Fragen an einen Energiewende-Kritiker

Nachruf zum Öffentlichen Brief an einen Energiewende-Kritiker

Zielscheibe der Energiewende-Kritiker
Zielscheibe der Energiewende-Kritiker, Creative Commons CC0 https://pixabay.com/de

Nachruf zum Öffentlichen Brief an einen Energiewende-Kritiker

Sehr geehrter Energiewende-Kritiker,

völ­lig legi­tim ist es natür­lich, eine ande­re Mei­nung zu ver­tre­ten.  An die­ser Stel­le besteht auch nicht die Absicht, ihnen die phy­si­ka­li­sche und tech­no­lo­gi­sche Kom­pe­tenz abzu­spre­chen. Die Fra­ge lau­tet nur, ob ihrer Dis­kus­si­on als Ener­gie­wen­de-Kri­ti­ker eine zu schma­le Welt­sicht zugrun­de liegt? Wer­den Lite­ra­tur­quel­len und Stu­di­en vor­ran­gig zur Unter­stüt­zung ihrer Zie­le aus­ge­wählt und treibt sie der Ehr­geiz, den eige­nen Blick­win­kel der gesam­ten Gesell­schaft aufzuprägen?

Wer die eige­ne Mei­nung unter hohem Auf­wand in die Gesell­schaft trägt, soll­te auch bereit sein, sich den Kri­ti­kern des eige­nen Stand­punk­tes zu stel­len, statt sich nur mit den Jün­gern der eige­nen Bot­schaft zu umge­ben. So war auch mein Ver­such zu ver­ste­hen, mit ihnen in den Aus­tausch zu tre­ten, den sie lei­der ignorierten.

Das Pro­blem mit der blin­den Gefolgs­schaft bei Jün­gern ist, dass die Predik­ten des Anfüh­rers meis­tens nicht mehr aus­rei­chend hin­ter­fragt wer­den. Bestä­tigt nun die­ser Kreis den Pre­di­ger regel­mä­ßig in sei­ner Mei­nung und der Wort­füh­rer unter­lässt die kri­ti­sche Dis­kus­si­on mit Gesprächs­part­nern außer­halb des Netz­wer­kes, folgt Blind­heit bezüg­lich eige­ner Denk­feh­ler und neu­er Wege.

In ande­rer Wei­se lässt sich ihr ein­sei­ti­ges Enga­ge­ment für Ener­gie aus der Kern­spal­tung nicht mehr interpretieren.

Zwar sind ihre Zwei­fel nach­zu­voll­zie­hen, ob allein Ener­gie aus Son­ne, Wind und Was­ser den Ener­gie­be­darf der Mensch­heit für das nächs­te Jahr­hun­dert decken kann. Hier­zu zäh­len natür­lich auch die Zie­le der Mensch­heit zu ande­ren Ster­nen zu gelan­gen und die For­men der Roh­stoff­nut­zung auf völ­lig neue Säu­len zu stel­len. Aber sie wer­fen den Ver­tre­tern Erneu­er­ba­rer Ener­gien vor, eine zu enge tech­no­lo­gi­sche Sicht auf die Mög­lich­kei­ten der Zukunft zu haben, um eine noch ver­eng­te­re Sicht selbst in ihrer soge­nann­ten Kolum­ne “Die Ener­gie­fra­ge” anzuwenden.

 

Was treibt die Verteidiger der Hochrisiko-Technologie Kernspaltung?

Ihre ein­ge­renz­te Sicht auf Kern­ener­gie bleibt unver­ständ­lich, ins­be­son­de­re aus Sicht mei­nes ursprüng­li­chen Beru­fes als Kern­phy­si­ker. Wenn sie ihren per­sön­li­chen Fokus auf die Kern­ener­gie aus­rich­ten, war­um schla­gen sie sich enga­giert auf die Sei­te der Kern­spal­tung, wenn doch die Kern­fu­si­on zukunfts­träch­ti­ger ist? Was treibt sie, die Gefah­ren der Radio­ak­ti­vi­tät zu ver­nied­li­chen, wenn ein­ge­setz­te Atom­bom­ben, wei­te­re Atom­bom­ben­ver­su­che sowie Unglü­cke mit Kern­kraft­wer­ken soviel Unglück über die Men­schen gebracht haben? Unter die­sem Blick­win­kel ist einer der Arti­kel in ihrer Kolum­ne „Die Ener­gie­fra­ge“ unter der Num­mer 53 mit dem bezeich­nen­den Titel „Ein­satz von Kern­ener­gie – ein Gebot der Ethik?“ schon fast maka­ber.  Ich zitie­re Dr. Friederich:

