Vom Wert der Differenzierung auch auf dem Weg zur nachhaltigen Gesellschaft
Undemokratischer Eingriff
Natürlich muss dem delegierten Rechtsakt der EU-Kommission zur Einordnung von Energie aus fossilem Gas und aus Kernkraftwerken widersprochen werden. Der Grund liegt allein schon darin, dass die Kommission zusammen mit den Mitgliedsländern undemokratisch den Gesetzgebungsprozess des EU-Parlaments umgeht. Hinzu kommt die damit verbundene Belohnung von Lobbyismus. Ein Zugeständnis erhielt Macron für die Kernkraftwerke Frankreichs. Aber schwerwiegender ist, dass hauptsächlich Russland als Handelspartner davon profitiert, wenn Gas und Atomkraft — zur dieser Sprachregelung kommen wir noch — als nachhaltig eingestuft werden. Dies hat eine Greenpeace-Untersuchung gezeigt. Russischer Lobbyismus funktioniert in Brüssel anscheinend hervorragend. Diese Punkte zeigen, dass auch EU-Gremien ein Demokratieproblem haben können.
Gleichzeitig möchte ich aber dazu aufrufen, trotz notwendiger einfacher Worte in der öffentlichen Diskussion, stärker zu differenzieren. Einfache Überschriften, wie in der Presse beliebt, führen oft zu Schwarz-Weiß-Diskussionen. Sie machen es schwierig, Kompromisse zu erreichen. Es kommt ebenso auf die Grautöne an.
EU-Taxonomie und Sprache — Gas ist nicht gleich Gas
Verkürzt von Gas zu sprechen, wird dem Thema nicht gerecht. Selbstverständlich gehört in die EU-Taxonomie kein fossiles Gas. Fossiles Gas bildet zwar noch 10 bis 15 Jahre eine Brücke auf dem Weg zu 100 Prozent nachhaltiger Energie. Die Nutzung von fossilem Gas ist aber nicht nachhaltig. Wenn trotzdem entsprechende Investitionen in der Übergangszeit erfolgen, ist zu bewerten, mit welchem Ausstoß an Treibhausgas das fossile Gas gefördert und geliefert wird. Durch Fracking gefördertes Gas aus den USA besitzt den allerhöchsten Kohlendioxid-Fußabdruck. Insofern kann die Umstellung auf Lieferungen von LNG aus den USA auch nicht der richtige Weg sein.
Aber, Investitionen in Anlagen zur Erzeugung von Gas mit erneuerbarer Energie sind wiederum nachhaltig. Darunter fallen auch Investitionen in Anlagen zur Erzeugung von grünem Wasserstoff. Deshalb dürfen wir in der öffentlichen Diskussion nicht verkürzend von Gas sprechen. Aus der EU-Taxonomie ist nur fossiles Gas ausschließen.
EU-Taxonomie und Sprache — Atom ist nicht gleich Atom und es besitzt einen Kern
Dies trifft analog für den Begriff „Atomenergie“ zu. Der Begriff ist so weit gefasst, dass vielfältige Investitionen dazu gehören. Atomenergie wird bei jeglicher chemischen Reaktion in der Atomhülle aufgewendet oder freigesetzt. In der englischen Taxonomie wird der korrekte Begriff „nuclear energy“ benutzt. Auch im deutschsprachigen Raum geht es nicht um Atomenergie und Atomkraftwerke, sondern um Kernenergie und Kernkraftwerke.
Nun ist ebenso der Begriff Kernenergie als Ausschlusskriterium zu umfassend, denn nur die mit der Kernspaltung arbeitenden Kernkraftwerke sind nicht nachhaltig. Insbesondere geht es bei dieser Einordnung um das unbeherrschbare Restrisiko und die ungeklärte Endlagersituation, aber auch die für Mensch und Umwelt schädliche Uran-Förderung.
Aber weder in Deutschland noch in Europa gibt es einen Beschluss gegen Kernfusion, den ich persönlich für falsch halten würde. Kernfusion befindet sich noch in der Forschungsphase und die dafür notwendigen Investitionen werden benötigt. Heute gefasste politische Beschlüsse für mögliche Technologien der Zukunft wären nicht zielführend. Kernfusion lässt sich nicht in die gleiche Kategorie wie Kernspaltung einordnen. Endlager für die Ewigkeit werden nicht benötigt sowie ein die Umwelt zerstörender Bergbau findet nicht statt. Aktuelle Forschungen lassen auch einen Blick auf Fusionstechnologien ohne Radioaktivität erahnen (siehe auch https://energieorganismus.de/unendliche-geschichte-kernfusion/).
Diese differenzierte Betrachtung der Themen Gas und Kernenergie mag schwierig zu kommunizieren sein. Aber die Darstellung der Vielfalt von Möglichkeiten ist notwendig, um fundierte Entscheidungen treffen zu können.
Leimen / Heidelberg — 14. Juni 2022
Andreas Kießling, energy design,