Technologiesuche zur Energiegewinnung mit Kernspaltung

Militär bestimmt Technologieauswahl bei der Generation I

Technologiesuche zur Energiegewinnung mit Kernspaltung
Kernkraftwerk, vereinfachter schematischer Aufbau mit Siedewasserreaktor; copyright by AdobeStock, No. 32942380

Technologiesuche zur Energiegewinnung mit Kernspaltung

Militär bestimmt Technologieauswahl bei der Generation I

Vom „Chi­ca­go Pile 1“ im Rah­men des „Man­hat­tan-Pro­jek­tes zum Bau der Atom­bom­be über die Ent­wick­lung mit Kern­ener­gie ange­trie­be­ner U‑Boote oder die zum Glück geschei­ter­te Idee atom­ge­trie­be­ner Flug­zeu­ge bis hin zur Ver­brei­tung von Leicht­was­ser­re­ak­to­ren in Kern­kraft­wer­ken und zur For­schung an soge­nann­ten Schnel­len Brü­tern mit der dua­len Funk­ti­on zwecks Gewin­nung von Ener­gie als auch spalt­ba­ren Ele­men­ten waren die Fort­schrit­te bei der Nut­zung der Ener­gie der Atom­ker­ne immer von mili­tä­ri­schen Inter­es­sen bestimmt. Somit waren ande­re Kon­zep­te zu siche­ren und für mili­tä­ri­sche Begehr­lich­kei­ten weni­ger nütz­li­chen Kern­kraft­wer­ken trotz erfolg­rei­cher Demons­tra­tio­nen bei der Tech­no­lo­gie­su­che zur Ener­gie­ge­win­nung mit Kern­spal­tung chancenlos.

Ich glau­be kei­ner von uns, mit der mög­li­chen Aus­nah­me von Edward Tel­ler, war sich im kla­ren dar­über, wie stark die Reak­tor­ent­wick­lung von der Reak­tor­si­cher­heit abhän­gen wür­de”, Alvin Wein­berg, Kern­phy­si­ker und Erfin­der des Druckwasserreaktors

Inhaltsverzeichnis

  1. Die Ener­gie der Atomkerne
  2. Ener­gie­po­ten­zia­le der Kernspaltung
  3. Rezep­tur der gesteu­er­ten Kern­spal­tung oder „Der Mann mit der Axt”
  4. Tech­no­lo­gie­su­che zur Ener­gie­ge­win­nung mit Kern­spal­tung in der Gene­ra­ti­on I
  5. Leicht­was­ser­re­ak­to­ren der Gene­ra­ti­on II
  6. Har­ris­burg — Tscher­no­byl — Fukushima
  7. Neue Sicher­heits­kon­zep­te und die Gene­ra­ti­on III
  8. Kern­kraft­wer­ke neu gedacht und die Gene­ra­ti­on IV
  9. Die Ener­gie der Son­ne durch Kern­fu­si­on und auf­kom­men­de Technologien

Atomkraft ohne Risiko?

Im Rah­men des Man­hat­tan-Pro­jek­tes zeig­te die Demons­tra­ti­on „Chi­ca­go Pile 1“ die Mög­lich­keit einer gesteu­er­ten Ket­ten­re­ak­ti­on durch Kern­spal­tung. Doch das eigent­li­che Ziel des Man­hat­tan-Pro­jek­tes bestand im Bau von Atom­bom­ben. Die in die­sem Zusam­men­hang par­al­lel ent­wi­ckel­ten Kern­re­ak­to­ren soll­ten zuerst eine Auf­ga­be erfül­len. Es galt, Plu­to­ni­um für Atom­bom­ben zu erbrü­ten. Zwar kann für die­se Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen auch Uran-235 benutzt wer­den. Aber dies erfor­dert den Abbau von Uran­erz sowie die Auf­be­rei­tung des Roh­stof­fes. Erschwe­rend ist, dass in der Natur vor­ran­gig Uran-238 vor­kommt. Die im Erz ent­hal­te­ne gerin­ge­re Kon­zen­tra­ti­on an Uran-235 muss in einem auf­wen­di­gen Pro­zess ange­rei­chert wer­den. Somit fiel die Ent­schei­dung, die Atom­bom­be mit Plu­to­ni­um zu bau­en, das ein Kern­re­ak­tor, der eine gerin­ge­re Kon­zen­tra­ti­on an Uran-235 benö­tigt, erbrü­ten sollte.

