Von einer Regierung, die auszog, ein Klimaschutzpaket zu schnüren
Die deutsche Bundesregierung traf sich in der Nacht zum 20. September 2019, um das sogenannte Klimaschutzpaket mit dem Klimaschutzprogramm 2030 zu beschließen. Das Treffen wurde im Vorfeld als Startschuss zur Bewältigung einer Jahrhunderaufgabe stilisiert. Da stellt sich zuerst die Frage, warum für diese Aufgabe nicht die Tageszeit bei voller Klarheit des Geistes gewählt wird. Stattdessen soll Müdigkeit zum schnellen Durchwinken weichgewaschener Kompromisse motivieren.
„Wenn es nicht gelänge, einen großen Wurf zu machen, habe man den Anspruch aufs Weiterregieren verwirkt“, sagte Vizekanzler Olaf Scholz. Nun gebaren die Beteiligten nach großen Ankündigungen ein kleines Klimaschutzpaket, das den Ansprüchen nicht im geringsten Maße gerecht wird. Man ist geneigt, die Einlösung des Versprechens von Olaf Scholz zum Rücktritt dieser Koalition einzufordern.
Kanzlerin Merkel spricht davon, dass Politik von der Fähigkeit bestimmt ist, Kompromisse einzugehen. Unvereinbare Gegensätze bei regierenden Parteien können aber zu Kompromissen führen, die die eigentliche Aufgabe nicht lösen. Festzustellen ist, dass 22 Seiten Kompromiss ungefähr 70 Seiten Text der Uneinigkeit in der Koalition gegenüberstehen.
Eine Regierung, die in diesen Zeiten lediglich den kleinsten Nenner kennt, hat ihre Legitimation verloren. Infolgedessen können Neuwahlen einen neuen Aufbruch ermöglichen.
Der kleinste gemeinsame Nenner
Die Bundesrepublik hatte sich das Ziel gesteckt, die klimaschädlichen Emissionen bis 2020 um 40 Prozent unter den Wert von 1990 zu senken. Aufgrund der auch von Angela Merkel kritisierten mangelhaften Gestaltung der Energiewende durch die Bundespolitik seit den Jahren 2013/2014 wird das selbst gesteckte Ziel nicht erreicht. Die Zielstellungen umfassten sowohl die Verringerung der Kohlendioxid-Emissionen, als auch Richtwerte zum Ausbau Erneuerbarer Energien sowie zur Energieeinsparung.
Das vorgelegte Paket widmet sich Maßnahmen bezüglich des Kohlendioxid-Ausstosses und der Energieeinsparung, insbesondere im Verkehr und in den Gebäuden. So weit so gut, denn die Beiträge des Verkehrssektors und der Gebäude zur Erreichung der Energiewende-Ziele waren bisher nicht befriedigend. Aber entschlossenes Handeln sieht anders aus. Zu geringe Preise für den Kohlendioxid-Ausstoß und deren teilweise Kompensation durch die Pendlerpauschale erbringen keinen wirksamen Anreiz zum Umstieg. Drei Cent Aufschlag beim Literpreis für Benzin gehen in den täglichen Schwankungen bei den Lieferanten aus der Golfregion unter.
Das Klimaschutzpaket stellt ein Sammelsurium an Maßnahmen zur Verteilung von Fördergeldern dar, die sich teilweise widersprechen. Der Großteil der Förderung geht aber in die Automobilwirtschaft, um Elektromobilität zu befördern. Natürlich ist es dringend notwendig, den Rückstand zur internationalen Entwicklung bezüglich Elektromobilität aufzuholen. Aber erforderlich ist dazu auch, den eingebrochenen Ausbau der Erneuerbaren Energien wieder massiv zu befördern. Elektrofahrzeuge verfehlen ihre Bestimmung, wenn das Laden mit Strom aus Kohlekraftwerken erfolgt.
Wo bleiben die Erneuerbaren Energien im Klimaschutzpaket?
Das Klimaschutzpaket widmet sich vorrangig der Energienutzung. Die Klimaziele sind aber nur erreichbar, wenn die Umstellung auf saubere und nachhaltig erzeugte Energie vollständig bis 2050 erfolgt. Dies gilt nicht nur für Strom, der nur 25 Prozent des gesamten Energieeinsatzes ausmacht. Eine hundertprozentige Umstellung der Sektoren Elektrizität, Wärme und Verkehr ist zwingend notwendig. Dies erfordert die Vervielfachung der Anstrengungen beim Ausbau Erneuerbarer Energien. Seit 2018 verzeichnet Deutschland einen starken Rückgang des Ausbaus von Wind- und Solarenergie. 100.000 Arbeitsplätze gingen verloren, um 20.000 Arbeitsplätze in der Kohlewirtschaft zu erhalten. Der späte Termin 2038 für den Ausstieg aus dem Klimakiller Kohleenergie bleibt bestehen.
