Komplexität im Wechselspiel von Globalisierung, Regionalität und Beteiligung
Die Menschheit steht mit dem Bevölkerungswachstum, der Globalisierung sowie dem Wandel zum nachhaltigen Wachstum großen Herausforderungen gegenüber. Die damit verbundenen Aufgabenstellungen wurden in Form der siebzehn globalen Ziele gefasst. Dazu zählen Themen wie bezahlbare und saubere Energie sowie nachhaltige Städte und Gemeinden. Aber auch nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktion, Innovation und Infrastruktur, sauberes Wasser sowie natürlich der Klimaschutz gehören eng zusammen.
Damit wächst der Grad der Vernetzung sowie die Vielfalt der Aufgaben und Beteiligten mit neuen Organisationsformen. Dies führt zu einem Grad an Komplexität, der die Grenzen zentraler Formen der staatlichen Regulierung offenbart. Mit der durch Erneuerbare Energien zunehmenden Dezentralität und Gestaltungsvielfalt bis in die Stadtquartiere und Gebäude entstehen neue Anforderungen. Dies betrifft insbesondere die Massenfähigkeit durch wirtschaftliche und automatisierte Anlagen- und Geräteintegration. Dabei kann der Austausch von Energie und Information zwischen Zellen bis auf Gebäudeebene nur dann gelingen, wenn die zugehörige Infrastruktur mittels Digitalisierung modernisiert wird. Die Größe dieser Aufgabe führt zur Fragestellung nach dem Verhältnis von Innovation und Technikregulierung.
Sicherheit und Datenschutz im Umfeld der Dezentralisierung
Mit der Digitalisierung als Hilfsmittel für Dezentralisierung und Beteiligung sind Energie- und Informationsnetze gemeinsam zu denken. Dabei beruht die Sicherheit der Energieinfrastruktur zunehmend auf der Sicherheit der Informationsinfrastruktur. So ist die Initiative der Bundesregierung, durch neue Regeln die Sicherheit der kritischen Infrastrukturen auch für die Zukunft zu gewährleisten, grundsätzlich zu begrüßen. Dezentralisierung führt zur Verbindung mit einer Vielzahl von Geräten in den Gebäuden und damit zu neuen Anforderungen an die Gewährleistung von Informationssicherheit und Datenschutz. Das intelligente Messsystem bildet dabei eine wichtige Grundlage zur sicheren Kommunikation. Trotzdem muss die Frage gestellt werden, ob die Konzentration auf den Kanal des intelligenten Messsystems zur Steuerung der Energieflüsse in Gebäuden ausreichend ist. Das Verhältnis von Innovation und Technikregulierung ist neu zu überdenken.
Geschützter Zugangsweg mit intelligentem Messsystem
Der hochsichere Tunnel zur Kommunikation in das Gebäude kann aufgrund umfangreicher Maßnahmen nur sehr schwer unbefugt betreten werden. Aber beim Verlassen des Tunnels öffnet sich wieder die Vielfalt der Kommunikationswege zu Bestandteilen des Gebäudes als auch zu den Nutzern im Internet der Dinge.
Nun dauerte schon die Konzipierung und Bereitstellung von intelligenten Messsystemen inklusive dieses Tunnels zehn lange Jahre. Die vorgesehene Steuerung der Energieflüsse über diesen Weg wirkt aber unvermeidbar in Verbindung mit oben genannten weiteren Anwendungsdomänen der Lebenswirklichkeit.
Im Projekt C/sells wird diese Komplexität beispielsweise im Rahmen der Demonstrationszelle „AutonomieLab Leimen“ sichtbar. Unterschiedliche Ziele und Autonomiebestrebungen bestehen zwischen Inhabern und Nutzern von Gebäuden oder Wohnquartieren in Verbindung mit externen Dienstleistern der Energienetze und Energiemärkte. Hinzu kommen die Anforderungen für weitere Gebäudefunktionen anderer Lebensbereiche. Der für die Abstimmung der Energieflüssse zwischen Gebäude und Netzen notwendige sichere Kommunikationstunnel des Smart Meter Gateways ist in der Realität nicht der einzige Zugangsweg. Die Kommunikationswege hinter demTunnel verbinden vielfältig zu anderen Feldern des Lebens.
Deshalb muss der Versuch, jegliche Art von Kommunikation über diesen Tunnel durch zentrale, technisch im Detail regulierte Prozesse vorzugeben, zum Scheitern verurteilt sein.
Schnittstelle zwischen Regulierung und gesellschaftlicher Gestaltungskraft
Die Grenze zwischen gesellschaftlicher Gestaltungskraft und staatlicher Regulierung im Energiesektor, also zwischen Innovation und Technikregulierung, ist zu definieren.
Einerseits benötigen Dezentralisierung und Beteiligung Innovationen, um neue Gestaltungsmöglichkeiten zu erschließen. Anderseits ist Standardisierung die Grundlage zur Gewährleistung von Massenfähigkeit. Standards gewährleisten Interoperabilität zwischen verschiedenen Lösungen und damit Wirtschaftlichkeit. Sie sichern aber sogleich gemeinsame Regeln, um trotz Gestaltungshoheit in Autonomiezellen die Stabilität im Gesamtsystem, den notwendigen Grad an Flexibilität sowie die Sicherheit im Energiesystem zu gewährleisten.
Zur Ausgestaltung der notwendigen Kommunikations- und Sicherheitsprotokolle bis zu den Anlagen und Geräten stehen nationale und internationale Normungsgremien bereit. Dabei liefern sich die Industrienationen ein Rennen um die Digitalisierung. Aber dieses Rennen ist nicht durch eine detaillierte technische Regulierung zu gewinnen. Zum Erfolg führt die Nutzung der Innovationsfähigkeit der nationalen Industrie unter Einbindung in internationale Standardisierungsprozesse.
Politik sollte deshalb nur Anforderungen für die sichere und standardisierte Kommunikation in Verbindung mit einer Standardisierungs-Roadmap unter Berücksichtigung einer ganzheitlichen, die Sektoren verbindenden Systembetrachtung festlegen. Die Spezifikation und die Umsetzung der daraus folgenden Maßnahmen wiederum kann auf die Kompetenz und die Innovationen der nationalen und internationalen Industrie aufbauen.
Andreas Kießling, Leimen, 10. April 2020