Es ging also Anfang der 1940-er Jah­re über­haupt nicht dar­um, eine siche­re und effi­zi­en­te Form der Ener­gie­ge­win­nung zu ent­wi­ckeln. Der Bau von Kern­re­ak­to­ren muss­te sich der Ent­wick­lung der Atom­bom­be unter­ord­nen. Die damals gefäll­ten Ent­schei­dun­gen bei der Tech­no­lo­gie­su­che zur Ener­gie­ge­win­nung mit Kern­spal­tung bestim­men noch heu­te die Sicher­heit der Kern­re­ak­to­ren der zwei­ten Gene­ra­ti­on. Plu­to­ni­um bil­det die Brü­cke zwi­schen der Ent­wick­lung von Kern­waf­fen und Kernkraftwerken.

Im Man­hat­tan-Pro­jekt erhielt somit ein Team um den Kern­phy­si­ker Alvin Wein­berg den Auf­trag, einen Kern­re­ak­tor zu ent­wi­ckeln, der Plu­to­ni­um erbrü­tet. Um die­se Auf­ga­be zu bewäl­ti­gen, muss­ten die Wis­sen­schaft­ler eine Insta­bi­li­tät in Kauf neh­men. Genau die­se Insta­bi­li­tät spiel­te spä­ter beim Reak­tor­un­glück in Tscher­no­byl eine ent­schei­den­de Rol­le (Quel­le: Thorium/Tonelotto). Dies bedeu­te­te, dass beim Aus­fall des Was­ser­kreis­lau­fes der Reak­tor außer Kon­trol­le gera­ten und explo­die­ren kann. Der Öffent­lich­keit gau­kel­te man aber vor, der Fokus läge auf der Ent­wick­lung der fried­li­chen Nut­zung von Kern­ener­gie. Statt­des­sen for­mier­te sich im Hin­ter­grund ein Appa­rat, zehn­tau­sen­de von Atom­bom­ben zu pro­du­zie­ren. Wich­ti­ge Ent­schei­dun­gen zur Reak­tor­ent­wick­lung ord­ne­ten sich die­ser Auf­ga­be unter. 

 

Atomgetriebene U‑Boot

Graphitmoderierte Reaktoren

Bei Kennt­nis der Hin­ter­grün­de der Ent­wick­lung ers­ter Kern­re­ak­to­ren ver­wun­dert es nicht, dass die ursprüng­li­chen Inter­es­sen­ten an der Nut­zung von Kern­ener­gie nicht aus der Ener­gie­wirt­schaft kamen. Nein, statt­des­sen inter­es­sier­te sich die Mari­ne für den Ein­satz von Kern­re­ak­to­ren in U‑Booten. Die Idee atom­ge­trie­be­ner U‑Boote, die qua­si unend­lich lan­ge unter Was­ser fah­ren konn­ten, war ver­füh­re­risch. 

Nun bestand die Auf­ga­be dar­in, die geeig­ne­ten Zuta­ten zu fin­den sowie eine Aus­wahl aus den damit ver­bun­de­nen Varia­ti­ons­mög­lich­kei­ten zu tref­fen. Mög­li­che Rezept­be­stand­tei­le haben wir im Kapi­tel „Rezep­tur der gesteu­er­ten Kern­spal­tung“ unter den Posi­tio­nen I.a bis V.c betrach­tet. Damit sind bei Kom­bi­na­ti­on aller mög­li­chen Zuta­ten tau­send Reak­tor­ty­pen denkbar.

Als Brenn­stoff (Posi­ti­on I.a) kam Uran-233, Uran-235 und Plu­to­ni­um-239 in Fra­ge. Als Wär­me­trans­port- und Kühl­mit­tel (Posi­tio­nen IV.a – IV.c) wur­den Was­ser, schwe­res Was­ser, Gas und Flüs­sig­me­tall betrach­tet. Ein Mode­ra­tor soll­te die bei der Kern­spal­tung frei­wer­den­den schnel­len Neu­tro­nen zu ther­mi­schen Neu­tro­nen (Posi­ti­on III.a) ver­lang­sa­men. Zur Aus­wahl stan­den dabei wie­der­um Was­ser und schwe­res Was­ser, aber auch Beryl­li­um und Gra­phit (Posi­ti­on III.c). Ein schnel­ler Brü­ter, des­sen Name sich dadurch begrün­det, dass die Kern­spal­tung nicht mit ther­mi­schen son­dern mit schnel­len Neu­tro­nen (Posi­ti­on III.b) aus­ge­löst wird, benö­tigt wie­der­um kei­nen Moderator.

