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Hawking und die Weltformel

Ein großes, der Suche nach der Weltformel gewidmetes Leben ist zu Ende

Ste­phen Haw­king wid­me­te sein Leben der Suche nach der EINEN Welt­for­mel. Doch die Errei­chung die­ses Zie­les blieb ihm ver­sagt. Am 14. März 2018 voll­ende­te sich ein Leben, dem die Ärz­te im Alter von 21 Jah­ren gera­de noch zwei wei­te­re Jah­re gewäh­ren woll­ten. Aber wie die Phy­si­ker das Wir­ken im Uni­ver­sum heu­te noch nicht wirk­lich in sei­ner Kom­ple­xi­tät erfasst haben, wer­den auch die Ärz­te nicht so schnell die Mys­te­ri­en des Lebens und des Geis­tes ver­ste­hen. Denn Ste­phen Haw­king waren wei­te­re 55 Jah­re gege­ben. Der Phy­si­ker voll­brach­te als Kos­mo­lo­ge trotz wid­ri­ger, kör­per­li­cher Umstän­de gro­ße Leis­tun­gen bezüg­lich der Erfor­schung des Universums.

Berechenbarkeit der Welt oder Ordnung am Rande des Chaos

Aber die Suche nach der Welt­for­mel auf Basis des Ver­ständ­nis­ses von Ener­gie, Raum und Zeit begrenz­te auch die Dimen­sio­nen des Such­rau­mes von Haw­king.  Dies lässt sich mit Stuart Kauff­man aus­drü­cken. „Doch alle Wis­sen­schaft­ler sind sich im fol­gen­den Punkt einig: Selbst wenn wir die end­gül­ti­ge Theo­rie fin­den soll­ten – viel­leicht Super­strings, ein­ge­bet­tet in einen zehn­di­men­sio­na­len Raum , wobei sechs Dimen­sio­nen „ein­ge­rollt„ sind  und die rest­li­chen vier zu einem „topo­lo­gi­schen“ Schaum  der gequan­tel­ten Raum­zeit „auf­ge­schla­gen“ sind, so dass die Schwer­kraft und die übri­gen drei Kräf­te in ein ein­heit­li­ches theo­re­ti­sches Rah­men­mo­dell  inte­griert wer­den  -, wür­de unse­re Arbeit erst beginn­nen.“ Kauff­man, S. (09/1998)
[amazon_link asins=‘3499623013’ template=‘ProductAd’ store=‘fwknet’ marketplace=‘DE’ link_id=‘0b1d754c-3065–11e8-ae90-c1b74cdb6fb6’]Denn haben wir als Phy­si­ker wirk­lich alles erreicht, wenn wir wis­sen, was die Welt im Inners­ten zusam­men­hält – um mit Faust zu spre­chen. Mit Gra­vi­ta­ti­ons­theo­rie und Quan­ten­me­cha­nik kön­nen wir nur bere­chen, wie sich die Him­mels­kör­per im Uni­ver­sum bewe­gen oder wie sich die Mate­rie aus kleins­ten Teil­chen zusam­men­setzt sowie Struk­tu­ren wie Ato­me und Mole­kü­le bil­det, als auch über ener­ge­ti­sche Pro­zes­se mit­ein­an­der inter­agiert. Wir ver­ste­hen Mate­ri­al­ei­gen­schaf­ten und nut­zen inzwi­schen auch die erstaun­li­chen Fol­ge­run­gen aus der Quan­ten­theo­rie bei der Ent­wick­lung neu­er Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Com­pu­ter­tech­no­lo­gien. Aber wir ver­ste­hen wei­ter­hin nicht, war­um sich Mate­rie zu neu­en Orga­ni­sa­ti­ons­for­men bei der Ent­wick­lung von Leben zusam­men­setzt und hier den Geset­zen der Ther­mo­dy­na­mik bezüg­lich der Stei­ge­rung von Entro­pie trotzt. Wir ver­ste­hen schon gar nicht, wie auf Grund­la­ge des ein­heit­li­chen Ver­ständ­nis­ses von Ener­gie und Mate­rie das Bewusst­sein zu erklä­ren ist.

