Autonome Gestaltung durch Eigenversorger und Energiegemeinschaften als Erfolgsmittel der Energiewende
Die geplanten gesetzlichen Anpassungen zur Änderung des EEG in der Bundespolitik sollen auch eine Antwort auf die EU-Richtlinie zu Erneuerbaren Energien [1] mit Stärkung der Eigennutzung oder gemeinschaftlicher Nutzung selbst gewonnener Energie sein (Eigenversorger und Energiegemeinschaften als Produzenten und Konsumenten – Prosumenten).
Dabei zielt die Richtlinie insbesondere auf ein hohes Maß an Beteiligung an den Chancen Erneuerbarer Energien auch in den Kommunen sowie der Bürger als auch kleiner und mittlerer Unternehmen. Der Beitrag kleiner Anlagen (bis 30 Kilowatt) wird betont, verbunden mit der Forderung nach Abbau von Bürokratie, Umlagen und Kosten, die insbesondere kleine Anlagen treffen.
Besondere Zielstellung ist aber auch die Erschließung der Möglichkeiten, die Innovation und eine nachhaltige, wettbewerbsfördernde Energiepolitik für das Wirtschaftswachstum bieten. Es wird festgestellt, dass durch Investitionen in die lokale und regionale Produktion von Energie aus erneuerbaren Quellen sich in den Mitgliedstaaten und ihren Regionen beträchtliche Chancen für die Entwicklung lokaler Unternehmen, nachhaltiges Wachstum und die Entstehung hochwertiger Arbeitsplätze ergeben.
Auf dieser Basis werden folgende drei Gruppen von Prosumenten als Eigenversorger und Energiegemeinschaften differenziert:
- Eigenversorger im Bereich erneuerbare Energie als Endkunde, der an Ort und Stelle innerhalb definierter Grenzen Energie gewinnen, speichern und selbst nutzen oder verkaufen darf
- gemeinsam handelnde Eigenversorger im Bereich erneuerbare Energie als eine Gruppe von zumindest zwei gemeinsam handelnden Eigenversorgern, die sich in demselben Gebäude befinden
- Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft als Rechtsperson, die eine Beteiligung an Erneuerbaren-Energie-Anlagen auch ohne eigene Anlagen oder außerhalb des eigenen Mehrfamiliengebäudes ermöglicht und somit Energiearmut begegnet, wobei dazu neue Marktplattformen mit Aggregatoren oder Peer-to-Peer-Geschäften auf Basis moderner Technologien der Digitalisierung zum Einsatz kommen
[1] RICHTLINIE (EU) 2018/2001 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 11. Dezember 2018 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen
Zentral versus dezentral organisierte Energiewende
In der grundlegenden Zielbeschreibung sind sich die politischen Vertreter sowie die betroffenen Akteure einig. Es geht um die Dekarbonisierung der Gesellschaft bis 2050. Aber bei Wegen und Mittel zur Zielerreichung folgt schnell der Dissens. Insofern ist eine breite Diskussion bis hin zu den lokalen Akteuren notwendig.
Von Vertretern bisheriger, zentralistischer energiewirtschaftlicher Konzepte hört man folgende Argumente:
- Gesamtsystemisch sind Photovoltaik-Großanlagen auf Freiflächen besser als Dachanlagen.
- Anliegen der Prosumenten in Gebäuden wären „ganz nett“, aber nur ein Bruchteil des Strombedarfes, weswegen darauf keine Priorität zu richten ist.
Bei genauer Betrachtung lässt sich feststellen, dass dies die wirklichen Anforderungen zum Erfolg der Energiewende verfehlt, denn
1) sind Prosumenten als Eigenversorger und Energiegemeinschaften in abgegrenzten Gebieten (Zellen) sowohl Bewohner von Wohngebäuden, aber auch Nutzer gewerblicher Objekte, von Industriearealen und Flughäfen, usw., die die Energiesystemgestaltung in eigene Hände nehmen und in einem demokratischen System auch das Recht darauf haben sollten,
2) beträgt die Energienutzung in den Haushalten über alle Sektoren (insbesondere Strom und Wärme) relevante 25 Prozent,
3) ist die Stromwende nur ein Teil der Energiewende, da die Wärmewende und die Mobilitätswende einen viel höheren Energiebedarf umfasst,
4) geht es nicht vorrangig um gesamtsystemische Effizienz, sondern um die Effektivität der Zielerreichung für 100 % Erneuerbare Energie in allen Sektoren (Strom, Wärme, Mobilität, erneuerbares Gas – z.B. Wasserstoff), die auf Gemeinwohlvorteilen für alle Mitglieder der Gesellschaft basiert.
Gestaltungsvielfalt und Innovationskraft der Gesellschaft versus staatliche Detailregulierung
Es besteht sicherlich ein breiter internationaler Konsens, dass die Gestaltungskraft der Gesellschaft und die Innovationskraft der Wirtschaft Grundlage für eine erfolgreiche Transformation des Energiesystems ist. Unbestritten ist auch, dass das Energiesystem als Lebensgrundlage eine unverzichtbare Infrastruktur darstellt. Diese Infrastruktur erlebt durch die wertschöpfende und im erneuerbaren, dezentralem Energiesystem notwendige Digitalisierung zunehmende Gefährdungen und Angriffe. Deshalb ist ein geeigneter legislativer und regulatorischer Rahmen unverzichtbar. Dieser Rahmen darf aber nicht dazu führen, dass eine übertriebene technische Detailregulierung Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und internationale Zusammenarbeit gefährdet.
Auf dieser Basis werden
- aktuelle Vorschläge der Bundenetzagentur für neue Anschlussbedingungen von Prosumenten als Eigenversorger und Energiegemeinschaften,
- Stufenmodell und Detailspezifikationen der BMWi/BSI-Task Force Smart Grid / Smart Metering / Smart Mobility
- Konzepte für die Neuregelung des Erneuerbaren-Energien-Gesetz
kritisch bewertet.
Die vorgeschlagenen Anpassungen sind von einer äußerst detaillierten technischen Regulierung bis hin zu einzelnen Anlagen und Geräten in den Gebäuden geprägt. Insbesondere ist festzustellen, dass die Vorschläge der Bundesnetzagentur Prosumenten eher mit neuen wirtschaftlichen Lasten belegen.
Das Projekt C/sells als Bestandteil des vom BMWi geförderten Programmes „Schaufenster intelligente Energie“ schließt dagegen, dass der Erfolg der Energiewende nur durch die Vielfalt, Partizipation und Handlungsmöglichkeiten der Bürger, der Unternehmen, der Kommunen und Regionen zu erreichen ist.
Aus diesem Grunde wird hiermit aufgerufen, alternative Lösungswege zur Anpassung des rechtlichen Rahmens zu finden, die die Vielfalt der Gesellschaft motivieren, die Gestaltung des zukünftigen Energiesystems auf bürgernahe Weise auch im lokalen Rahmen in die eigenen Hände zu nehmen (Handle lokal – Denke global).
Dazu gehört die Gestaltung eines zellulären Energiesystems, das insbesondere die Eigenversorger und Energiegemeinschaften adressiert. Entsprechende Umsetzungskonzepte wurden in den SINTEG-Projekten und insbesondere im von der zellulären Architektur geprägten Projekt C/sells demonstriert und können in die legislativen und regulatorischen Gestaltungsprozesse eingebracht werden.
Leimen, den 26. August 2020