für Schritt die Lebensgrundlage der entsprechenden Gesellschaft und so endete die jeweilige erfolgreiche Entwicklung.
Geschichte nachhaltiger Energieträger
Doch auch schon vor der Periode der Industrialisierung mit intensiver Nutzung fossiler Energieträger nutzte die Menschheit erneuerbare Energien. Schiffe fuhren mit Windkraft. Seit 2000 vor Christus wird Wasserenergie zum Antrieb mechanischer Einrichtungen genutzt. In der Mehlmühle arbeitete der Müller mit Windkraft. Schon 1500 vor Christus haben die Ägypter begonnen, Sonnenenergie zu nutzen. Zur Zeit des Pharaos Echnaton wurden mit Sonnenenergie die Tore eines Tempels morgens geöffnet und abends geschlossen, indem Sonnenkollektoren Wasser erwärmten und die mechanische Energie aus der Ausdehnung von Wasser gewonnen wurde. Vor der ersten industriellen Revolution bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts wurde die zur Produktion benötigte Energie vorrangig durch Wind- und Wasserkraft gewonnen. Schon 1790 erbrachten in Europa eine halbe Million Kleinwasserräder eine Leistung von ungefähr 1,65 Gigawatt [Rifkin, 2014].
Energieeffizienz und Effektivität der Verteilung
Um den Wechsel zur nachhaltigen Energiewirtschaft zu vollziehen, gilt es einerseits erneuerbare Energiequellen zu nutzen, aber anderseits die Energieeffizienz der Prozesse zur Energiegewinnung, zur Verteilung, Speicherung sowie zur Energienutzung zu erhöhen. Auch hier liegen Beispiele der Vergangenheit vor. Das erste Elektrofahrzeug wurde 1881 gebaut. Die Wasserstoffelektrolyse mit Dynamos gibt es seit 1866. Zur Minimierung von Transportverlusten wurde elektrische Energie zu Beginn der Elektrifizierung dezentral gewonnen.
In grundlegender Betrachtung ist die Verbindung von erneuerbaren Energien zur Gestaltung nachhaltiger Energiekreisläufe und Energieeffizienz nicht zwingend, da eventuell ein höherer Durchsatz von Energie in Kreisläufen auf nachhaltige Weise möglich ist und damit Effizienz keine Rolle spielt. Unter Betrachtung der globalen Herausforderung, den Weg der fossilen Energiegewinnung in diesem Jahrhundert zu verlassen, den wachsenden Energiehunger einer sich vergrößernden Menschheit im Prozess der Urbanisierung und Modernisierung zu befriedigen und gleichzeitig die Konversion des Energiesystems zu erneuerbaren Energien erfolgreich zu gestalten, wird aber schnell klar, dass die deutliche Erhöhung der Energieeffizienz ein unverzichtbares Begleitmittel im globalen Maßstab der Systementwicklung bleibt. Bei lokaler oder regionaler Betrachtung geschlossener Energiekreisläufe, die teilweise schon in naher Zukunft auf 100 Prozent erneuerbaren Energien basieren können, ergeben sich andere Aspekte. Gebäude, Gebäudekomplexe oder Städte entwickeln sich zu lokalen Lebensräumen mit Überschüssen an erneuerbaren Energien zu bestimmten Zeiten, die über Energieangebote in Beziehung zu ihrer Umwelt treten können.
Die Effektivität der Verteilung von Energie in einem stark vernetzten System energetisch eigenständiger Energiesysteme wird nun zu einem wichtigen Beurteilungskriterium von Energiekreisläufen. Effizienz ist dabei das Mittel, um sicherzustellen, dass in einem Energiesystemverbund verschiedener Lebensräume Nachhaltigkeit in optimierter Weise erreicht werden kann. Effizienz ist also neben dem Ausbau erneuerbarer Energien ein wichtiger Schritt, um den Weg der Nachhaltigkeit zu betreten. Effektivität stellt wiederum das Mittel zur optimalen Verteilung der Energie in Systemen dar, in denen mit 100 Prozent erneuerbaren Energien Nachhaltigkeit erreicht wurde. Dabei gilt es, in der Interaktion mit anderen Systemen Energie in der Art erfolgreich zu verteilen, dass Nachhaltigkeit auch bei wachsenden Energieflüssen mit unterschiedlichen Erfordernissen auf widerstandsfähige Weise erhalten wird. Das sich im Energieorganismus entwickelnde Ökosystem interagierender Lebensräume erlebt damit einen Prozess der synergetischen Koevolution, also der wechselseitigen Anpassung autonomer aber trotzdem verbundener Systeme in Form eigenständiger und verbundener Gebäude, der Stadt-/Landbeziehung sowie der Interaktion von Regionen.
Die aufkommende Kohle- und Erdölwirtschaft während der ersten und zweiten industriellen Revolution beschleunigte die menschliche Entwicklung, reduzierte aber gleichzeitig die Innovationsfähigkeit der Energiewirtschaft. Die Kohle‑, Gas- und Erdölnutzung machte über ein Jahrhundert alle Überlegungen bezüglich neuer Energieträger überflüssig. Der Energiehunger der Menschheit ab Mitte des 20. Jahrhunderts bedurfte neuer Überlegungen. Auch hier war der Weg zuerst einseitig. Die Kernenergie eroberte ab den 1950-er Jahren die Welt. Die Erkenntnisse ihrer ebenso eingeschränkten Nachhaltigkeit aufgrund des Restrisikos der Verseuchung ganzer Regionen sowie der ungelösten Endlagerproblematik reiften erst ab den 1980-er Jahren.
Erst die Erkenntnisse bezüglich sehr schnell zu Ende gehender Ressourcen, die in vielen Jahrmillionen entstanden waren, der zunehmenden Belastung der Atmosphäre mit klimaschädlichen Gasen sowie der auf Grundlage von fossilen Energieträgern nicht umsetzbaren Elektrifizierung in riesigen Entwicklungsregionen der Welt in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts führten dazu, dass sich technologische Innovationen wieder mit anderen Ansätzen beschäftigten. Themen rund um erneuerbare Energien und Energieeffizienz traten wieder in den Vordergrund. Letztendlich ist damit die Rückbesinnung auf ein schon in früheren Zeiten der menschlichen Entwicklung erkanntes sinnvolles Verhalten verbunden. Tatsächlich bedeutet der Begriff Energiewende die Rückkehr zu intelligenten und der Menschheit bereits bekannten Ansätzen bei neuen technologischen Möglichkeiten sowie zu einem höheren Bewusstsein für den Lebensraum, um den in Deutschland geborenen Begriff für die Transformation des Energiesystems zu nutzen.
Rifkin, J. (2014). The Zero Marginal Cost Society: The Internet of Things, the Collaborative Commons, and the Eclipse of Capitalism (1. April 2014). Palgrave Macmillan. ISBN-13: 978–1137278463
Kießling, Andreas (Hrsg.).; Hartmann, Gunnar (2013). Energie zyklisch denken. Etwa 130 S., E‑Book (Amazon). Leimen. 01.10.2013. ISBN 978–3‑00–047441‑5.