Energetische Selbstbestimmung

Energetische Selbstbestimmung

Recht auf informationelle und energetische Selbstbestimmung

„Pro­ble­me kann man nie­mals mit der­sel­ben Denk­wei­se lösen, durch die sie ent­stan­den sind.“ Albert Einstein

 

Herausforderungen führen zu neuen Chancen

Der Ein­satz erneu­er­ba­rer Ener­gie ist ein grund­le­gen­des Mit­tel gegen den Kli­ma­wan­del. Die Nut­zung führt aber auch zu neu­en Denk­wei­sen und Chan­cen für alle gesell­schaft­li­chen Akteu­re. Dabei geht es nicht nur um Tech­no­lo­gien, obwohl ich als Phy­si­ker und Infor­ma­ti­ker eine gewis­se tech­no­lo­gi­sche Ver­liebt­heit nicht leug­nen kann. Wen­det man den Blick von den bis­he­ri­gen Struk­tu­ren des Ener­gie­mark­tes ab und gestal­tet die ener­ge­ti­sche Selbst­be­stim­mung, wer­den span­nen­de Mög­lich­kei­ten erkenn­bar. Um den Her­aus­for­de­run­gen der Zukunft zu bege­nen, gilt es Scheu­klap­pen abzusetzen.

 

Pri­mär füh­ren zwei Denk­an­sät­ze zur For­de­rung nach auto­no­men Ener­gie­kon­zep­ten, die am Bei­spiel des „Auto­no­mieLabs Lei­men“ im Rah­men des Pro­jek­tes C/sells demons­triert wurden.

Ers­tens adres­sie­re ich als Phy­si­ker eine grund­sätz­li­che Posi­ti­on bezüg­lich des Zugrif­fes auf Ener­gie als Grund­recht des Men­schen. Die Begrif­fe Markt- und Netz­dien­lich­keit oder Sys­tem­dienlich­keit prä­gen die Kon­zep­te der Ener­gie­wirt­schaft. C/sells ergänz­te den Begriff Lebens­dien­lich­keit. Hier­bei ste­hen Betei­li­gung, Selbst­be­stim­mung und Zusam­men­wir­ken im Zentrum.

Zwei­tens betrach­te ich als ehe­ma­li­ger Kom­mu­nal­po­li­ti­ker beson­ders die Gestal­tungs- und Wert­schöp­fungs­mög­lich­kei­ten für Gebäude‑, Stadt- und Land­schafts­ent­wick­ler sowie für Betrei­ber als auch kom­mu­na­le und regio­na­le Ver­tre­ter. Der Wan­del schafft eine Viel­falt an Lösungs­we­gen sowie neue For­men des nach­hal­ti­gen Woh­nens, des Lebens und des Arbeitens.

 

Teil­wei­se hal­ten kon­ser­va­ti­ve Ver­tre­ter des bis­he­ri­gen Ener­gie­sys­tems die Eigen­ver­sor­gung mit Ener­gie und auto­no­me Gestal­tung als Sys­tem­feh­ler. Es stellt sich aber die Fra­ge, inwie­fern der Staat die Form des Zugrif­fes auf Ener­gie durch Bür­ger und Unter­neh­men bestim­men darf. Im Pro­jekt C/sells wur­de in inten­si­ven Dis­kus­sio­nen das Ver­hält­nis von Auto­no­mie und Soli­da­ri­tät abge­wo­gen. Zur Umset­zung neu­er, auto­no­mer Gestal­tungs­for­men wähl­te das Pro­jekt den Begriff Ener­gie­zel­le. Wei­ter­hin schließt der ent­spre­chen­de Archi­tek­tur­vor­schlag mit ver­bun­de­nen Ener­gie­zel­len das sol­da­ri­sche Prin­zip des Ener­gie­ver­bund­sys­tems ein. Eine grund­sätz­li­che Betrach­tung bewer­tet hier­zu Ener­gie in Bezug auf das Recht auf Auto­no­mie im Verbund.

 

Energetische Selbstbestimmung durch autonome Energiezellen

Alle Anstren­gun­gen der Phy­si­ker sind dar­auf gerich­tet, die Welt mög­lichst ein­fach zu beschrei­ben. Hier­zu wer­den drei Hand­lungs­ebe­nen genutzt.

Dabei unter­such­ten die Wis­sen­schaft­ler bis vor rund 100 Jah­ren zuerst mate­ri­el­le, also stoff­li­che Din­ge, ihre Bewe­gun­gen und Wechselwirkungen.

Auf die­ser Basis folg­te die Unter­su­chung wir­ken­der Kräf­te auf Grund­la­ge von Ener­gie, die als Fähig­keit zur Ver­rich­tung von Arbeit beschrie­ben wird.

Schluss­end­lich ent­deck­te die moder­ne Phy­sik die Bedeu­tung der in einem Sys­tem ent­hal­te­nen Infor­ma­ti­on und des Zugan­ges zu die­ser Infor­ma­ti­on durch Kom­mu­ni­ka­ti­on. Infor­ma­ti­on ist die Grund­la­ge von Unter­schie­den und damit der Erzeu­gung von Wir­kungs­fä­hig­kei­ten, die wir als Ener­gie beschreiben.