In den frü­hen Tagen der Reak­tor­ent­wick­lung kam Gra­phit als Mode­ra­tor in Fra­ge. Gra­phit war kos­ten­güns­tig und die mode­rie­ren­den Eigen­schaf­ten von Was­ser waren noch nicht bekannt. Das Mate­ri­al ist leicht zu bear­bei­ten und kann in unter­schied­li­che For­men gegos­sen wer­den, was die Inte­gra­ti­on in Reak­tor­kom­po­nen­ten ermög­licht. Es bie­tet aber auch wei­te­re Vor­tei­le in Bezug auf das ther­mi­sche Verhalten.

Druckwasserreaktoren

Was­ser dien­te in den ers­ten Ver­suchs­re­ak­to­ren vor­ran­gig zum Wär­me­trans­port in Rich­tung Tur­bi­nen sowie zur Küh­lung. Mit Was­ser kennt sich die Mari­ne aus. Die Inge­nieu­re muss­ten nur dafür sor­gen, dass das Was­ser nicht ver­dampft und immer wie­der dem Kreis­lauf zuge­führt wird. Der was­ser­be­trie­be­ne Kühl­kreis­lauf sowie die Gra­phit­blö­cke, die bei der Kern­spal­tung frei­wer­den­de schnel­le Neu­tro­nen zu ther­mi­schen Neu­tro­nen ver­lang­sa­men, dür­fen aber nicht in Kon­takt kom­men. Ansons­ten füh­ren che­mi­sche Reak­tio­nen zwi­schen Gra­phit und Was­ser zur Wär­me­ent­wick­lung und somit zur Gefahr eines Gra­phit­bran­des. Des­halb muss bei gra­phit­mo­de­rier­ten Reak­to­ren das Wär­me­trans­port- und Kühl­mit­tel Was­ser in geson­der­ten Röh­ren durch den Bereich der Kern­brenn­stof­fe und des Mode­ra­tor-Mate­ri­als geführt werden.

Mit der Ent­de­ckung der mode­rie­ren­den Eigen­schaf­ten von Was­ser ent­stand das Kon­zept der Leicht­was­ser­re­ak­to­ren. Die mit Tablet­ten aus Uran-235 gefüll­ten Brenn­stä­be befin­den sich im Was­ser, das zugleich als Kühl­mit­tel sowie als Mode­ra­tor dient. Aber Was­ser sie­det lei­der schon bei rund 100 Grad Cel­si­us. Um die Ener­gie der Kern­spal­tung opti­mal abzu­trans­por­tie­ren, wer­den Tem­pe­ra­tu­ren um 300 Grad Cel­si­us benö­tigt. Damit das Was­ser nicht sie­det, muss es unter hohen Druck gesetzt wer­den. Das Kon­zept des Druck­was­ser­re­ak­tors war gebo­ren. Die­ser Reak­tor konn­te in kom­pak­te­rer Bau­wei­se als ein gra­phit-mode­rier­ter Reak­tor kon­stru­iert werden.

Die Inter­es­sen der Mari­ne bezüg­lich eines kos­ten­güns­ti­gen Auf­baus mit mini­ma­lem Platz­be­darf führ­ten also zur Ent­schei­dung, einen Reak­tor mit Uran-235 als Brenn­stoff sowie mit Was­ser zum Wär­me­trans­port, zur Küh­lung und zur Abbrem­sung der Neu­tro­nen im Druck­be­häl­ter zu bauen.

Die Umset­zung im ers­ten Atom-U-Boot Nau­ti­lus im Jah­re 1952 ver­dank­te er sei­ner kom­pak­ten, für ein U‑Boot pas­sen­den Grö­ße sowie dem für die Mari­ne geeig­ne­ten Umgang mit Was­ser. In der Fol­ge wur­de die­ses Sys­tem auch bei Kern­kraft­wer­ken bevor­zugt. Das ers­te kom­mer­zi­el­le Kern­kraft­werk ent­stand 1954 noch mit einem gra­phit­mo­de­rier­ten Reak­tor in der Sowjet­uni­on in Obn­insk sowie 1958 in den USA in Ship­ping­port mit einem Druck­was­ser­re­ak­tor. 

