Differenzen als Grundlage aller Energieflüsse und damit allen Seins
Beschäftigung mit Energie
Die mit dem Übergang zu erneuerbaren Energien verbundenen Chancen regen dazu an, sich mit Energie zu beschäftigen. Doch was ist Energie eigentlich?
Energie bemerken wir erst in ihrer Wirkung, wenn Unterschiede dazu führen, dass Bewegung und damit Veränderung aufkommt. Stellen wir uns zur Vereinfachung eine völlig glatte und unbewegliche Wasseroberfläche mit einer scheinbar unendlich großen Anzahl von Wassermolekülen vor. Im Wasser als Gesamtheit gibt es keine Veränderung außer der lokalen, für unsere Augen unsichtbaren Wärmebewegung der einzelnen Wassermoleküle, solange das Wasser sich in seinem eigenen geschlossenen System selbst überlassen wird. Nun gibt es aber da draußen eine angriffslustige Welt. Diese Welt über der Wasseroberfläche besitzt eine Atmosphäre mit unterschiedlichem Luftdruck an verschiedenen Stellen der Wasserfläche. Mit diesen Unterschieden zwischen zwei Orten besteht in der Atmosphäre ein sogenanntes Energiepotential.
Aber die physikalische Welt sucht im makroskopischen Bereich immer nach Ausgleich, also auch hier nach Ausgleich zwischen dem Druck an zwei Orten. Dies geschieht dadurch, dass die Luft in Bewegung kommt, wobei die Luft vom Ort des hohen Luftdrucks zum Ort des niedrigen Luftdrucks fließt, um den Druckunterschied auszugleichen. Diese Bewegung der Luft spüren wir auf unserer Haut und bezeichnen sie als Wind. Nun bewegt sich der Wind auch über die Wasseroberfläche und verändert sie somit. Es entstehen Wellen an der Oberfläche. Im Wasser selbst existierte keine potentielle Energie, weil es gleichmäßig verteilt war und keine anderen Unterschiede – wie zum Beispiel Temperaturunterschiede — zu verzeichnen waren. In der Luft jedoch existierte potentielle Energie aufgrund der Luftdruckunterschiede an zwei Orten. Der Ausgleich des Luftdrucks führt zu sogenannter kinetischer Energie oder einfacher ausgedrückt Bewegungsenergie. Die sich bewegende Luft reibt sich an der bisher glatten Wasseroberfläche, womit kinetische Energie auf das Wasser wirkt. Dabei verteilen sich die Wassermoleküle in neuer Form. Potentielle Energieformen verursachen Bewegungsenergie, die Veränderungsprozesse in der materiellen Welt auslöst. Formen und Dinge entstehen damit ständig neu.
Differenzen als Grundlage aller Flüsse von Energie und damit allen Seins
Energiepotentiale sind somit Differenzen, die im Streben nach Ausgleich zur Bewegung der Materie führen. Dabei wird Energie transportiert und Differenzen werden an anderen Orten erzeugt. Ruhe und stabile Zustände sind nur scheinbar existent, da zeitlich begrenzt. Deshalb leben wir, verändern uns und sterben. Aber ohne Energie gäbe es uns als physikalische Wesen überhaupt nicht. Wir benötigen Unterschiede, Strukturen in der Welt und keinen gleichmäßig ausgeleuchteten Himmel, um zu leben und uns zu entwickeln. Es gibt immer irgendwelche Treiber in dieser Welt, die Energiepotentiale bilden und damit in der Lage sind, Entwicklung also Veränderung anzuschieben. Wir wollen uns nicht der Frage widmen, was in diesem Universum das Urpotential als Ausgangspunkt jeder Entwicklung repräsentiert. Aber sicher ist, ohne dieses Potential, das Physiker gern mit dem Urknall umschreiben, gäbe es keine Welt. Wir wissen heute nicht, warum die Initialzündung durch die Entstehung von Urdifferenzen, die metaphorisch als spontane Symmetriebrechung bezeichnet werden, plötzlich Licht in die Welt brachte. Licht entsteht auf der Grundlage von Differenzen als Unterschiede. Es strahlt von den Orten der Helligkeit hin zu den Orten der Dunkelheit. Mit diesen Unterschieden entstanden Milliarden von Galaxien mit jeweils Milliarden von Sonnen und ihren Planeten. Auf den Planeten entstand das Leben. Dieses Leben kann die überall vorhandene, auf der Grundlage von Differenzen existierende Energie gewinnen und mit der Einleitung von Veränderungen unsere eigene kulturelle Erweiterung der natürlichen Welt schaffen. Innerhalb unserer Zeitrechnung im Universum initiierte Ausgangspotentiale führten zu vielfältigen neuen Potentialen, die wir als Differenzen zur Gewinnung von Energie nutzen können.
