Inhaltsverzeichnis
- Vorwort — Dampfmaschine im Cyber War
- Zusammenfassung — Innovationsimpulse statt Detailregulierung
- Empfehlungen zur EEG- und EnWG-Novelle — Autonomie hinter dem Netzanschluss
- Treiber der Energiewende
- Standards sind Bindeglied zwischen Innovation und Sicherheit — Gestaltungsebenen wirtschaftlicher Entwicklung
- Eigenversorgung und Energiegemeinschaften
- Empfehlungen für die Schnittstelle zum Prosumenten
- C/sells-Position zum Stufenmodell des BMWI zur Weiterentwicklung von Standards für die Digitalisierung der Energiewende
- Technische Detailregulierung im EEG unter Blickwinkel der Abgrenzung von Rechtssystem, normativer Basis und Innovation
- Lab Hybrid — Digitaler Netzanschluss und autonomes Energiemanagement — Blaupause für Novellierung EnWG und EEG
Treiber der Energiewende
Komplexität und Flexibilität
Die menschliche Gesellschaft bildet schon immer ein hoch komplexes System. Die Informationsflüsse im sozialen und kulturellen Kontext sowie die Energie- und Stoffflüsse zur Wechselwirkung in Wirtschaft und Handel sind die Grundlage eines Netzwerkes mit vielfältigen Verbindungen zwischen den Teilen der Gesellschaft.
Nun stehen komplexe Systeme immer ein wenig am Abgrund ihrer Existenz. Manchmal kann eine Gesellschaft eine sehr lange Überlebensdauer vorweisen. Dazu gehören das Reich der Ägypter oder das Römische Imperium. Die scheinbare Stabilität einer Gesellschaft zerbricht aber teilweise schon nach wenigen Jahrzehnten.
Die Komplexität von Systemen ist durch Vielfalt, Vernetzung und die Anzahl der Organisationsformen geprägt. Wenn die Anzahl der Elemente und ihrer Merkmale, der Vernetzungsgrad sowie die zugehörigen Organisationsformen einen bestimmten Umfang überschreiten, kann der Wechsel in das Chaos die Folge sein [Luhmann, Niklas (2017), S. 167], [Kauffman, S. (09/1998)]. Das System beginnt auf Grundlage der vielfältigen Beeinflussungen zu schwingen und kann zerbrechen.
Komplexität lässt sich in Form metastabiler Zustände beherrschen, wenn das Gesamtsystem in kleinere Einheiten zerlegt wird, die miteinander nach festgelegten Regeln interagieren. Dazu existieren Vorschläge einer zellulären Systemgestaltung sowie von zellulären Automaten [Gerhardt, M.; Schuster, H. (01/1995)], [‘t Hooft, G. (09/2016)], [Wolfram, S. (02/1994)].
Die Beherrschung komplexer Systeme basiert weiterhin auf der Nutzung dämpfender Elemente. Was kann aber dämpfend auf ein System wirken? Hier kommt der Begriff der Flexibilität in das Spiel. Verbundene Elemente wirken miteinander flexibel, wenn sie bezüglich ihrer Interaktionen verschiedene Handlungsmöglichkeiten besitzen. Starre, unflexible Regeln können Systeme zum Schwingen bringen, wie der Gleichschritt auf Brücken. Flexible Handlungen dämpfen dagegen die Auswirkungen der Interaktionen auf das Gesamtsystem.
Nun, dies war gleich zu Beginn schwer verdauliche Kost. Aber wir wollen Veränderungsprozesse im Hinblick auf das Verhältnis von zentral organisierten Regeln und der Gestaltungskraft der Gesellschaft beleuchten. So benötigen wir noch ein wenig Geduld.
Transformation des Energiesystems und Abgabe von Kontrolle
Die Treiber der Energiewende führen neben neuen Großprojekten zu einem dezentraleren und kleinteiligeren System. Wind- und Solaranlagen als Einzelanlagen besitzen eine geringere Leistung als Großkraftwerke. Die gleichzeitig einhergehende zunehmende Elektrifizierung der Wärmeerzeugung und der Mobilität bietet neue Möglichkeiten. Erneuerbare Energie flexibel zu nutzen, stellt das Energiesystem aber vor neue Koordinationsherausforderungen. Das Anliegen nach Kontrolle führt oft zu zentral organisierten Konzepten. Jedoch kann die Lösung bei wachsender Komplexität der Koordination auch in dezentralen Strukturen liegen. Außerdem erhöht die damit verbundene Beteiligung in der Regel die Motivation, sich an Transformationsprozessen zu beteiligen.
Mit dezentral gewonnener Energie wird es möglich, Quartiers- und Stadtentwicklung neu zu gestalten. Sie gibt denjenigen, die bereits heute Klimaschutz vorantreiben, Möglichkeiten zur Entwicklung der Infrastruktur und der Funktionen in Gebäuden, Quartieren und Arealen. Neue Geschäftsmodelle führen zu neuer Wertschöpfung in Ortschaften und Regionen, aber auch zur Eigengestaltung oder zur Teilhabe in Energiegemeinschaften. Beteiligung bedeutet somit die geteilte Verantwortung zur Organisation des Energiesystems im Wechselspiel von autonomer Gestaltung und Steuerung sowie der Mitwirkung im Gesamtsystem.