Atomgetriebenes Flugzeug

Flüssigbrennstoff

Die im Druck­was­ser­re­ak­tor ver­wen­de­ten Fest­brenn­stof­fe bar­gen ein Pro­blem. Nach der Reak­tor­ab­schal­tung bei Stör­fäl­len fin­den in den Brenn­stä­ben wei­ter­hin spon­ta­ne Kern­spal­tun­gen statt. Für Reak­to­ren mit Maxi­mal­leis­tun­gen bis zu einem Giga­watt bedeu­tet dies immer­hin noch meh­re­re Mega­watt Rest­leis­tung. Die hier­bei frei­wer­den­de Wär­me­en­er­gie muss abge­führt wer­den. Dar­um küm­mern sich Not­kühl­sys­te­me. Wenn die­se Kühl­sys­te­me ver­sa­gen, dro­hen meh­re­re Risi­ken. Die stei­gen­de Tem­pe­ra­tur im Reak­tor kann die Schmel­ze des Brenn­stof­fes bis hin zur unkon­trol­lier­ten Ket­ten­re­ak­ti­on ver­ur­sa­chen, was zur Kata­stro­phe von Tscher­no­byl führ­te. Wei­ter­hin ver­ur­sa­chen hohe Tem­pe­ra­tu­ren die Spal­tung des Kühl­was­sers zu Was­ser­stoff und Sau­er­stoff. Dies kann zur Knall­gas­re­ak­ti­on wie in Fuku­shi­ma füh­ren. Natür­lich ver­ein­facht die­se Dar­stel­lung das Gesche­hen stark. Aber wir wid­men uns die­sen Risi­ken aus­führ­li­cher im nächs­ten Kapitel.

Des­halb forsch­te schon früh­zei­tig ein Team um den Kern­phy­si­ker Alvin Wein­berg in Oak Ridge an einem ande­ren Reak­tor­typ mit Flüs­sig­brenn­stoff. Dazu ent­stand der HRE 1 genann­te Ver­suchs­re­ak­tor — der homo­ge­ne, wäss­ri­ge Reak­tor — schon im Jah­re 1953. Nach Lösung ver­schie­de­ner tech­no­lo­gi­scher Her­aus­for­de­run­gen funk­tio­nier­te der HRE 2 bis zu sei­ner Abschal­tung im Jahr 1964 pro­blem­los. Die­se Anla­ge arbei­te­te auch mit ther­mi­schen Neu­tro­nen (Rezep­tur­po­si­ti­on III.b). Sie wur­de mit schwe­rem Was­ser gekühlt (Posi­tio­nen IV.a – IV.c) und mit Gra­phit mode­riert (Posi­ti­on III.c). Aber als Brenn­stoff wur­de flüs­si­ges, zir­ku­lie­ren­des Uran-235 (Posi­ti­on I.a und b) eingesetzt.

Nun inter­es­sier­ten sich auch die Luft­streit­kräf­te der USA für die­se Idee. Das Kon­zept atom­ge­trie­be­ner U‑Boote war in Flug­zeu­gen nicht umsetz­bar, aber Reak­to­ren mit Flüs­sig­brenn­stof­fen schie­nen eine Alter­na­ti­ve zu bie­ten. Die Air­force rich­te­te mit star­kem poli­ti­schem Ein­fluss in Oak Ridge ein Pro­jekt zur Ent­wick­lung des atom­ge­trie­be­nen Flug­zeu­ges ein, das im Jah­re 1961 wie­der ein­ge­stellt wurde.

Die Flug­zeug­trieb­wer­ke benö­ti­gen Tem­pe­ra­tu­ren bis zu 800 Grad Cel­si­us, was Fest­brenn­stof­fe aus­schloss. Dies traf aber auch auf Was­ser als Kühl­mit­tel zu. Somit stell­te sich die Fra­ge, wel­ches Mit­tel zum Wär­me­trans­port und zur Küh­lung sowie in wel­chem Zustand Uran als Flüs­sig­brenn­stoff geeig­net war.

