Vorwort
Aufgeschrieben wird hier die unendliche Geschichte vom Smart Metering in Deutschland. Dabei soll deren Erzählung keinen Pessimismus verbreiten. Noch können wir auf den guten Ausgang der Geschichte hoffen. Aber der Verlauf dieser Reise offenbart uns manche Lehre, wie Innovationsfähigkeit eines Landes sowie seiner Wissenschaftler und Ingenieure nicht in Bürokratie und detailverliebter Planwirtschaft erstickt werden sollte.
„Denk‘ ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“ (Heinrich Heine)
Es war einmal
Es war einmal eine Bundesregierung in der ersten Regierungsperiode der Jahre 2005 bis 2009 von Mutti Merkel zusammen mit den Sozialdemokraten. Diese Bundesregierung wollte im Jahre 2007 die Aktualisierung eines Gesetzes verabschieden, das den Ursprung für die unendliche Geschichte vom Smart Metering beinhaltete.
Dabei ging es im Rahmen des Energiewirtschaftsgesetzes um die Liberalisierung des Messwesens. Dies klingt nicht besonders spannend, aber hiermit sollte die Aufmerksamkeit auf ein wichtiges Thema gelenkt werden.
Im Jahre 2000 definierte Europa die Grundlagen seiner Klimapolitik. Die Beschleunigung dieser Politik erfolgte mit der Verabschiedung der europäischen Energiestrategie im Jahre 2007. Dazu gehören die Reduktion des Kohlendioxidausstosses und der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Diese Strategie beschrieb aber auch die Notwendigkeit zur Erhöhung der Energieeffizienz. Es geht darum, für das gleiche Ergebnis weniger Energie zu benötigen. Damit verbunden war die Hoffnung, dass die zeitnahe Veranschaulichung der Energienutzung beim Verbraucher das Bewusstsein für mögliche Energiesparmaßnahmen erhöhen würde. Digitale Energiemesseinrichtungen, die unter dem nicht so bevölkerungsnahen Begriff Smart Metering allen Staaten der europäischen Union dringend empfohlen wurden, sollten die Grundlage bilden.
In Deutschland war nun die Hoffnung groß, dass ein freier Markt im Bereich des Messwesens bald eine Vielfalt von Geräten und Diensten für den Verbraucher bereitstellen würde. Die genannte Gesetzesaktualisierung sollte also den Rahmen für die notwendige Liberalisierung schaffen. Die Idee bestand darin, dass neue Messgeräte die verstaubte, Jahrzehnte alte Technik ersetzen. Die neuen Geräte sollten digital und fernauslesbar sein, womit neue Dienstleistungen über das Internet zur Veranschaulichung der Energienutzung möglich wurden. Aber die Rechnung wurde ohne den Amtsschimmel gemacht. Während der Bundestag den Vorschlag der Bundesregierung schon abgesegnet hatte, witterten die Länder mit fernauslesbaren Messgeräten die Kundenüberwachung. Ein Kompromiss wurde erst im Jahre 2008 geschlossen, um nun endlich den Markt mit digitalen Stromzählern ohne Fernauslesung zu beglücken.
Fortsetzung
Die unendliche Geschichte vom Smart Metering setzte sich in der Regierungsperiode zwischen 2009 bis 2013 von Mutti Merkel zusammen mit den Freidemokraten fort.
Für die Bundesregierung arbeitet eine Vielzahl von Ministerien mit einem großen Apparat an Beamten. Die Aktualisierung der Energiewirtschaftsgesetze und damit die Liberalisierung des Messwesens lagen in den Händen des Wirtschaftsministeriums. Dort wiederum gab es zwei Bereiche, die sich nicht so freundschaftlich verbunden waren. Es gab ein Gerangel um Zuständigkeiten. Dem einen Bereich gehörten die Energiethemen, verbunden mit einem Wirtschaftszweig, der Deutschland gemeinsam mit der Autoindustrie vor 100 Jahren zu Reichtum verhalf. Der andere Bereich verantwortete die Themen rund um Informations- und Kommunikationstechnologien. Hierzu gehört natürlich das Internet, das Mutti bis vor wenigen Jahren noch als Neuland bezeichnete. Hier ist Deutschland leider nicht so erfolgreich wie Länder und Unternehmen im weiten Westen und dem genauso weiten Osten.
Nun wäre der Fortschritt beim Ausbau der Erneuerbaren Energien durch Mutti und die Vertreter der alten Industriezweige Deutschlands beinahe ausgebremst worden. Die neue Koalition entschied sich auf Druck von Lobbyisten der Energiewirtschaft, den Betrieb der Kernkraftwerke zu verlängern.