 “ Über­haupt ist die Tat­sa­che, dass es erns­te Unfäl­le in Kern­kraft­wer­ken gege­ben hat, kein Grund, auf Kern­ener­gie zu ver­zich­ten – nicht mehr jeden­falls, als der Unter­gang der Tita­nic ein Grund gewe­sen wäre, auf Schiff­fahrt zu ver­zich­ten, und nicht mehr, als der Bruch des Ban­qio-Damms in Chi­na 1975 mit über 170.000 Toten ein Grund gewe­sen wäre, auf Was­ser­kraft zu ver­zich­ten. Inge­nieu­re, die neue Reak­to­ren ent­wer­fen, haben ihre Schlüs­se aus Tscher­no­byl und Fuku­shi­ma gezo­gen. Sie zie­hen beim Design neu­er Reak­to­ren nicht nur Erd­be­ben und Tsu­na­mis in Betracht, son­dern auch mög­li­che Ter­ror­ak­te und Flugzeugabstürze.“

Der Unter­gang der Tita­nic wird mit der Ver­nich­tung gan­zer Lebens­räu­me im Umkreis vie­ler Hun­dert von Qua­drat­ki­lo­me­tern weit­räu­mig um Tscher­no­byl und Fuku­shi­ma ver­gli­chen. Fas­sungs­lo­sig­keit mach sich breit.

Die gesam­te Dis­kus­si­on in der Kolum­ne „Die Ener­gie­fra­ge“ ist davon­ge­tra­gen, mit der Kern­ener­gie eine Tech­no­lo­gie hoch­le­ben und ande­re Tech­no­lo­gien zur Nut­zung von Son­ne und Wind zu bekämp­fen. Wäh­rend der Her­aus­ge­ber den Ver­tre­tern Erneu­er­ba­rer Ener­gien Ein­sei­tig­keit vor­wirft, lässt er selbst genau die­se Tech­no­lo­gie­of­fen­heit ver­mis­sen. Hin­zu kommt, dass er der Poli­tik vor­wirft, nicht mehr die Bür­ger zu ver­tre­ten und zu einer neu­en „Bür­ger­be­we­gung für Kern­ener­gie“ auf­ruft, aber gleich­zei­tig die Chan­cen für loka­le Bür­ger­en­er­gie und regio­na­le Gestal­tungs­mög­lich­kei­ten der Erneu­er­ba­ren Ener­gien und wei­te­rer For­schungs­an­sät­ze für neue Ener­gie­tech­no­lo­gien völ­lig ignoriert.

 

Kernenergie ist keine Bürgerenergie!

Der Stand­punkt vom Ener­gie­wen­de-Kri­ti­ker und Her­aus­ge­ber der genann­ten Kolum­ne wür­de zum The­men­kreis Bür­ger­en­er­gie, Selbst­ge­stal­tung und Auto­no­mie, dem Ver­hält­nis von Sub­si­dia­ri­tät und Glo­ba­li­sie­rung im Kon­text der Ener­gie­fra­ge, der Demo­kra­ti­sie­rung der welt­wei­ten Ener­gie­wirt­schaft als Grund­la­ge für wirt­schaft­li­ches Wachs­tum in Län­dern, wo aktu­ell noch Mil­li­ar­den Men­schen der Zugang zur Elek­tri­zi­tät fehlt, sehr interessieren.

Wel­chen Sinn soll eine gefor­der­te Bür­ger­be­we­gung für Kern­ener­gie haben, die sie als neu­ge­grün­de­te, euro­päi­sche Bür­ger­be­we­gung unter dem Titel „Nuclear Pri­de Coali­ti­on“ fei­ern und die nur wenig Groß­kon­zer­ne der Welt rei­cher macht, wenn wir schon eine Bewe­gung für Ener­gie in der Bür­ger­hand haben, die die Ener­gie­fra­ge demo­kra­ti­siert und in die Ver­ant­wor­tung der Mehr­heit legt. Haben sie schon ein­mal dar­über nach­ge­dacht oder ver­tre­ten sie nur die Inter­es­sen weni­ger Unternehmen?

Sie zitie­ren Micha­el Shel­len­ber­ger, des­sen Aus­sa­gen zwar dar­in zu stüt­zen sind, dass dort der Lebens­stan­dard steigt, wo Ener­gie güns­tig im Über­fluss zu haben sei, dabei die Lebens­er­war­tung, das Bil­dungs­ni­veau und die all­ge­mei­ne Lebens­qua­li­tät zunimmt. Aber sein Engan­ge­ment für die klas­si­schen For­men der Kern­ener­gie ver­spricht genau das Gegen­teil und führt in die Abhän­gig­keit der Men­schen von weni­gen Unter­neh­men. Eine Bür­ger­be­we­gung für Kern­ener­gie ist ein Wider­spruch in sich. Bür­ger­be­we­gun­gen ste­hen für Demo­kra­tie, für Eigen­ver­ant­wor­tung und Mit­ge­stal­tung. Bür­ger­be­we­gun­gen rich­ten sich in der Regel gegen die Bevor­mun­dung von zu viel Staat, gegen Abhän­gig­kei­ten einer glo­ba­len Indus­trie und beto­nen Sub­si­dia­ri­tät. Mit dem Enga­ge­ment für gro­ße Kern­kraft­wer­ke wür­de eine Bür­ger­be­we­gung sich selbst ad absur­dum führen.