Flüssigsalz-Reaktoren

Geschmol­ze­ne Fluo­ri­de als Flüs­sig­s­al­ze mit dar­in auf­ge­lös­tem Uran waren die Ant­wort. Die Ver­bin­dung von Brenn­stoff, Wär­me­trans­port und Kühl­mit­tel im Flüs­sig­s­alz (Posi­ti­on I.a bis b sowie Posi­ti­on V.a bis c) war her­ge­stellt.

Was­ser benö­tigt Druck­re­ak­to­ren, um bis zu 300 Grad Cel­si­us Betriebs­tem­pe­ra­tur flüs­sig zu blei­ben. Flüs­sig­s­al­ze sie­den erst bei 1500 Grad Cel­si­us und funk­tio­nie­ren somit bei 800 Grad pro­blem­los. Flüs­sig­s­alz-Reak­to­ren benö­ti­gen des­halb kei­ne Druck­ge­fä­ße. Was­ser als Kühl­mit­tel besitzt in Ver­bin­dung mit einem Druck­re­ak­tor ein hohes Explo­si­ons­ri­si­ko. Es neigt dazu, bei zu hohen Tem­pe­ra­tu­ren durch die Spal­tung zu Was­ser­stoff und Sau­er­stoff Knall­gas zu bil­den. Flüs­sig­s­al­ze sind che­misch äußerst sta­bi­le Ver­bin­dun­gen, womit ein Sicher­heits­pro­blem entfällt.

Wäh­rend der Prä­si­dent­schaft von John F. Ken­ne­dy reif­te die Erkennt­nis, dass es kei­ne gute Idee ist, den Absturz eines Flug­zeu­ges mit Kern­re­ak­tor zu ris­kie­ren. Die Air­force zog sich aus dem Vor­ha­ben zurück. Aber die Vor­tei­le die­ses Reak­tors waren offen­sicht­lich. Im Jah­re 1966 erfolg­te die Inbe­trieb­nah­me eines Ver­suchs­re­ak­tors zur Ener­gie­ge­win­nung mit im Flüs­sig­s­alz auf­ge­lös­ten Uran-235 mit der Bezeich­nung MSRE (eng­lisch: Mol­ten-Salt Reac­tor Expe­ri­ment), mit dem auch Mate­ri­al­pro­ble­me die­ses Reak­tor­typs gelöst wur­den. Im Jahr 1968 fand ein wei­te­res Expe­ri­ment zur Umstel­lung des Reak­tors auf Tho­ri­um statt. Die­ses Ele­ment ist in der Erd­krus­te häu­fi­ger vor­han­den als Uran. Im Reak­tor wird Tho­ri­um durch Kern­re­ak­tio­nen in Uran-233 als Brenn­stoff umgewandelt.

Wir kom­men aber erst im Kapi­tel “Kern­kraft­wer­ke neu gedacht und die Gene­ra­ti­on IV” dar­auf zurück. Denn die Ent­wick­lung des Flüs­sig­s­alz-Reak­tors fand Anfang der 1970-er Jah­re ein jähes Ende. Die poli­ti­schen Ent­schei­der waren der Mei­nung, dass Kern­re­ak­to­ren gleich­zei­tig zur Ener­gie­ge­win­nung und zur Erzeu­gung von waf­fen­fä­hi­gem Plu­to­ni­um ein­ge­setzt wer­den soll­ten. Sicher­heits­be­den­ken der Kern­phy­si­ker von Oak Ridge wur­den igno­riert und Alvin Wein­berg, Mit­er­fin­der des Druck­was­ser­re­ak­tors, als Lei­ter der Ent­wick­lung von Flüs­sig­s­alz­re­ak­to­ren 1973 gefeuert.

Damit setz­ten sich die Leicht­was­ser-Reak­to­ren mit Fest­brenn­stof­fen als haupt­säch­li­che Ent­wick­lungs­li­nie auf Basis von Sie­de­was­ser­re­ak­to­ren, Druck­was­ser­re­ak­to­ren und schnel­len Brü­tern durch.