Aber es gab einen Tag, der die Spielregeln radikal veränderte. Aufgrund eines sehr schweren Erdbebens am 11. März 2011 kam es zur Katastrophe im japanischen Kernkraftwerk von Fukushima. In der Folge versagte die Kühlung und mehrere der Kraftwerksblöcke explodierten durch den bei der Überhitzung freiwerdenden Wasserstoff. Eine ganze Region Japans wurde auf Ewigkeiten radioaktiv verseucht. Die nun weisere Mutti entschied sich zur Richtungsänderung bei der Energiepolitik Deutschlands. Die Erneuerbaren Energien konnten wieder verstärkt ausgebaut werden.
E‑Energy
Gleichzeitig wirkte seit 2007 im zweitgenannten Bereich des Wirtschaftsminsteriums ein innovativer Referent. Dieser agile und außergewöhnliche Vertreter des Beamtenapparates hatte die Idee, den elektronischen Themen der Jahrtausendwende unter den kryptischen Titeln E‑Commerce, E‑Business, E‑Government ein gefördertes Projekt unter dem Titel E‑Energy hinzuzufügen. Dieses Programm sollte helfen, den Umbau des Energiesystems entsprechend den europäischen Zielen voranzubringen. Damit verbunden waren natürlich Lösungen zur Liberalisierung des Messwesens unter dem Begriff Smart Metering. Nun hatte aber der Kompromiss von 2008 dem Projekt E‑Energy ein faules Ei gelegt. Wie kann eine zeitnahe Analyse der Verbräuche für Energienutzer ohne Datenschnittstelle umgesetzt werden? Messdaten sollten in Perioden von Minuten oder gar Sekunden Verbrauchern oder Dienstleistern zugeführt werden. Die Fernauslesung und die Nutzung von Messdaten für verschiedene Dienstleistungen wurden im Rahmen von E‑Energy gefordert.
Erneut kam es zur Konfrontation mit den Datenschützern. Mit Messdaten bis in den Sekundenbereich lässt sich das Verhalten des Energienutzers in einer Wohnung erschließen.
Die Schlussfolgerung war grundsätzlich korrekt. Das Wirtschaftsministerium beauftragte eine untergeordnete Behörde – das Bundesaufsichtsamt für Sicherheit in der Informationstechnik, kurz BSI – mit der Erstellung einer Vorschrift zum Schutz der Messdaten. Es sollte sichergestellt werden, dass die Messdaten nur deren Besitzer oder durch ihn vertraglich beauftragte Dienstleister erhalten.
Die Organisation der Ausführung war verheerend für den Fortschritt bei der Verbreitung von Smart Metering. Der Vorschlag der Industrie bestand darin, durch das BSI Anforderungen an die neuen Messgeräte festzulegen und die anforderungsgerechte Umsetzung den Unternehmen zu überlassen, um dann wiederum die Ausführung zu prüfen.
Stattdessen wählten BSI und Wirtschaftsministerium ein anderes Verfahren. Hierbei sollte die Behörde mit ihren eingeschränkten Ressourcen sowohl die Anforderungen als auch die technische Umsetzung bestimmen. Im Jahre 2013 sollte das Ergebnis feststehen, um im Jahre 2014 Geräte entwickeln zu können. Die unendliche Geschichte vom Smart Metering ging in die nächste Runde.
Mutti’s dritter Streich
Mutti erhielt im Auftrag des Volkes eine dritte Regierungsperiode zwischen den Jahren 2013 und 2017, nun aber wieder vereint mit den Sozialdemokraten.
Dazu gehörte jetzt ein männliches Alphatier aus dem fremden Lande Niedersachsen. Den Titel Vati hat er nie erhalten, doch auch er wollte später einmal Bundeskanzler werden. Wenn es aber um Energie geht, sind die Sozialdemokraten gespalten. Die eine Seite findet Erneuerbare Energien sehr gut. Aber deren Vertreter aus den Kohleländern sind gegen Windräder und Strom von der Sonne. Sie lieben die großen Löcher in der Erde, aus denen man die schwarze und braune Kohle zum Verbrennen in großen Kraftwerken holt. Das viele Kohlendioxid in der Luft finden sie auch nicht so schlimm, denn die Klimaeerwärmung ist doch kein Problem. Temperaturschwankungen gab es schließlich schon immer, oder?