 

Hof­fent­lich folgt die­ser star­ken Ver­ein­fa­chung des Phy­si­ker­hand­wer­kes kein Sturm der Ent­rüs­tung der Kol­le­gen. Aber die­se Betrach­tung hilft ganz prak­tisch bei der Dis­kus­si­on von Men­schen­rech­ten weiter.

Auf der einen Sei­te benö­ti­gen wir grund­le­gen­de mate­ri­el­le Din­ge zum Über­le­ben. Dies betrifft ins­be­son­de­re den gleich­be­rech­tig­ten Zugang zu Was­ser und Nahrung.

Ander­seits besitzt die infor­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung im Rechts­sys­tem einen hohen Stel­len­wert. Sie ist in natio­na­len Geset­zen ver­an­kert, aber noch nicht Teil der Ver­fas­sung oder Grund­rech­te-Char­ta. Im Rah­men der Digi­ta­li­sie­rung und Ver­net­zung der Welt exis­tie­ren Vor­schlä­ge zur Erwei­te­rung der Charta.

 

Das Recht auf ener­ge­ti­sche Selbst­be­stim­mung wird bis­her noch nicht auf brei­ter Front dis­ku­tiert. Dies ist selt­sam. Die mäch­tigs­ten Unter­neh­men der Welt ver­die­nen Geld mit Infor­ma­ti­on sowie mit ener­ge­ti­schen Res­sour­cen. Län­der mit einem höhe­ren Grad an Ener­gie­be­reit­stel­lung besit­zen mehr Poten­tia­le für Arbeits­plät­ze und sind bei der Berech­nung des Ein­kom­mens pro Kopf rei­cher. Den ärms­ten Län­dern man­gelt es an aus­rei­chen­dem Zugriff auf Energie.

Inso­fern fol­gen in logi­scher Kon­se­quenz der Begriff Ener­gie­zel­le und For­men auto­no­mer Gestal­tung als Mit­tel für ener­ge­ti­sche Selbstbestimmung.

 

Energetische Selbstbestimmung im AutonomieLab Leimen

Das Wech­sel­strom­sys­tem von Niko­la Tes­la führ­te Ende des 19. Jahr­hun­derts in Ver­bin­dung mit zen­tra­len Ener­gie­res­sour­cen wie Was­ser­kraft, Koh­le und Öl schnell zur Zen­tra­li­sie­rung der Ener­gie­um­wand­lung, aber auch der Lie­fe­rung und Steue­rung von Ener­gie­an­ge­bo­ten. Aus vie­len klei­nen Elek­tri­zi­täts­an­bie­tern wur­den welt­weit mäch­ti­ge Energiekonzerne.

Son­ne, Wind und Erd­wär­me sowie wei­te­re, sich in der Zukunft erge­ben­de tech­no­lo­gi­sche Mög­lich­kei­ten ver­än­dern das Spiel. Letzt­end­lich kann jeder Ein­zel­ne zum Ener­gie­an­bie­ter wer­den. Schon der ver­stor­be­ne SPD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Her­mann Scheer bezeich­ne­te ins­be­son­de­re Solar­ener­gie als Wert­schöp­fungs­chan­ce für Kom­mu­nen. Aber damit ver­än­dert sich radi­kal das Markt­ge­sche­hen und es gibt mäch­ti­ge Gegner.

 

Somit fol­gert der Autor ein Grund­recht für alle gesell­schaft­li­chen Grup­pen, das Han­deln bezüg­lich eige­ner Ener­gie­kreis­läu­fe in Ver­bin­dung mit neu­en Gestal­tungs­for­men von Gebäu­den in eige­ne Hän­de zu neh­men. Das Pro­jekt C/sells for­dert in ener­gie­po­li­ti­schen Posi­tio­nen, dass dies nicht durch über­bor­den­de Regu­lie­rung und Büro­kra­ti­sie­rung ver­hin­dert wer­den darf. Statt­des­sen ist der Rah­men zur siche­ren Funk­ti­on auto­no­mer Gestal­tung im Ver­bund zu schaffen.

 

Die für ener­ge­ti­sche Selbst­be­stim­mung not­wen­di­ge tech­ni­sche Aus­stat­tung des Gebäu­des demons­trier­te das Auto­no­mie­Lab Lei­men. Ziel­stel­lun­gen waren sowohl die Insel­fä­hig­keit als auch die Fle­xi­bi­li­tät im Ver­bund. Die Gebäu­de­aus­stat­tung umfasst Anla­gen und Gerä­te zur Gewin­nung, Spei­che­rung und Nut­zung von Ener­gie sowie einen digi­ta­len Netz­an­schluss zur Ver­bin­dung mit der Außen­welt und ein auto­no­mes Ener­gie­ma­nage­ment­sys­tem zur Rege­lung der Ener­gie­flüs­se in der Energiezelle.

Abb. Ener­ge­ti­sche Selbst­be­stim­mung mit loka­ler Ener­gie­ge­win­nung und Spei­che­rung sowie digi­ta­lem Netz­an­schluss und Ener­gie­ma­nage­ment (wei­te­re Infor­ma­tio­nen zur Demons­tra­ti­on unter https://energieorganismus.de/digitaler-netzanschluss-und-autonomes-energiemanagement/)

 

Andre­as Kieß­ling, ener­gy design,  Lei­men / Hei­del­berg — 1. Sep­tem­ber 2021

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