“Ich habe die Schnauze voll”
Vom Wert der Chancen für Alle, von Beteiligung und Verständigung
Der Leipziger Prof. Dr. Knut Löschke schreibt am 28. September 2021 via Facebook einen Artikel unter dem Titel „Ich habe die Schnauze voll“, der ebenso auf reitschuster.de veröffentlicht wurde. Dabei wird auch der Begriff Klima-Geschwafel benutzt, zu dem ich als Autor des anschließenden Artikels sicherlich eine völlig konträre Meinung habe. Dies ist nicht der Grund für die Verlinkung und den nachfolgenden Kommentar. Im aktuellen Umgang mit Andersdenkenden sehe ich persönlich eine große Gefahr sowohl für unsere Demokratie als auch für die Zukunft der Menschheit. Dies inspirierte zu den weiteren Gedanken.
Umgang mit Andersdenkenden
Sicherlich muss man nicht jedem Punkt des von Prof. Löschke formulierten Wutausbruches folgen. Aber man kann verstehen, wie die Situation in unserem Land zu diesem Wutausbruch führen kann und warum diese Deutlichkeit wahrscheinlich auch nötig ist. Aus meiner Sicht hat unsere Gesellschaft eine überbordende Belehrungsmentalität entwickelt, die zunehmend Politik und Journalismus durchsetzt.
Dabei entstand eine eigenartige Form des Mainstream-Journalismus, der nicht die Vielfalt gesellschaftlicher Meinungen ausdrückt, sondern eine sogenannte richtige Meinung verbreiten will. Andersdenkende werden zu Querdenkern. Wieso wird dieses Wort überhaupt abfällig benutzt, denn ich war ein Leben lang gern Querdenker und beruflicher Quereinsteiger und damit erfolgreich?
Andersdenkende erhalten in allen Lagern Etiketten. Menschen werden mit Begriffen wie Vulgär-Pazifisten, Putin-Versteher, Klimaleugner, Impfgegner, Corona-Leugner, Rechts- oder Linksradikale, Gutmenschen oder auch unsolidarische Egoisten disqualifiziert. Auf andere Meinungen folgen Beschimpfungen, die auch vor qualifiziertesten Menschen nicht halt machen. Wie lassen sich ansonsten die Angriffe und der unverschämte Umgang von Herrn Lanz in seiner Talk-Show gegenüber David Precht deuten?
Überzeugung durch Belehrung und Verzichts-Mantra?
Hinzu kommt aber ein weiterer Aspekt. Im Journalismus scheinen negative Meldungen Garant hoher Einschaltquoten zu sein. Die Nachrichten quellen mit Meldungen zu Corona-Infektionen, zu Naturkatastrophen und Kriegsgefechten über. Die Medien nehmen scheinbar die Rolle als Lehrer der Bevölkerung ein. Der Konsument lernt, wie die Hände zu waschen sind, um sich nicht anzustecken. Er erfährt, dass solidarische Bürger Strom und Gas sparen und im Winter in der Wohnung einen Pullover anziehen müssen. Ärzte heißen nun Ärzt:innen. Die Rechtschreibprüfung des Textprogrammes steigt bei dieser Schreibweise sofort aus. Man macht uns glauben, dass die Welt nur durch Verzicht gerettet werden kann.
Nicht, dass ein falscher Eindruck entsteht. Die Energiewende bestimmt mein berufliches Leben. Der notwendige Umbau bedeutet aber nicht Verzicht. Weltuntergangsszenarien und Entzug besitzen keine Überzeugungskraft. Dann breitet sich eher Fatalismus aus, um die Endzeit noch einmal zu genießen. Nein, im Gegenteil: Menschen lassen sich nur von positiven Zukunftsbildern motivieren.
Wir können es gemeinsam schaffen. Die Zukunft besteht nicht aus Einschränkungen und Verzicht. Die Zukunft offeriert neue Wege des nachhaltigen Gedeihens, ohne die Umwelt zu zerstören. Die Medien sollten ihre Aufgabe darin sehen, neuen Chancen und Hoffnung zu verbreiten.
Chancenbewusstsein und Beteiligung
Wir können die Welt retten und gleichzeitig alle besser leben, wenn wir uns nicht im Streit der Systeme verlieren. Trotz vorhandener Unterschiede kann es gelingen, gemeinsam am Gedeihen der Menschheit zu wirken. Aus diesem Grunde begeistern auch Länder mit anderen Systemen, wie zum Beispiel die Vereinigten Arabischen Emirate.
Systeme sind unterschiedlich und trotzdem können Werte wie
- Identität in der Vielfalt,
- Stolz auf eigene Leistungen und Ehrgeiz
- Respekt im gegenseitigen Umgang und Akzeptanz,
- Koexistenz,
- Glaube an die gemeinsame Zukunft,
- Visionen für deren Wegbereitung,
- Einbindung statt Ausgrenzung sowie
- Toleranz
das gemeinsame Haus Erde sicherer und lebenswert machen.
Die EXPO 2020 war dazu ein Leerbeispiel. Die Chancen sind vielfältig. Dabei zeigte die Weltausstellung deutlich, dass insbesondere neue autonome Formen der Energiegewinnung, deren Nutzung in Gebäuden, lokalen Lebens- und Arbeitsräumen sowie Regionen als auch regionale Stoffkreisläufe auf allen Ebenen des menschlichen Lebens neue Möglichkeiten für die Beseitigung von Armut, von Hunger, von Wasser- und Energiemangel bieten. Die Erschließung dieser Chancen basiert auf einer breiten internationalen Zusammenarbeit.
Zusammenarbeit durch Verständigung
Eventuell widerspricht dieser Weg den Interessen der heute Mächtigen und der globalen Energiewirtschaft. Bei genauer Betrachtung geht es in der Ukraine auch um einen Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der USA um Energie und Rohstoffe sowie Einflusssphären.
Medien sollten beitragen, die geostrategischen Hintergründe verständlich zu machen und die Menschen motivieren, sich durch eigenes Handeln dieser Vergangenheit entgegenzustellen. Ein Denken in den Kategorien schwarz und weiß sowie gut und böse wird der Aufgabe nicht gerecht. Erst die Grautöne lassen uns die Welt verstehen.
Ich möchte deshalb die Medien aufrufen, Vielfalt zu vertreten, die Menschen zum Handeln zu motivieren und nicht zu belehren. Ich möchte die Politker Deutschlands aufrufen, den Menschen Hoffnung zu geben und Chancen zu verbreiten. Dabei sind insbesondere die Möglichkeiten des Handelns zu verstärken, statt mit Detailregulierung und Bürokratie das autonome Handeln der Menschen zu erschweren.
Mir ist bewusst, dass diese Stellungnahme sowohl Zustimmung als auch Widerspruch erzeugt. Deshalb würde ich mich über einen intensiven Austausch freuen, wenn dieser von gegenseitigem Respekt geprägt ist.
Bewusst lade ich deshalb auch Menschen ein, die konträr zu den veröffentlichten Positionen liegen. Persönlich denke ich, dass wir zur Rettung der Welt alle aus unseren Blasen der Weltbilder herauskommen müssen, damit wir nicht mehr sagen müssen “Ich habe die Schnauze voll”. Über Weiterleitungen des Artikels in anderen Netzwerken im Sinne einer breiteren Diskussion freue ich mich ebenso.
Leimen / Heidelberg — 05. Juli 2022
Andreas Kießling, energy design