Schrödingers Katze und die deutsche Energiewende
Öffentlicher Brief zum Faktencheck von Prof. Quaschning
Was haben Schrödingers Katze und die deutsche Energiewende miteinander zu tun? Laut Quantenphysik beeinflusst der Beobachter das Beobachtete mit seiner Intention. Die Katze ist gleichzeitig tot und lebend. Das Elektron ist Welle und Teilchen. Aber es gibt auch immer verschiedene, gleichzeitig mögliche Wege zum Klimaschutz und zur Umsetzung der Energiewende, somit keine absolute Wahrheit. Dieses Wissen hat Prof. Quaschning in seiner Antwort auf ein Video zum Thema Wind von Prof. Ganteför vermissen lassen. Um gemeinsam beim notwendigen Wandel Erfolg zu haben, benötigen wir eine von Ideologie freie Diskussionskultur, die Vielfalt und Möglichkeiten in einer komplexen, multipolaren Welt zulässt, statt technisch enge Möglichkeiten staatlich zu verordnen.
https://youtu.be/RzC41jBxflo (Prof. Ganteför: Ist WIND eine unerschöpfliche Energiequelle?)
https://youtu.be/7z_DnsKf5I8 (Prof. Quaschning: Prof. Ganteförs Windkraft-Thesen im Faktencheck)
https://youtu.be/oKuZIiG93OU (Prof. Ganteför: Bin ich ein KLIMASKEPTIKER?)
Sehr geehrter Herr Professor Quaschning,
zum öffentlichen Brief unter dem Titel „Schrödingers Katze und die deutsche Energiewende“ motivierte mich ihre Antwort über Youtube auf das Video von Professor Ganteför bezüglich der Windpotenziale in Deutschland. Es ist mir ein großes Bedürfnis, die Diskussion aus einem anderen Blickwinkel zu beleuchten. Damit aber kein Missverständnis entsteht, möchte ich zuerst einen Punkt betonen.
Aus meiner Sicht sollte es selbstverständlich sein, dass Kritiker des aktuellen Kurses zur Energiewende nicht automatisch Leugner des Klimawandels sowie Vertreter der “fossilen Lobby” sind. Leider muss dies betont werden, angesichts aktueller Erfahrungen verschiedener Fachleute oder auch zur Seite geschobener, langjähriger Mitarbeiter des Wirtschaftsministeriums. Man argumentiert dabei auch, dass Verwandtschafts- und Freundschaftsverhältnisse neuer Mitarbeiter bis auf Referatsebene im Ministerium und zu Auftragnehmern normal wären, weil es nur einen kleinen Kreis von Experten gäbe. Sicherlich ist ihnen die große Gemeinschaft von Experten bekannt, die seit 20 Jahren in vielfältigen Projekten, Verbänden und Gremien am Umbau des Energiesystems arbeiten. Für dieses Umfeld wirkt die Bemerkung bezüglich eines kleinen Expertenkreises fast beleidigend.
Die Energiewende ist ein äußerst komplexer Prozess mit vielen Abhängigkeiten in alle Bereiche der Gesellschaft und Wirtschaft. Dieser Wandel entzieht sich einer zentralen Kontrolle weniger Experten eines geschlossenen “Klüngels”. Sicherlich kennen sie ebenso die beiden von Wirtschafts- und Umweltministerium geförderten Programme E‑Energy und SINTEG. In diesem Rahmen durfte ich als wissenschaftlich-technischer Projektleiter des Projektes Modellstadt Mannheim sowie später in verschiedenen Funktionen, insbesondere im Bereich Standardisierung, im Projekt C/sells mitwirken.
.
Ausgangspunkte dieser Projekte waren Vielfalt und das Zulassen von Komplexität in Verbindung mit einer zellulären Architektur des Energiesystems. Der Schwerpunkt der Projektarbeit lag dabei auf der Ermöglichung von Partizipation, also Beteiligung. Es ging um eine Energiewende sowohl mit Chancen und Nutzen für Bürger, Unternehmen und Kommunen als auch mit Möglichkeiten zu neuen Technologien für die exportintensive deutsche Industrie im Rahmen eines dezentralen Energiesystems. Wenn heute in der Bevölkerung und bei Experten der Weg der Energiewende kritisch hinterfragt wird, hat dies bei den meisten nichts mit Skepsis bezüglich der Notwendigkeit des Handelns zu tun, sondern eher mit zentralistisch organisierten Konzepten des Think-Tanks Agora, in dem die früheren Staatssekretäre Baake und Graichen wirkten.
Die Diskussion basiert darauf, dass viele Experten andere Wege beschreiben. Diese Wege sprechen von Partizipation, Technologieoffenheit, einem nachhaltigen Wachstum statt Verzicht und Wohlstandsverlust sowie dezentralen Strukturen und Selbstgestaltung statt staatlicher Kontrolle, Vorgaben und Verbote.
