Inhaltsverzeichnis
- Vorwort — Dampfmaschine im Cyber War
- Zusammenfassung — Innovationsimpulse statt Detailregulierung
- Empfehlungen zur EEG- und EnWG-Novelle — Autonomie hinter dem Netzanschluss
- Treiber der Energiewende
- Standards sind Bindeglied zwischen Innovation und Sicherheit — Gestaltungsebenen wirtschaftlicher Entwicklung
- Eigenversorgung und Energiegemeinschaften
- Empfehlungen für die Schnittstelle zum Prosumenten
- C/sells-Position zum Stufenmodell des BMWI zur Weiterentwicklung von Standards für die Digitalisierung der Energiewende
- Technische Detailregulierung im EEG unter Blickwinkel der Abgrenzung von Rechtssystem, normativer Basis und Innovation
- Lab Hybrid — Digitaler Netzanschluss und autonomes Energiemanagement — Blaupause für Novellierung EnWG und EEG
Eigenversorgung und Energiegemeinschaften
Autonome Gestaltung durch Eigenversorgung und Energiegemeinschaften als Erfolgsmittel der Energiewende
Die geplanten gesetzlichen Anpassungen zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes in der Bundespolitik sollen auch eine Antwort auf die EU-Richtlinie zu Erneuerbaren Energien [EU Richtlinie 2018/2001/EG. (12/2018)] mit Stärkung der Eigennutzung oder gemeinschaftlicher Nutzung selbst gewonnener Energie sein (Eigenversorgung und Energiegemeinschaften als Produzenten und Konsumenten – Prosumenten).
Dabei zielt die Richtlinie insbesondere auf ein hohes Maß an Beteiligung an den Chancen Erneuerbarer Energien. Dies gilt sowohl für Kommunen als auch für jeden Bürger sowie kleinere und mittlere Unternehmen. Der Beitrag kleiner Anlagen (bis 30 Kilowatt) wird betont. Dies ist mit der Forderung nach Abbau von Bürokratie, Umlagen und Kosten, die insbesondere diese Anlagengruppe betreffen, verbunden.
Besondere Zielstellung ist aber auch die Erschließung der Möglichkeiten, die Innovation und eine nachhaltige, wettbewerbsfördernde Energiepolitik für das Wirtschaftswachstum bieten. Es wird festgestellt, dass durch Investitionen in die lokale und regionale Produktion von Energie aus erneuerbaren Quellen sich in den Mitgliedstaaten und ihren Regionen beträchtliche Chancen für die Entwicklung lokaler Unternehmen, nachhaltiges Wachstum und die Entstehung hochwertiger Arbeitsplätze ergeben.
Auf dieser Basis werden folgende drei Gruppen von Prosumenten differenziert:
- Eigenversorger im Bereich erneuerbare Energie als Endkunde, der an Ort und Stelle innerhalb definierter Grenzen Energie gewinnen, speichern und selbst nutzen oder verkaufen darf
- gemeinsam handelnde Eigenversorger im Bereich erneuerbare Energie als eine Gruppe von zumindest zwei gemeinsam handelnden Eigenversorgern, die sich in demselben Gebäude befinden
- Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft als Rechtsperson, die eine Beteiligung an Erneuerbaren-Energie-Anlagen auch ohne eigene Anlagen oder außerhalb des eigenen Mehrfamiliengebäudes ermöglicht und somit Energiearmut begegnet, wobei dazu neue Marktplattformen mit Aggregatoren oder Peer-to-Peer-Geschäften auf Basis moderner Technologien der Digitalisierung zum Einsatz kommen
Zentral versus dezentral organisierte Energiewende
Mit der grundlegenden Zielbeschreibung sind sich die politischen Vertreter sowie die betroffenen Akteure einig. Wir benötigen die Dekarbonisierung der Gesellschaft bis 2050. Aber bei Wegen und Mitteln zur Zielerreichung folgt schnell der Dissens. Insofern ist eine breite Diskussion auch mit den lokalen Akteuren notwendig.
Teilweise werden folgenden Argumente geäußert:
- Gesamtsystemisch sind Photovoltaik-Großanlagen auf Freiflächen effektiver als Dachanlagen.
