Das Energiesystem in Unordnung — Problem oder Chance — und was wir von der Entwicklung im World Wide Web lernen können
Der US-Botschafter a.D. John Kornblum sagte 2002 auf dem Wirtschaftsgipfel des Economic Forum Deutschland „Die Weltordnung ist zur Zeit in Unordnung. Unordnung fördert Kreativität und bringt Chancen mit sich.“
In analoger Weise möchte ich sagen. Das heutige Energiesystem ist in Unordnung. Auch dies führt aktuell zur vielfältiger Kreativität und neuen Chancen. Die neuen Chancen liegen insbesondere in einem System mit verteilter Verantwortung, dezentralen Chancen mit lokalen Handeln und überregionaler Verbundenheit sowie einem differenzierten und kohärenten Mehrebenen-Ansatz bezüglich der Regelung des Systems. Dies führt weg von der heutigen linearen Wertschöpfungskette mit wenigen Unternehmen hin zu einem ausgedehnten Wertschöpfungsnetzwerk mit Chancen bei den Bürgern, den klein- und mittelständischen Unternehmen, den Kommunen und Regionen sowie den Stadtwerken und Regionalversorgern als Gestalter smarter Energieinfrastrukturen. Dies schafft vielfältige Möglichkeiten zur Gestaltung von Energie-Communities im Rahmen neuer Formen der Raum- und Landschaftsgestaltung.
Analogie zur Entwicklung des World Wide Web
Einen analogen Prozess erlebten wir in den letzten 20 Jahren mit der Gestaltung des World Wide Web.
Das zitiere ich nachfolgend sinngemäß aus einem Plakat der Gesellschaft der Informatik zum 20-jährigen Jubiläum der ersten Webseite im World Wide Web http://info.cern.ch.
„Nachdem das Internet schon seit den 60-er Jahren existierte, wurde Ende der 80-er Jahre mit dem Vorschlag in Cern von Tim Berners-Lee unter den Bedingungen eines verteilten Arbeitens den Austausch von Informationen zwischen Wissenschaftern zu vereinfachen, die Grundlage für eine rasante Entwicklung gelegt.
Mit der neuen Seitenbeschreibungssprache HTML, dem Transferprotokoll HTTP sowie der universellen Addressierungsmethode (heute URL) entwickelte er auch den ersten Webbrowser sowie 1990 den ersten Webserver. Die erste Webseite der Welt ging dann Anfang 1993 frei zugänglich online. Nachfolgend gründete er das World Wide Web Consortium (W3C) und machte sich dafür stark, für das Web nur patentfreie Standards zu verwenden.
Mit seiner Vision, das Wissen der Menschheit durch Vernetzung und Dezentralisation frei zugänglich zu machen, revolutionierte Berners-Lee die Welt.“
Heute schlagen wir die stark verteilte Energiegewinnung sowie die verteilte Steuerung des Energiesystems im Rahmen eines Mehrebenen-Ansatzes vor. Genauso wie vor 20 Jahren der Erfolg des World Wide Web noch nicht vorherzusehen war, erfährt der neue Systemansatz, der in der Methapher zellularer Energieorganismus beschrieben wird, oft noch skeptische Betrachtung. Aber ebenso wird uns das intelligente Energiesystem in 20 Jahren mit seiner Vielfalt an Möglichkeiten und Geschäftsmodellen überraschen.
20 Jahre umfassen gerade ein halbes Berufsleben. 20 Jahre umfassen aber gleichzeitig Zeit genug, einen dramatischen Wandel in der Gesellschaft einzuleiten, mit Chancen, von denen selbst die größten Visionäre zu Beginn kaum zu träumen wagten. Dies sollte man sich immer vergegenwärtigen, wenn man Dinge nur aus dem heutigen Blickwinkel als richtig oder falsch einstufen möchte.