Gerade die Chancen für nachhaltiges Wachstum waren Ausgangspunkt für das Engagement der breiten Community seit E‑Energy. Heute erweckt es eher den Eindruck, dass „Klimaschutz gegen die Menschen und nicht mit den Menschen gemacht wird“, um hier ein Zitat von Professor Ganteför zu benutzen. Aber dies gefährdet letztendlich nur den Erfolg der gesamten Energiewende.
Rede und Gegenrede zum Thema Wind
Somit wären wir bei den öffentlichen Vorlesungen und Vorträgen im Rahmen der Video-Reihe von Professor Ganteför auf dem Kanal „Die Grenzen des Wissens“ angekommen. Auf diesem Kanal veröffentlicht er Vorlesungsreihen als auch populärwissenschaftliche Vorträge in verschiedenen Serien.
Eine der umfangreichsten Reihen basiert auf der Vorlesung „Energie und Klima“ und wurde darüber hinaus allgemeinverständlich erweitert. Dabei geht es auch um das Aufwerfen offener Fragestellungen. Sie haben sich nun aus dieser Reihe einen einzigen Film herausgegriffen. An dieser Stelle geht es mir nicht um den Inhalt der Diskussion Quaschning gegen Ganteför, sondern um die Art und Weise der Kritik. Unter Wissenschaftlern, zumindest unter Physikern, ist es völlig unüblich, auf persönlicher Ebene zu kritisieren.
In der Vergangenheit habe ich sehr ihr Engagement sowie auch ihren Einsatz für „Scientists for Future“ geschätzt. Aber ihre Entgegnung auf das Video von Prof. Ganteför mit der Fragestellung, wieviel Energie in Deutschland aus Wind gewonnen werden kann, war unwürdig, die Darstellung teilweise arrogant. Schon der Einstieg, der einen Faktencheck zu einem vermeintlich unwissenschaftlichen Video versprach, belegt dies. Der Physiker Ganteför wurde gleich zu Beginn bezüglich seiner beruflichen Laufbahn verunglimpft. Subjektive Wikipedia-Formulierungen dienten als sogenannte Fakten. Ein Rechenfehler wird genutzt, um ihn komplett zu diskreditieren.
„Wer frei ist von Schuld, der werfe den ersten Stein.“ Sind sie frei von Fehlern, auch von peinlichen Schussel-Fehlern? Ein Fehler in der Abschätzung macht noch nicht die gesamte Fragestellung überflüssig. Wissenschaftler sind es gewohnt Fragen zu stellen und über die Antworten sachlich, auch streitlustig, aber nie persönlich herabwürdigend zu diskutieren. Ihre Art der Entgegnung nutzte dagegen die persönliche Ebene und war teilweise ideologisch geprägt.
Diskussionskultur
In der Vergangenheit schätzte ich sowohl Ganteför- als auch Quaschning-Vorträge. Dies betraf bei Prof. Quaschning sein Engagement als Ingenieur für die Technik Erneuerbarer Energien. Eventuell engt aber die Sicht auf bestimmte technische Konzepte den Blick auf die Vielfalt der Möglichkeiten ein.
Dagegen besitzt Prof. Ganteför als Physiker hervorragende Fähigkeiten, komplexe Zusammenhänge der Natur einfach zu erklären oder offene Fragen zu beleuchten. Dies bietet er frei von Ideologie und offen für Möglichkeiten.
Offensichtlich ist, dass Menschen verschiedene Weltsichten einbringen und dies ein gemeinsames Verständnis für Diskussionsmethoden benötigt. Denn zunehmend scheint die Kommunikationskultur in sozialen Netzwerken mit Angriffen und Beleidigungen belastet. Dies erschwert die Suche nach gemeinsamen Lösungen.
Der Begriff „Framing“ steht für individuelle Sichtweisen. Individualität ist grundsätzlich nicht negativ. Man sollte sich nur bewusst sein, dass jeder Mensch die Welt durch die eigene „rosarote Brille“ betrachtet. Zur umfassenderen Wahrnehmung ist zu empfehlen, ab und zu die „blaue Brille“ aufzusetzen. Bisherige Weltsichten stehen bei Veränderungen des Umfeldes schnell auf dem Prüfstand. Dann werden mit engem Denken konzipierte Lösungen zum Problem. Deshalb sollte Wissen immer hinterfragt und das eigene System ab und zu verlassen werden.
