Energiefreiheit
Kritik an der Energiewende beim Tichys Einblick-Expertenforum in Dresden
Es schmerzt, wenn man der Energiewende sein berufliches Leben widmete. Aber zum erfolgreichen Weg in eine gemeinsam akzeptierte Energiezukunft und Energiefreiheit gehört auch die Bereitschaft anderen Argumenten zuzuhören und sich den Fehlern der Vergangenheit zu stellen.
Das bisherige Konzept der Energiewende basierte auf einer schmalen Brücke, um die schwankende Stromerzeugung durch Wind und Sonne mittels Flexibilität des preisgünstigen Gases aus Russland auszugleichen. Alle Studien für unsere Energiezukunft setzen auf die Verfügbarkeit von Erdgas als Brückentechnologie in unterschiedlichem Ausmaß und über unterschiedlich lange Zeit. Aber die Brücke trägt nicht mehr oder wird mit LNG aus den USA oder in 5 Jahren eventuell aus Katar für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft unbezahlbar. Das heißt letztendlich; die Energiewende ist mit diesem Konzept gescheitert.
Somit stellt sich die Frage, wie sieht der neue Masterplan für unsere Energiezukunft aus. Diese Energiezukunft muss Abhängigkeiten abbauen, um Energiefreiheit im eigenen Haus, im Unternehmen, in Dorf und Stadt sowie im Land zu erreichen. Ein wirklich zelluläres Energiesystem setzt nicht vorrangig auf Abhängigkeiten. Es gilt Autonomie auf verschiedenen Ebenen der Arbeit- und Lebenswelten zu schaffen.
Von der Ratlosigkeit zur Energiefreiheit
Seit 15 Jahren betrachte ich es als meine Aufgabe, Energietechnologie, Energiewirtschaft, Energiepolitik sowie autonome Energiekonzepte für Gebäude und Landschaften zu gestalten. Seit 10 Jahren glaubte ich, einen vernünftigen Lösungsweg für Deutschland zu kennen. Dieser Lösungsweg basierte auf den Möglichkeiten und Chancen dezentraler Lösungen für alle Menschen, für kleine und mittlere Unternehmen sowie für Kommunen. Vielfältige Beteiligung, autonome Gestaltung und zelluläre Verbundenheit statt zentraler Anforderungen, Bürokratie und Regulierung hieß das Zauberwort. Der Ansatz war von der Erkenntnis geprägt, dass eine zentral verordnete und ideologisch geprägte Energiewende keine Akzeptanz findet. Eine echte Energiewende zeichnet sich durch Technologieoffenheit und Innovationen, durch Vielfalt und Beteiligung sowie Nutzen für Alle aus. Letztendlich beschreibt dieser Ansatz weniger eine Energiewende, sondern ein Konzept für Energiefreiheit.
Aber nun erlebe ich von Medien und der Politik, eine Orgie oberlehrerhafter Ratschläge des Verzichtes. Ratschläge umfassen das Anziehen von Pullovern in der Wohnung gegen das Frieren, das seltenere, kürzere und kältere Duschen, oder den Duschverzicht bei Benutzung eines Waschlappens für die notwendigsten Körperregionen am Waschbecken, aber auch den Verzicht auf Weihnachtsbäume. Die Frankfurter Rundschau geht sogar so weit, das Urinieren in der Dusche als Wassersparmittel zu empfehlen. Es stellt sich dann aber die Frage, wie dies ohne Duschen funktioniert.
Dies sind die kleinen Ärgernisse. Gleichzeitig beschleicht mich aber auch das Gefühl, dass der gesamte bisherige Masterplan für die Energiezukunft aktuell scheitert. Der Plan basierte vorrangig auf Solar- und Windenergie sowie, da die Sonne nicht immer scheint und der Wind nicht immer weht, auf der Flexibilität des Gassystems. Flexibilität war das Kernkonzept des bisherigen Masterplans.
Ausreichende Flexibilität entsteht nur durch die Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Gas. Gas wurde als Brücke in die Energiezukunft bezeichnet, bis in 10 bis 20 Jahren durch Wasserstoff diese Brücke erneuerbar gebaut werden kann. Aber, wie schon zu Beginn gesagt, diese Brücke trägt nicht mehr. Der Verzicht auf russisches Gas bedeutet Gaslieferungen als Flüssiggas (LNG) mit mehrfachem Preis aus den USA. Hinzu kommt, dass diese Quellen die höchsten Vorketten-Emissionen besitzen. Die USA ist aktuell der einzige Nutznießer der Krise. Andere Länder werden erst in Jahren neue Felder erschlossen haben und dann ebenso Flüssiggas mit viel höheren Preisen liefern.
Dies bringt die Gefahr der Deindustrialisierung Deutschlands mit sich. Eventuell ist dies der Plan, um Wachstum zu beenden. Es gibt Stimmen, die in der Umkehr des Wachstums die Lösung sehen, anstatt mit Technologieoffenheit und Innovationen die Möglichkeiten des nachhaltigen Wachstums zu suchen. Dies war aber nie mein Weg der 15-jährigen Beteiligung an der Energiewende. Dieser Weg war von Chancen, vom nachhaltigen Wachstum, von Beteiligung und der Demokratisierung des Energiesystems, also von der Energiefreiheit, geprägt.
Die Gasbrücke ist verloren, wurde im wahrsten Sinne des Wortes gesprengt. Der bisherige Masterplan der Energiezukunft mit umfassender Flexibilität im Energiesystem trägt nicht mehr. Die Politik nimmt mit Verzichtspredigten die Menschen nicht mit. Dringend wird ein neuer Masterplan benötigt, wie unsere Energiezukunft aussehen soll. Die aktuelle Sprachlosigkeit bezüglich neuer Wege, der ideologische Fundamentalismus, alte Wege beizubehalten, hilft uns nicht weiter. Ein Großteil der Bevölkerung nimmt dies als Inkompetenz war. Selbst der so hoffnungsvolle Begriff Energiewende aus dem Jahre 2012 ist inzwischen negativ besetzt. Eventuell kann ein neuer Begriff, zum Beispiel Energiefreiheit, zu neuer Motivation führen. Dies erfordert aber zwingend echte Beteiligung, Lösungsoffenheit, Abkehr von Ideologie sowie die Reaktivierung deutscher Innovationskraft.
Nach einem Jahrzehnt der Überzeugung die richtigen Wege zu kennen, macht sich auch bei mir persönlich Ratlosigkeit breit. Wir müssen dringend reden und offen sein, für die unterschiedlichsten Sichten auf das Energiesystem der Zukunft, um den größten gemeinsamen Nenner, statt den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden.
Persönliche Sichten auf die Diskussionskultur sowie auf sogenannte absolute Wahrheiten aus der Sicht des Physikers, der alle Weltsichten als relativ betrachtet, sind in den über nachfolgende Links erreichbaren Artikel zusammengefasst.
https://energieorganismus.de/politikeinblicke/
https://www.linkedin.com/pulse/politisches-outing-andreas-kiessling
#energydesign #perspektivwechsel
Leimen / Heidelberg — 13. Oktober 2022