- Anliegen der Prosumenten in Gebäuden wären „ganz nett“, aber nur ein Bruchteil des Strombedarfes, weswegen darauf keine Priorität zu richten ist.
Dies verfehlt aber die eigentlichen Herausforderungen zum Erfolg der Energiewende aus folgenden Gründen:
1) Prosumenten sind mit Eigenversorgung und Energiegemeinschaften sowohl in Wohngebäuden, aber auch als Nutzer gewerblicher Objekte, von Industriearealen und Flughäfen aktiv. Sie nutzen die Gestaltungschancen lokaler Energiesysteme, wobei Beteiligung die Akzeptanz für die Herausforderungen der Energiewende schafft.
2) Die Energienutzung in Haushalten (Strom und Wärme) beträgt 25%, womit Aktivitäten in diesem Bereich zum Erfolg der Energiewende beitragen.
3) Dabei ist der Umbau im Elektrizitätssystem nur ein Teil der Energiewende, da die Wärmewende und die Mobilitätswende einen viel höheren Energiebedarf umfasst.
4) Das Erfolgskriterium ist nicht vorrangig die gesamtsystemische Effizienz, sondern die Effektivität der Zielerreichung für 100 % Erneuerbare Energie in allen Sektoren (Strom, Wärme, Mobilität, erneuerbares Gas – z.B. Wasserstoff), die auf Gemeinwohlvorteilen für alle Mitglieder der Gesellschaft basiert.
Gestaltungsvielfalt und Innovationskraft der Gesellschaft versus staatliche Detailregulierung
Es besteht sicherlich ein breiter internationaler Konsens, dass die Gestaltungskraft der Gesellschaft und die Innovationskraft der Wirtschaft Grundlage für eine erfolgreiche Transformation des Energiesystems ist. Unbestritten ist auch, dass das Energiesystem als Lebensgrundlage eine unverzichtbare Infrastruktur darstellt. Diese Infrastruktur erlebt durch die wertschöpfende und im erneuerbaren, dezentralem Energiesystem notwendige Digitalisierung zunehmend Gefährdungen und Angriffe. Deshalb ist ein geeigneter legislativer und regulatorischer Rahmen unverzichtbar. Dieser Rahmen darf aber nicht dazu führen, dass eine übertriebene technische Detailregulierung Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und internationale Zusammenarbeit gefährdet.
Auf dieser Basis werden
- aktuelle Vorschläge der Bundenetzagentur zu neuen Anschlussbedingungen von Prosumenten für Eigenversorgung und Energiegemeinschaften,
- Stufenmodell und Spezifikationen der BMWi/BSI-Task Force Smart Grid / Smart Metering / Smart Mobility
- Konzepte für die Neuregelung des Erneuerbaren-Energien-Gesetz
kritisch bewertet.
Die vorgeschlagenen Anpassungen sind von einer äußerst detaillierten technischen Regulierung bis hin zu einzelnen Anlagen und Geräten in den Gebäuden geprägt. Insbesondere ist festzustellen, dass die Vorschläge der Bundesnetzagentur Prosumenten eher mit neuen wirtschaftlichen Lasten belegen.
Das Projekt C/sells als Bestandteil des vom BMWi geförderten Programmes „Schaufenster intelligente Energie“ schließt dagegen, dass der Erfolg der Energiewende nur durch die Vielfalt, Partizipation und Handlungsmöglichkeiten der Bürger, der Unternehmen, der Kommunen und Regionen zu erreichen ist.
Aus diesem Grunde wird vorgeschlagen, alternative Lösungswege zur Anpassung des rechtlichen Rahmens zu finden, die die Vielfalt der Gesellschaft motivieren, die Gestaltung des zukünftigen Energiesystems auf bürgernahe Weise auch im lokalen Rahmen in die eigenen Hände zu nehmen (Handle lokal – Denke global).
Dazu gehört die Gestaltung eines zellulären Energiesystems, das insbesondere die Eigenversorgung und Energiegemeinschaften adressiert. Entsprechende Umsetzungskonzepte wurden in den SINTEG-Projekten und insbesondere im von der zellulären Architektur geprägten Projekt C/sells demonstriert und können in die legislativen und regulatorischen Gestaltungsprozesse eingebracht werden.
Leimen, den 07. November 2020