Reduktionismus in der Physik ist kein ausreichendes Mittel zum Verständnis der Ordnung

Genau­so wie Ärz­te bezüg­lich der Schul­me­di­zin die Arro­ganz auf­ge­ben soll­ten, über die Dau­er des mensch­li­chen Lebens eine Aus­sa­ge abge­ben zu kön­nen, ist es den Phy­si­kern zu emp­feh­len, ihre Über­heb­lich­keit abzu­le­gen, mit den Begrif­fen Ener­gie und Mate­rie sowie quan­ti­ta­ti­ven, auf Model­len basie­ren­den Metho­den das Uni­ver­sum mit einer Welt­for­mel voll­stän­dig beschrei­ben zu kön­nen. Die reduk­tio­nis­ti­sche Metho­de der Phy­si­ker ist ein nütz­li­ches Hilfs­mit­tel, Erklä­run­gen zur Funk­ti­on des Uni­ver­sums zu fin­den. Aber die­se Metho­de ist kein hin­rei­chen­des Mit­tel, um umfas­sen­de Vor­her­sa­gen zur Ent­wick­lung des Uni­ver­sums bezüg­lich neu­er Orga­ni­sa­ti­ons­for­men mit neu­en Eigen­schaf­ten zu tref­fen. Bezüg­lich der Unter­su­chung von Emer­genz, also der Her­aus­bil­dung von neu­en Eigen­schaf­ten oder Struk­tu­ren eines Sys­tems infol­ge des Zusam­men­spiels sei­ner Ele­men­te, ste­hen wir noch am Anfang. Zu hohe Kom­ple­xi­tät im Zusam­men­wir­ken der Ele­men­te führt zum Cha­os.  Wie­der­um fehlt Sys­te­men mit weni­gen Eigen­schaf­ten die Dyna­mik zur kon­ti­nu­ier­li­chen Ent­wick­lung. Inso­fern erge­ben sich nach Stuart Kauff­man neue Ord­nun­gen mit neu­en Eigen­schaf­ten am Ran­de des Chaos.

Anstrengungen zum Verständnis von Komplexität

Das Ver­ständ­nis für der­ar­ti­ge Pro­zes­se fehlt uns in der heu­ti­gen Phy­sik weit­ge­hend. Die dazu not­wen­di­ge Kom­ple­xi­täts­theo­rie ent­steht im inter­dis­zi­pli­nä­ren Zusam­men­wir­ken ver­schie­de­ner Fach­rich­tun­gen.  Anders ist der Ver­such, Ener­gie, Mate­rie, Zel­len, Orga­ni­sa­tio­nen, Volks­wirt­schaf­ten und Gesell­schaf­ten zu ver­ste­hen, zum Schei­tern ver­ur­teilt.  Die Welt­for­mel, nach der Ein­stein und Haw­king so vie­le Jah­re ihres Lebens such­ten, kann uns grund­le­gen­de Erklä­run­gen bie­ten, aber Vor­her­sa­gen zur Ent­wick­lung der Welt gewin­nen wir mit die­ser Metho­de nicht umfas­send. Der Reduk­tio­nis­mus ist tot. Wid­men wir uns statt­des­sen der bro­deln­den Akti­vi­tät und Kom­ple­xi­tät der Welt, um wirk­lich zu ver­ste­hen, wie der unend­li­che Orga­nis­mus eines voll­stän­dig zusam­men­hän­gen­den Uni­ver­sums wirkt und wie wir einer­seits lokal begrenzt und doch gleich­zei­tig glo­bal ver­bun­den Bestand­teil und eben­so das Gan­ze sind.

In einer emp­find­lich aus­ba­lan­cier­ten Welt müs­sen wir den Anspruch auf­ge­ben, lang­fris­ti­ge Vor­her­sa­gen machen zu kön­nen. Wir kön­nen die rea­len Fol­gen unse­rer eige­nen bes­ten Hand­lun­gen nicht abse­hen oder gar voll­stän­dig berech­nen. Wir kön­nen ledig­lich lokal, nicht aber glo­bal ver­nünf­tig handeln…

Zusam­men mit allen ande­ren Lebe­we­sen kön­nen wir die Lawi­nen und ihre Ver­pflech­tun­gen, die wir gemein­sam erzeu­gen, nicht vor­her­sa­gen. Wir kön­nen nur lokal unser Bes­tes geben.“ 

Kauff­man, Stuart. (09/1998)

 

Hand­le lokal und den­ke global“

Dalai Lama

 

Kauff­man, S. (09/1998). Der Öltrop­fen im Was­ser. Cha­os, Kom­ple­xi­tät, Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on in Natur und Gesell­schaft. Mün­chen: Piper Ver­lag GmbH. ISBN-10: 3492035493. ISBN-13: 978–3492035491

Andre­as Kieß­ling, 22. März 2013, Leimen

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