 

Neue Chancen schaffen und die Nutzung vorantreiben

Wie gesagt, das The­ma Kern­ener­gie soll­te klar in zwei Kate­go­rien zer­legt wer­den. Wäh­rend die Kern­spal­tung als Hoch­ri­si­ko-Tech­no­lo­gie auf den Müll­hau­fen der Geschicht gehört, bie­tet die Kern­fu­si­on neue Mög­lich­kei­ten und kann Chan­cen eröff­nen. Hier­zu las­sen sich auch hei­ße Ver­fah­ren, die ohne den Weg­be­glei­ter Radio­ak­ti­vi­tät auf­tre­ten, als zukünf­ti­ge Grund­last­kraft­wer­ke einbeziehen.

Dazu gehö­ren Anla­gen, die nicht im ther­mo­dy­na­mi­schen Gleich­ge­wicht betrie­ben, son­dern durch Laser­im­pul­se befeu­ert wer­den. Hier­zu zählt ein Ver­fah­ren zur Fusi­on von Was­ser­stoff­ker­nen mit Bor unter Nut­zung extre­mer Laser­im­pul­se, das auf Grund­la­ge der tech­no­lo­gi­schen Fort­schrit­te im Bereich inten­si­ver Laser mög­lich wird. Die Reak­ti­on zwi­schen Was­ser­stoff und Bor setzt kei­ne Neu­tro­nen und damit kei­ne Radio­ak­ti­vi­tät frei. Es wer­den im Rah­men die­ser Fusi­ons­re­ak­ti­on aus­schließ­lich sta­bi­le Heli­um­ker­ne gebildet.

Dazu gehört aber bei offe­ner Sicht­wei­se auch, die Dis­kus­si­on in noch uner­forsch­ten Grenz­be­rei­chen der Phy­sik zu ermög­li­chen. Ein Bei­spiel hier­für ist die Unter­su­chung von „kal­ten“ Fusi­ons­re­ak­tio­nen, die die Kern­fu­si­on in jeden Haus­halt tra­gen und der wei­te­ren Zen­tra­li­sie­rung der Ener­gie­fra­ge eine zusätz­li­che dezen­tra­le Kraft­wir­kung ent­ge­gen­set­zen kann. Auch die Nut­zung magne­ti­scher Fel­der, die Kopp­lung der Gra­vi­ta­ti­ons­kraft mit elek­tro­ma­gne­ti­schen Wir­kun­gen sowie die Quan­ten­fluk­ta­tio­nen des Vaku­ums bie­ten viel­fäl­ti­ge Forschungsansätze.

Inso­fern bin ich mit ihnen in einem Punkt einig. Wir benö­ti­gen mehr Tech­no­lo­gie­of­fen­heit zur lang­fris­ti­gen Lösung der Ener­gie­fra­ge. Wir wis­sen nicht, was uns die Tech­no­lo­gie­zu­kunft des 21. Jahr­hun­derts noch brin­gen wird. Aber die alte Tech­no­lo­gie Kern­spal­tung mit aller Kraft zu ver­tei­di­gen und die hoff­nungs­vol­le Ent­wick­lung einer dezen­tral und demo­kra­tisch in Bür­ger­hand anwend­ba­ren Ener­gie­ge­win­nung durch Wind und Son­ne gleich­zei­tig zu bekämp­fen, zeugt davon, dass sie ihre gepre­dig­te Tech­no­lo­gie­of­fen­heit selbst nicht ernst nehmen.

Dann ergibt sich schnell die Fol­ge­rung, dass ihre Dis­kus­si­on als Ener­gie­wen­de-Kri­ti­ker inter­es­sen­ge­trie­ben geführt wird, oder?

 

Lei­men, den 28. Okto­ber 2018, Dipl.-Phys. Andre­as Kießling

Über Andreas Kießling 110 Artikel
Andreas Kießling hat in Dresden Physik studiert und lebt im Raum Heidelberg. Er beteiligt sich als Freiberufler und Autor an der Gestaltung nachhaltiger Lebensräume und zugehöriger Energiekreisläufe. Dies betrifft Themen zu erneuerbaren und dezentral organisierten Energien. Veröffentlichungen als auch die Aktivitäten zur Beratung, zum Projektmanagement und zur Lehre dienen der Gestaltung von Energietechnologie, Energiepolitik und Energieökonomie mit regionalen und lokalen Chancen der Raumentwicklung in einer globalisierten Welt.

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