Nutzung von Potentialen während der Entwicklung der Menschheit
Seit Beginn des industriellen Wachstums nutzen die Menschen vorrangig Potentiale zur Energiebeschaffung, die direkt mit über Jahrmillionen angesammelten organischen Ressourcen auf der Erde verbunden sind. Dies betrifft die Ressourcen an Kohle, Erdöl und Gas. Nun verbraucht die Menschheit aber leider Ressourcen aus Jahrmillionen in wenigen Jahrhunderten. Dies ist nicht nachhaltig, da die Nutzung der Ressourcen vorrangig auf Verbrennung basiert und die dabei abgegebene Restwärme letztendlich im Weltraum landet. Damit sind für uns die lange angehäuften Potentiale verloren, da sie sich nicht ausreichend schnell erneuern können. Unter nachhaltiger Energienutzung verstehen wir den Einsatz von Energiepotentialen, die uns immer wieder in Zeithorizonten neu zur Verfügung stehen, die den Zeitabschnitten entsprechen, in denen diese Energie in verschiedene andere Energieformen zur Nutzung durch unsere Gesellschaft umgewandelt wird. Dies betrifft insbesondere die Verwendung der Potentiale zur Erzeugung von Wärme sowie zur Erzeugung von kinetischer Energie für die Fortbewegung oder das Antreiben von Generatoren zur Gewinnung von elektrischer Energie. Nachhaltige Energiegewinnung führt zu langfristig stabilen Kreisläufen, die unsere Veränderungsprozesse antreiben, ohne zum Stillstand zu kommen.
Die Frage ist nun, ob wir die bisherige Art der Energiegewinnung beibehalten, die unseren Planeten so radikal verändert, dass die Grundlagen unseres Lebens verloren gehen oder ob wir zu nachhaltigen Energieumwandlungsformen übergehen können.
Wie können wir dem aktuellen Dilemma der Energienutzung entkommen? Wie haben die Menschen früher Energie gewonnen, um diese für Wärme und Bewegung zu nutzen? Welche Möglichkeiten bieten sich uns heute? Können wir etwas von früheren Formen der Energiegewinnung lernen, um mit heutigen technologischen Möglichkeiten falsche Wege der Neuzeit zu verlassen und mit alten Wegen moderne Zeiten zu beschreiten. Nichts anderes drückt der Begriff Energiewende aus. Bevor wir uns aber den Möglichkeiten der Energiegewinnung in Kreisläufen widmen, sollen noch die gesellschaftlichen Aspekte der Anwendung von Differenzen bewertet werden.
Gesellschaftliche Aspekte von Differenzen
„Wir haben darauf zu vertrauen, dass jeder einzigartig ist und alle verschieden. Das muss zur vollen Blüte gebracht und in Kooperation mit anderen zusammen geführt werden, damit etwas entsteht, was höchste Flexibilität besitzt. Flexibilität ist das Rezept der Natur zur besten Anpassung von höher entwickelten Wesen an zukünftige Anforderungen. Sie sind nicht optimiert auf ganz bestimmte Situationen, sondern sie sind optimiert auf etwas, was prinzipiell unbekannt ist, eben auf eine Zukunft hin, die wesentlich offen ist.”
(Hans-Peter Dürr, Quantenphysiker, langjähriger Mitarbeiter von Werner Heisenberg, Träger des Alternativen Nobelpreises)
Differenzen als Antriebskraft gesellschaftlicher Entwicklung
Energie stellt die fundamentale Größe der Physik dar. Physiker können Energie beschreiben, wissen aber nicht wirklich, was im Kern Energie ist. Der Energiebegriff wird anschaulich, aber nicht fundamental, beschrieben als Fähigkeit Arbeit zu verrichten. Arbeit im weiten Sinne bedeutet hier, Körper in Bewegung zu versetzen, zu verformen, Gas zusammenzudrücken, elektrischen Strom fließen zu lassen oder elektromagnetische Wellen beispielsweise als Radiowellen abzusenden. Besonders viel Arbeit wird verrichtet, um uns am Leben zu erhalten.
Wir nehmen Energie also erst richtig war, wenn sie etwas bewirkt, wenn sie einem Stück Materie entlang eines Weges eine bestimmte Wirkung verleiht, wenn sie einen Fluss der Veränderung auslöst und Formen schafft.
(„Leben heißt Spuren zu hinterlassen.“ Walter Benjamin)
Wir beschreiben Energie damit nicht als irgendeine Substanz, sondern in ihrer Wirkung. Ihre Wirkung basiert aber nur auf Potentialen, die die eigentliche Fähigkeit zur Wirkung ausdrücken, wie im letzten Abschnitt schon ausgeführt. Potentiale bedeuten Differenzen in der an verschiedenen Orten unterschiedlichen Fähigkeit Arbeit zu verrichten. Wenn die Fähigkeit Wirkung zu verrichten an allen Orten gleich wäre, würde es keine Wirkung von Energie geben. Erst die Differenzen führen zur Wirkung und damit zur Schaffung von Gestalt durch Energie, die Arbeit verrichtet. Differenzen sind als eine Art potentielle Form die Ursache der Entwicklung und Energie stellt die Wirkung dar, durch die Gestalt als materielles Ergebnis entsteht.