Siedewasser- und Druckwasserreaktoren sowie Schnelle Brüter

Militärische Interessen und Ignoranz gegenüber Risiken

Die Geschich­te zeigt, dass mili­tä­ri­sche Inter­es­sen die Reak­tor­auswahl für die Ener­gie­wirt­schaft bestimm­ten. Die US-Mari­ne ent­schied sich für fes­tes Uran-235 mit nor­ma­lem Was­ser (leich­tes Was­ser) als Kühl­mit­tel und Neu­tro­nen­brems­stoff. Die rich­ti­ge Ent­schei­dung, Kern­re­ak­to­ren nicht in Flug­zeu­gen ein­zu­set­zen, besie­gel­te gleich­zei­tig die Mög­lich­keit der fried­li­chen Nut­zung ande­rer Reaktorkonzepte.

Damit fiel aber auch die Ent­schei­dung gegen Reak­to­ren mit höhe­rer Sicher­heit. Bei Nor­mal­druck betrie­be­ne Flüs­sig­s­alz­re­ak­to­ren benö­ti­gen kei­ne Druck­ge­fä­ße. Sie arbei­ten ohne Was­ser, das in Leicht­was­ser­re­ak­to­ren zur Knall­gas­bil­dung mit wei­te­rem Explo­si­ons­po­ten­zi­al füh­ren kann. Auch die Ver­wen­dung von Gra­phit in gra­phit­mo­de­rier­ten Reak­to­ren birgt ein Risi­ko. Bei Stör­fäl­len kann der Kühl­kreis­lauf mit Was­ser ver­sa­gen. Das wei­ter­hin vor­han­de­ne Gra­phit bremst die durch anhal­ten­de Kern­spal­tun­gen erzeug­ten Neu­tro­nen trotz­dem ab. Die­se Neu­tro­nen lösen wie­der­um Kern­spal­tun­gen aus. Der selbst­ver­stär­ken­de Pro­zess führt im schlimms­ten Fall zum Schmel­zen der Brenn­stä­be. 

Außer­dem neigt Uran in Form fes­ter Pel­lets zu Poro­si­tät. Somit kön­nen nur 10 Pro­zent des Urans in Brenn­stä­ben zur Kern­spal­tung genutzt wer­den. Die Brenn­stä­be müs­sen aus­ge­tauscht sowie in einem auf­wen­di­gen Ver­fah­ren mehr­mals wie­der­auf­be­rei­tet wer­den. Am Schluss ver­bleibt ein hoch­ra­dio­ak­ti­ves Mate­ri­al zur End­la­ge­rung. 

Die gra­phit­mo­de­rier­ten Reak­to­ren und auch die Leicht­was­ser­re­ak­to­ren erzeu­gen radio­ak­ti­ve Stof­fe mit Halb­wert­zei­ten von meh­re­ren hun­dert­tau­send Jah­ren. Dies schafft eine unlös­ba­re End­la­ger­pro­ble­ma­tik. Zu die­sem radio­ak­ti­ven Rest­müll gehört waf­fen­fä­hi­ges Mate­ri­al, das die fried­li­che Nut­zung der Kern­ener­gie zu einem hohen Risi­ko für die Mensch­heit macht. Flüs­sig­s­alz­re­ak­to­ren sind als Brü­ter von kern­waf­fen­fä­hi­gem Plu­to­ni­um unge­eig­net. Sie könn­ten somit die Akzep­tanz in der Bevöl­ke­rung zur Nut­zung der Kern­ener­gie erhöhen.

Aber die Ent­schei­dung für was­ser­ge­kühl­te Reak­to­ren bei der Tech­no­lo­gie­su­che zur Ener­gie­ge­win­nung mit Kern­spal­tung war gefal­len. Wis­sen­schaft­ler, die wie Alvin Wein­berg auf die Risi­ken die­ser Reak­tor­ty­pen ver­wie­sen, konn­ten sich kein Gehör ver­schaf­fen. Die wei­te­re Dif­fe­ren­zie­rung der sich welt­weit durch­set­zen­den Reak­to­ren erfolgt unter den Begrif­fen Siedewasser‑, Druck­was­ser­re­ak­to­ren und Schnel­le Brüter.