Vom Klimaschutzpaket wurde der große Wurf erwartet. Fehlanzeige! Der Begriff der Windenergie taucht nur einmal auf. Der Mindestabstand zu Wohngebäuden wird auf 1000 Meter erhöht, womit 25 Prozent der nutzbaren Fläche verloren gehen. Landes- und Kommunalplanungen werden ins Chaos gestürzt, weil jahrelange Planungsprozesse neu gestartet werden dürfen. Die sogenannte 10H-Abstandsregel in Bayern bleibt erhalten. Bayern verzichtet damit vollständig auf den weiteren Ausbau der Windenergie. Gleichzeitig kritisiert Bayern neue Übertragungsleitungen, um Windstrom aus dem Norden nach Süden zu transportieren. Söder’s Ankündigungen zur Klimapartei CSU sind somit leere Sprüche.
Zur Solarenergie wurde der maximale Förderdeckel mit 52 Gigawatt Leistung aufgehoben. Aber die jährlichen Ausschreibungsdeckel und die sich als kontraproduktiv herausgestellten Ausschreibungsverfahren bleiben unangetastet. Es wurden keinerlei Maßnahmen festgelegt, um den Solarausbau in Deutschland wieder in Gang zu bringen. Potentiale beim Mieterstrom, beim Aufbau von Gemeinschaftsanlagen und zum direkten Stromverkauf zwischen Hauseigentümern – also der Übernahme dezentraler Gestaltungshoheit — werden nicht erschlossen. Maßnahmen zum Mieterstrom werden geprüft. Seit 10 Jahren wird diskutiert, getestet und geprüft, um nun weiter zu prüfen.
Erwähnt werden soll aber die erfreuliche Maßnahme im Klimaschutzpaket, dass wenigstens die Doppelbelastung von Speichern mit Netzentgelten beim Bezug und der Einspeisung von Strom aufgehoben wird.
Innovation, Inspiration sowie Partizipation als Grundlage nachhaltigen Wachstums
Klimaschutz erlaubt kein „Pillepalle“ sagte einst Kanzlerin Merkel. Das Klimaschutzpaket wird von Experten als Pillepalle eingeschätzt, während die Regierung sich selbst feiert. Es entsteht der Eindruck, dass es mehr um die Machterhaltung in der Koalition geht, als um die eigentliche Zielstellung.
Es wäre leicht gewesen, die Größe der Aufgabe an den 17 globalen Zielen der UNO zu orientieren. Der Klimawandel gefährdet ausreichende und saubere Wasserkreisläufe, erfordert saubere Energie sowie nachhaltige Städte und Gemeinschaften. Die Armut in der Welt ist zu bekämpfen, was nur mit nachhaltigem Wachstum zu erreichen ist.
Die Gestaltung einer nachhaltigen Welt, nachhaltiger Regionen, nachhaltiger Städte und Landschaften ist also eine komplexe Aufgabe im Wechselspiel natürlicher Ressourcen und der Einflüsse menschlicher Lebenswelten im Wohnumfeld, der Landwirtschaft und der Industrie. Der Komplexität dieser Aufgabe wird das Klimaschutzpaket nicht gerecht. Eine derartige Komplexität kann auch nicht zentral beherrscht werden. Von der Bundesregierung würde man deshalb einen klaren roten Faden und die Schaffung von Freiräumen zur Übernahme von Gestaltungshohheit erwarten. Ein breiter gesellschaftlicher Partizipationsprozess ist in Gang zu bringen. Diesbezüglich verfehlt der Hinweis auf Informationsbroschüren der Bundesregierung völlig die Herausforderung.
Um die Energiewende von Unten zu gestalten, sind Bürgeraktivitäten und Bürgerbeteiligungen zu fördern. Ausbaudeckel und Ausschreibungsverfahren werden diesem Anspruch in keinerlei Weise gerecht.
Die Energiewende ist zuallererst eine große Chance lokaler und mitbestimmter Gestaltung der Lebens- und Arbeitswelten. Sie ermöglicht Beteiligung, wirtschaftliches Wachstum und neue Arbeitsplätze in den Regionen sowie eröffnet neue Räume für gesellschaftliches Handeln. Sie zeigt, dass nachhaltiges Wachstum möglich ist und hilft damit, wirtschaftliche Schwäche in Problemregionen sowie Armut zu beseitigen. Die damit verbundene Übernahme der Gestaltungshoheit schafft Akzeptanz für die Notwendigkeiten der Energiewende.
Die Bundesregierung hat im Klimaschutzpaket die Nutzbarkeit dieser Potentiale für den schnellen Umbau des Energiesystems völlig übersehen.
Andreas Kießling, Leimen, 22. September 2019