Die Frage ist nun, wie Differenzen entstehen. Dies können die Physiker heute im eigentlichen Ursprung nicht erklären. Wir haben schon über den Urknall als Ursprung aller Differenzen gesprochen. Quantenphysiker beschreiben die Differenzen als vielfältige Potentiale, die alle gleichzeitig denkbar sind. Erst der Beobachter wählt einen bestimmten Differenzenzustand durch die Wahl seiner Beobachtungsmethode aus. Damit wäre die Ursache aller Energie dann die Information. Wir wollen hier aber nicht weiter philosophieren, inwieweit Informationsbereitstellung und damit vielleicht das Denken die Welt verändert. Aber grundsätzlich sind in der Welt die Gesetze gleich. Genauso wie Differenzen und damit die verbundene Wirkung von Energie die Formen unserer erlebbaren Welt gestalten, so entwickeln Differenzen das gesellschaftliche Sein und verändern damit die Natur durch neue Formen der menschlichen Kultur. Die menschliche Gesellschaft schafft dabei neue formgebende Ursachen, die wiederum unsere erlebte Wirklichkeit verändern.
Insofern müssen wir uns fragen, ob der stetige Prozess der Wandlung lokaler menschlicher Kulturkreise mit lokalen Wirtschaftskreisläufen und unterschiedlichsten politischen Ausgestaltungsformen der Gesellschaft zu einer globalisierten und völlig vereinheitlichten Welt vollständig gestützt werden kann. Die positive Zielstellung gleicher Möglichkeiten für alle Menschen darf nicht zu einer Einheitskultur führen. Ein scheinbar für alle Menschen geltende politische Idealkonstruktion sowie weltweit standardisierte, einheitliche Wirtschaftskreisläufe schaffen Differenzen ab. Mit der Abschaffung von Differenzen verlieren wir formgebende Ursachen und damit in der Konsequenz Antriebe unserer Entwicklung. Völliger Ausgleich von Differenzen bedeutet Stillstand.
Anderseits bedeutet völlig lokales Denken die Entwicklung eines geschlossenen Systems, dem der Input der Umgebung fehlt. Das System kann sich dann nur noch innerhalb seiner Grenzen entwickeln. Wenn dieses lokale System in sich wiederum einheitliche Mechanismen hat, verliert es ebenso Differenzen und das lokale System erstarrt.
Wir schließen daraus, dass völlig lokal zentrierte Gesellschaften mit einem stark ausgeprägten Nationalismus ebenso bezüglich ihrer Entwicklungsfähigkeit erstarren. Dies wäre die Zukunft einer völlig globalisierten Gesellschaft als ein umfassendes System ohne ausreichende interne Differenzen und ohne externe Beeinflussung.
Die Kunst einer innovativen und entwicklungsfähigen Gesellschaft besteht somit darin, lokal als eigenständiges System zu agieren, aber gleichzeitig die globale Vernetzung für eine genügende externe Beeinflussung anzustreben. Differenzen befördern die Entwicklungsfähigkeit abgeschlossener stabiler Einheiten, wenn gleichzeitig die Möglichkeit geschaffen wird, Grenzen vielfältig zu überspielen. Damit aber ein umfassendes und einheitliches System der menschlichen Gesellschaft auf dem Planeten Erde nicht ohne externen Einfluss erstarrt, sind Differenzen und damit auch Grenzen zu gestalten. Es wird eine transparente Hülle des Systems Gesellschaft benötigt. Der Leitspruch jeder gesellschaftlichen Einheit sollte lauten: Handle lokal und denke global. Weltumfassendes Denken ist zu verbinden mit regionalem Handeln.
Betonung von Regionalität bedeutet jedoch keinen Provinzialismus im isolierten Dasein, sondern eine neue Form der Gemeinschaft in der globalen Welt als Ganzes. Letztendlich bedeutet dieses gesellschaftliche Denken die Verbindung von Handlungen in regionalen Kreisläufen als eine Art selbstständige Zelle zu verbundenen Kreisläufen in einem globalen Organismus. Die gesellschaftliche Entwicklung beschreibt damit einen Weg, den auch die Entwicklung des Lebens gegangen ist. Beseitigt eine Gesellschaft alle Differenzen oder schafft undurchdringbare Grenzen, dann erstarrt die Gesellschaft in sich selbst und leitet den Beginn ihrer Abwärtsentwicklung ein. Dies bewirkt aber auch das völlige Abschaffen von Grenzen und Differenzen in einer völlig globalisierten Welt.
Das politische Projekt besteht darin, Differenzen zu betonen und Verbundenheit zu schaffen. Dies soll nachfolgend für die zukünftige Gestaltung des Energiesystems zu einem System breiter Beteiligung von Prosumenten abgeleitet werden, in dem die Bürger, mittelständische Unternehmen, Kommunen und Regionen vielfältige Chancen bei gleichzeitiger Beachtung von Nachhaltigkeit erhalten.
Kießling, Andreas (Hrsg.).; Hartmann, Gunnar (2013). Energie zyklisch denken. Etwa 130 S., E‑Book (Amazon). Leimen. 01.10.2013. ISBN 978–3‑00–047441‑5.