Gerade diese Methode führte mit Entstehung der Quantenphysik vor 100 Jahren zum Erfolg von Technologien und einer erweiterten Weltsicht. Physiker sind von einer relativen Welt überzeugt. Laut Quantenphysik beeinflusst der Beobachter das Beobachtete mit seiner Intention. Deshalb schaffen wir alle eine eigene Welt. Diese Welten scheinen zunehmend aufeinander zu prallen. Die Welt wäre besser, wenn alle Menschen ihr Wissen und ihre Überzeugungen reflektieren könnten. Die absolute Wahrheit gibt es in der Physik nicht. Der Beobachter kann sich von der eigenen, relativen Wahrheit lösen, indem er seine Intention in Frage stellt, und plötzlich tauchen andere Weltsichten auf. Das Verstehen verschiedener Weltsichten statt fundamentalistischer Verteidigung von Ideologien kann hilfreich sein, auf Menschen zuzugehen.
Sehr geehrter Herr Professor Quaschning,
was ich sagen möchte. Nicht jeder Kritiker eines Weges oder jeder Fragesteller ist Leugner einer Situation und Verweigerer von Zielstellungen. Aber offensichtlich führen viele Wege nach Rom und die menschliche Gesellschaft auf unserem Planeten besteht aus rund 200 Staaten. Sicherlich steht Deutschland nicht für die absolute Wahrheit bei den notwendigen Anstrengungen im Rahmen des Klimawandels. Die Staaten gehen verschiedene Wege und kennen verschiedene relative Wahrheiten und es wäre sehr arrogant, wenn wir glauben, den einzigen richtigen Weg zu kennen.
Insbesondere ist zu betonen, dass eine Gesellschaft nur im funktionierenden Gleichgewicht bleibt, wenn alle Themen in ihrer Komplexität berücksichtigt werden. Dies betrifft in Deutschland zum Beispiel das viel zitierte Dreieck aus Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit. International betrifft dies die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung als politische Zielsetzungen der Vereinten Nationen, die weltweit der Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene dienen sollen. In einer Welt, in der Hunger und Armut existieren sowie ein gerechter und preisgünstiger Zugriff auf Energie nicht gewährleistet ist, werden schlussendlich die Mittel für den Klimaschutz nicht bereitstehen. Insofern sind alle Themen auszubalancieren.
Bei der Suche nach gemeinsamen, breit in der Gesellschaft akzeptierten Wegen helfen uns ideologische Kämpfe nicht weiter, schon gar nicht Beleidigungen von hoch qualifizierten Kollegen. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob sie dem Kollegen schon auf Konferenzen begegnet sind. Es gibt sicherlich auch namhafte Veranstaltungen mit hochwertigen Diskussionen, die sie nicht kennen. Deshalb habe ich am Schluss einen Vorschlag.
Prof. Ganteför hat sie in seiner Entgegnung auf ihr unter dem Label Faktencheck veröffentlichtes Video zu einer öffentlichen Diskussion eingeladen. Nach meiner Kenntnis gab es dazu bisher keine Reaktion. Eventuell wäre es eine Möglichkeit, eine der nächsten Tagungen des Arbeitskreises Energie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft dafür zu nutzen. Wie stehen sie zu einem solchen Vorschlag, natürlich vorbehaltlich des Interesses von Prof. Ganteför?
Epilog
Eventuell wollen sie vor einem derartigen Austausch Prof. Ganteför noch etwas näher kennenlernen. Dann schlage ich ihnen das Video unter dem Titel „Klimawandel: Zensur von Wissenschaft?“ vor. Die Denkweise von Physikern, hier mit dem Titel „Schrödingers Katze und die deutsche Energiewende“ ein wenig satirisch umschrieben, ist vom Zweifel und der Suche nach mehr Wissen geprägt. Wir sehen im Neuen und Unbekannten Möglichkeiten. Insofern sind Physiker sowohl Skeptiker als auch Optimisten. Wir sind überzeugt, dass die Menschheit den Klimawandel in den Griff bekommt und eine gedeihende Zukunft auf höherem Entwicklungsniveau erreichen wird. Klimapanik bringt uns nicht weiter, denn sie führt nur zu Hoffnungslosigkeit. Wollen wir dies wirklich unseren Kindern antun? Insofern zitiere ich Angela Merkel: „Wir schaffen das“.
Quellen
https://youtu.be/RzC41jBxflo (Prof. Ganteför: Ist WIND eine unerschöpfliche Energiequelle?)
https://youtu.be/7z_DnsKf5I8 (Prof. Quaschning: Prof. Ganteförs Windkraft-Thesen im Faktencheck)
https://youtu.be/oKuZIiG93OU (Prof. Ganteför: Bin ich ein KLIMASKEPTIKER?)
Schrödingers Katze und die deutsche Energiewende: Leimen / Heidelberg — 31. Mai 2023