Ausflug zum Erdklima
Richtig, doch in den letzten 8000 Jahren schwankten die Temperaturen auf der Erde um rund 1,5 Grad. Aktuell verzeichnen wir eine Erhöhung von einem Grad in den letzten 50 Jahren und weitere zwei Grad werden bis zum Jahr 2100 vorhergesagt. Die mittlere Temperatur der Erde erhöht sich also seit 1970 um zwei bis drei Grad innerhalb von 130 Jahren. Wir stehen dann mit über 17 Grad Celsius Durchschnittstemperatur an der oberen Kante der nachfolgenden Abbildung aus dem Jahre 1995. Seitdem stieg die Temperatur schon um weitere 0,5 Grad. Diese Änderungsrate wurde lediglich am Ende der letzten Eiszeit vor 8000 bis 10000 Jahren übertroffen. Von den verheerenden Auswirkungen der Sintflut zu dieser Zeit hat wahrscheinlich jedermann gehört. Aber wir haben keine 2000 Jahre Zeit zur Anpassung, sondern der Prozess vollzieht sich innerhalb eines Jahrhunderts!
Bild: Bodennahe nordhemisphärische Mitteltemperaturen der letzten 11.000 Jahre nach Dansgaard (1969) und Schönwiese (1995), (aus KIHZ, 2000)
Lenker der Energiewende verwechseln Gas und Bremse
Wir waren vor dem Ausflug zum Klima bei Mutti’s drittem Streich stehengeblieben. Die Zustimmung zum Vertrag der neuen Koalition war geprägt vom Streit zwischen den Verfechtern der Kohleenergie und der Erneuerbaren Energie. Die mitgliederstärksten Organisationen kamen aus den Kohleregionen und der Rest ist Geschichte. Die politischen Lenker der Energiewende rutschten vom Gaspedal auf die Bremse. Zwei Jahre gingen ins Land, bevor weitere Entscheidungen getroffen wurden.
Statt den Schwung der E‑Energy-Projekte zu nutzen, starteten neue relevante Förderprogramme unter den Titeln „Intelligente Netze“ und „Schaufenster intelligente Energie — SINTEG“ erst in den Jahren 2016 und 2017.
Die unendliche Geschichte vom Smart Metering hatte Sendepause. Statt Verabschiedung der Anforderungen und Umsetzungsvorschriften im Jahre 2013 verging das Jahr 2014. Die deutsche Energiewirtschaft und Industrie wartete auch im Jahre 2015 auf Entscheidungen und wartete und wartete.
Im Jahre 2016 sollte es endlich soweit sein, dachte man. Das Digitalisierungsgesetz und damit die Vorschriften zur Verbreitung digitaler und fernauslesbarer Messeinrichtungen wurden verabschiedet. Das Jahr 2017 sollte das Jahr der ersten Geräte sein. Aber auch dieses Jahr zerrann ergebnislos.
Auf ein Neues
Es folgte die Regierungsperiode zwischen 2017 und 2021. Mutti gewann zum vierten Mal den Jackpot. Aber niemand wollte wirklich mit ihr regieren. Die Sozialdemokraten fielen nach dem gleich am Wahlabend abgebenen Verzicht auf die Regierungsbeteiligung wieder um und beteiligten sich doch.
Dank halbjähriger Kompromissbildung in der ungeliebten Gemeinschaft fiel die Priorität von Maßnahmen zur Energiewende weiter. Aus dem internationalen Vorreiter der Energiewende wird ein Nachzügler, der seine eigenen Ziele nicht erfüllt. Die europäische Förderung der dezentralen Energiewende mit Eigen- und Mieterstromkonzepten spielt in Deutschland keine Rolle. Bürgergenossenschaften und regionale Initiativen werden mit Ausschreibungsmodellen, die nur große Anbieter finanziell stemmen können, behindert. Deckel für die Förderung erneuerbarer Energieanlagen lassen den Ausbau dramatisch einbrechen. Wichtige Themen wie Elektromobilität, Förderung von Energiespeichern und die integrierte Betrachtung der Sektoren Strom, Wärme und Gas werden stiefmütterlich behandelt. Das notwendige Marktdesign für Erneuerbare Energien wird nicht gestaltet. Stattdessen werden die Erneuerbaren in das Marktregime der konventionellen Kraftwerke gezwängt.
Das unseelige Verfahren, Anforderungen, Umsetzungsfestlegungen und Zertifizierung von Messeinrichtungen beim BSI-Apparat mit dem entsprechenden Flaschenhals aufgrund nicht ausreichender Ressourcen zu belassen, verzögert die Markteinführung von Smart Metering weiter.
Im Jahre 2017 startete das neue Förderprojekt unter der Bezeichnung SINTEG. Auftrag dieses Programmes ist es insbesondere, den Rollout intelligenter Messsysteme in Gang zu bringen. Die ersten Geräte sollten nun endlich im Jahre 2018 zur Verfügung stehen. Aber auch dieses Jahr verging und die Industrie wartete weiterhin auf erfolgreiche Zertifizierungen.