Der Siegeszug der wassergekühlten Reaktoren mit Festbrennstoffen

Der Leicht­was­ser­re­ak­tor setz­te sich welt­weit durch. Aber nicht alle Reak­to­ren nutz­ten das Kon­zept des Druck­was­ser­re­ak­tors. Die kon­kur­rie­ren­de Lösung des Sie­de­was­ser­re­ak­tors war kos­ten­güns­ti­ger. Er funk­tio­niert mit einem ein­zi­gen Dampf-Was­ser­kreis­lauf, ohne im Reak­tor­be­häl­ter erhöh­ten Druck zu ver­wen­den. Somit sie­det das Was­ser bereits bei 100 Grad Cel­si­us, wobei ent­ste­hen­der Dampf direkt zum Antrieb der Tur­bi­nen dient. Die Tur­bi­nen trei­ben die Gene­ra­to­ren zur Erzeu­gung elek­tri­schen Stroms an. Auch die Ver­wen­dung von natür­li­chem, also leich­tem Was­ser mini­mier­te die Kos­ten. Die grund­sätz­li­chen Schwä­chen des Sie­de­was­ser­re­ak­tors lie­gen in der nied­ri­gen Sie­de­tem­pe­ra­tur des Was­sers bei Nor­mal­druck, aber auch in der Ver­bin­dung zwi­schen dem hoch radio­ak­ti­ven Bereich im Kern­re­ak­tor und dem Tur­bi­nen­raum durch den Pri­mär­kühl­kreis­lauf. Das fol­gen­de Kapi­tel „Har­ris­burg, Tscher­no­byl, Fuku­shi­ma und die Gene­ra­ti­on II“ beschreibt das Kon­zept aus­führ­li­cher und geht auf die damit ver­bun­de­nen Risi­ken ein.

Im alter­na­ti­ven Leicht­was­ser­re­ak­tor befin­det sich das Was­ser zusam­men mit Brenn­stoff, Mode­ra­tor und Steu­er­stä­ben in einem Druck­be­häl­ter. Der Druck beträgt rund 160 Bar, also das 160-fache gegen­über dem Luft­druck an der Erd­ober­flä­che. Damit sie­det Was­ser erst bei 300 Grad und bleibt im Nor­mal­be­trieb des Reak­tors flüs­sig. Ein Wär­me­tau­scher über­trägt die Wär­me auf einen was­ser­be­trie­be­nen Sekun­där­kreis­lauf. Die­ses Kon­zept ent­kop­pelt die Dampf­erzeu­gung und die Nut­zung des Damp­fes zum Antrieb der Tur­bi­nen vom Bereich hoher Radio­ak­ti­vi­tät. Mehr Details dazu gibt es eben­so im nächs­ten Kapitel.

Schluss­end­lich führ­te die Moti­va­ti­on zur Erzeu­gung von spalt­ba­ren Mate­ria­li­en inner­halb der Reak­to­ren zum Kon­zept der schnel­len Brü­ter. Hier­bei han­delt es sich auch um was­ser­ge­kühl­te Reak­to­ren mit Fest­brenn­stof­fen. Da nicht ther­mi­sche Neu­tro­nen, son­dern schnel­le Neu­tro­nen zur Spal­tung genutzt wer­den soll­ten, ent­fällt der Ein­satz eines Mode­ra­tors. Aber erhal­ten wir uns noch ein wenig die Neu­gier­de auf das fol­gen­de Kapi­tel. 

Quellen

[Thorium/Tonelotto] Tho­ri­um — Atom­kraft ohne Risi­ko?, Regie: Myri­am Tone­lot­to, Pro­duk­ti­on: Citi­zen Films, 2018.

 

Tech­no­lo­gie­su­che zur Ener­gie­ge­win­nung mit Kern­spal­tung” — Lei­men / Hei­del­berg — 10. Janu­ar 2023

Andre­as Kieß­ling, ener­gy design

Über Andreas Kießling 110 Artikel
Andreas Kießling hat in Dresden Physik studiert und lebt im Raum Heidelberg. Er beteiligt sich als Freiberufler und Autor an der Gestaltung nachhaltiger Lebensräume und zugehöriger Energiekreisläufe. Dies betrifft Themen zu erneuerbaren und dezentral organisierten Energien. Veröffentlichungen als auch die Aktivitäten zur Beratung, zum Projektmanagement und zur Lehre dienen der Gestaltung von Energietechnologie, Energiepolitik und Energieökonomie mit regionalen und lokalen Chancen der Raumentwicklung in einer globalisierten Welt.

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