Beteiligung und autonome Gestaltung führen aber durch die große Zahl von Akteuren sowie die Fülle unterschiedlicher technischer Komponenten, Lösungen und Schnittstellen zu einer bisher nicht gekannten Vielfalt im Energiesystem. Dezentralisierung und Digitalisierung befördern Vielfalt und werden umgekehrt von ihr befeuert. Vielfalt ist eine Herausforderung, da die Komplexität steigt, aber auch Chance für Innovationen. Somit ist Vielfalt sowohl Ergebnis als auch Ziel der Entwicklungen. Autonomie ermöglicht vielfältige Gestaltung. Die Verbindung zwischen autonomen Akteuren gewährleistet Austausch und Sicherheit in der Gemeinschaft. Regeln sowie eine gemeinsame normative Basis sind Mittel zur Beherrschung von Vielfalt.
Beteiligung und autonome Gestaltung zerlegen das Energiesystem quasi in Teilsysteme, in Zellen, was entsprechend unserer Einführung Mittel zur Beherrschung von Komplexität ist.
Recht auf Eigenversorgung und autonome Gestaltung
Verschiedene Studien, Simulationen und Projekte beschäftigen sich mit der zellulären Gestaltung des Energiesystems [Buchholz, B., Kießling, A., & Nestle, D. (2009)], [Müller, Schmeck, Ungerer (2011)], [Kießling, A., & Hartmann, G. (2019)], [Abrishambaf, Omid et. al. (11/2019)], [Zhou, Yingya et. al. (07/2017)], [DIGGRID. (2018)], [VDE – ETG – Arbeitskreis Energieversorgung 4.0], [Prognos et. al. (2016)], [Reiner Lemoine Institut. (2013)].
In diesen Rahmen ordnen sich auch die nationalen Projekte Modellstadt Mannheim [Kießling, Andreas. Niemann, Michael. Schmitt, Frieder. (2013)] sowie C/sells in den vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Programmen E‑Energy und SINTEG (Schaufenster intelligente Energie) als auch ein in Dänemark angesiedeltes Projekt [Cell Project] ein.
Während das Energiesystem seit Ende des 19. Jahrhunderts von zentralen Führungskonzepten geprägt war, ermöglichen Erneuerbare Energiequellen den Übergang zu dezentralen Energiekonzepten.
Die europäische Union nimmt diese Zielstellung mit der Richtlinie zu Erneuerbaren Energien [EU Richtlinie 2018/2001/EG. (12/2018)]zur Stärkung der Eigennutzung und der gemeinschaftlichen Nutzung selbst gewonnener Energie auf. Die Richtlinie zielt auf ein hohes Maß an Beteiligung an den Chancen Erneuerbarer Energien in den Kommunen sowie der Bürger als auch kleiner und mittlerer Unternehmen.
Besondere Zielstellung ist die Erschließung der Möglichkeiten, die Innovation und eine nachhaltige, wettbewerbsfördernde Energiepolitik zum Wirtschaftswachstum bieten. Es wird festgestellt, dass durch Investitionen in die lokale und regionale Produktion von Energie aus erneuerbaren Quellen sich in den Mitgliedstaaten und ihren Regionen beträchtliche Chancen zur Entwicklung lokaler Unternehmen, nachhaltiges Wachstum und die Entstehung hochwertiger Arbeitsplätze ergeben.
Das Projekt C/sells schließt dazu, dass der Erfolg der Energiewende nur durch die Vielfalt, Partizipation und Handlungsmöglichkeiten der Bürger, der Unternehmen, der Kommunen und Regionen zu erreichen ist.
Dieser Ansatz benötigt einen angepassten Handlungsrahmen. Ein staatlich organisiertes Rechtssystem sowie die Gestaltung der technischen Umsetzung mit dezentralen Lösungen durch die Vielfalt der Beteiligten stehen dabei oft im Widerspruch. Deshalb wird nachfolgend dieses Wechselspiel betrachtet.
Ohne Ertüchtigung der externen und internen Kommunikationswege der Gebäude können lokales Energiemanagement sowie Einbindung in Energiegemeinschaften und externe Märkte nicht erfolgreich sein. Dabei ist der Gebäudeeigentümer zu fördern, ohne dessen Investitionen der notwendige Zubau Erneuerbarer Energie in Gebäuden nicht zu erreichen ist. Eine Umschichtung aus Mitteln der Gebäudedämmung scheint dazu sinnvoll.
Quellen
[Wolfram, S. (02/1994)]. Cellular Automata And Complexity: Collected Papers. Bolder, Colorado. Westview Press. Auflage: 1994 (21. Februar 1994). ISBN-10: 9780201626643. ISBN-13: 978–0201626643