Aber es geschah ein Wunder. Zu Beginn des Jahres 2019 konnte die erste Zertifizierung verzeichnet werden. Der Hersteller PPC bewies unter diesen ungünstigen Umständen ein langes Durchhaltevermögen und erreichte als Erster die Ziellinie. Das Gesetz schreibt aber zur Markteinführung die Zertifizierung von drei Herstellern vor. Akteure des Energiemarktes warten also weiter auf den Erfolg von Geschäftsmodellen, die auf den neuen Messsystemen basieren.
Die unendliche Geschichte vom Smart Metering und kein Ende
Zwölf Jahre waren seit 2007 mit der ersten politischen Initiative zu neuen Messsystemen vergangen. Vier verschiedene Regierungskoalitionen agierten unter Führung von Mutti Merkel. Zwölf Jahre verstrichen in Deutschland bis zu ersten zertifizierten Geräten.
Das erste Smartphone – das iPhone — wurde am 9. Januar 2007 von Steve Jobs vorgestellt, inzwischen vielfältig verändert und kopiert. Der Aktienkurs von Amazon stand 2007 bei 50 Dollar und steht nun bei knapp 2000 Dollar. Netflix brachte es damals auf 3 Dollar und besitzt heute einen Kurs in 120-facher Höhe. Im Jahre 2002 gründete Elon Musk Tesla und beschloss 2003 Raketen für den Flug zum Mars zu entwickeln. Inzwischen befördert SpaceX regelmäßig Material zur Raumstation ISS.
Die für intelligente Messsysteme entstehenden Plattformen sollten Grundlage für eine sichere Integration von Energieanlagen in das Internet sowie das Energiemanagement in Gebäuden sein. Künstliche Intelligenz sollte unterstützen, den Energieverbrauch zu senken und Energieeffizienz zu erhöhen.
Das Ausbremsen der Energiewende durch die ungeeignete Vorgehensweise zur Gestaltung technischer Infrastrukturen führte dazu, dass Deutschland seine internationale Führungsrolle verlor. China übernahm gern diese Rolle. Zusätzlich bieten die großen Internetunternehmen zunehmend Dienste zum Energiemanagement in Gebäuden ohne das deutsche Messsystem an. Amazon entwickelte Chipsätze, die in jedes Haushaltsgerät eingebaut direkt mit dem Assistenten Alexa zusammenwirken. Der Google-Assistent steht seit der Übernahme des Anbieters von Heizungsreglern Nest bereit. Der internationale Markt und auch zunehmend deutsche Unternehmen entwickeln am Messsystem vorbei. Dabei bieten sie eigene Messeinrichtungen und sichere Zugangsverfahren an.
Zwölf Jahre sind in der Informations- und Kommunikationstechnologie Äonen. Das Energiesystem mag über 100 Jahre in einer relativ fixen Struktur bestanden haben. In der Ära der Digitalisierung funktionieren alte Prozesse beim Umbau des Energiesystems auf Basis Erneuerbarer Energien nicht mehr. Heutige politische Prozesse und Abläufe in den Beamtenapparaten sind nicht für das Innovationstempo bei der Digitalisierung geeignet.
Nachwort
Die unendliche Geschichte vom Smart Metering kann noch ein versöhnliches Ende nehmen. Dies gelingt aber nur, wenn die Vertreter des Wirtschaftsministeriums und des BSI verstehen, dass sich Gesetzgebung und Regulierung aus der weiteren technischen Gestaltung zurückziehen müssen. Festzulegen sind ausschließlich die grundsätzlichen Zielstellungen, die Anforderungen an den Markt, an die Versorgungssicherheit sowie an den Schutz der Menschen und seiner Rechte inklusive des Datenschutzes. Bei der technischen Umsetzung sollte auf die Innovationsfähigkeit der Wissenschaftler und Ingenieure vertraut werden.
Eine detaillierte Planwirtschaft für das intelligente Energiesystem ist in der vernetzten und globalen Welt ungeeignet. Große Pläne sind in Ordnung. Aber Detailplanungen des Staates behindern eher deren Realisierung. Dies zeigen uns die Erfahrungen früherer Planwirtschaften. Eventuell liegt hier auch das Erfolgsrezept der chinesischen Wirtschaft in den letzten zwanzig Jahren. Große Pläne wurden mit der Kreativität und Freiheit des Marktes verbunden.
Dies ist Voraussetzung, dass die unendliche Geschichte vom Smart Metering gut enden kann.
PS: Die Nutzung des Begriffes „Mutti Merkel“ soll nicht von mangelndem Respekt zeugen. Ziel des Artikels war es, in satirischer Weise die aktuelle Problematik auf den Punkt zu bringen und verständlich zu machen.
Andreas Kießling, Leimen, 04. Mai 2019