11 Prinzipien einer erfolgreichen Energiewende
Grenzen der Planung und Chancen der Gestaltungsfreiheit
Im Werk „In the age oft the smart machine“ macht die Wirtschaftswissenschaftlerin Frau Prof. Shoshana Zuboff auf Basis von drei Gesetzen deutlich, dass letztendlich ein zentralistischer Wirtschafts- und Gesellschaftsentwurf im Umfeld von Digitalisierung, Automatisierung und Überwachungstechnologien eher zu demokratiegefährdender Kontrolle und Entmündigung neigt. Somit gewinnen regionale Wirtschaftsmechanismen und Gesellschaftsfunktionen an Bedeutung. Dabei sind lokales Handeln und globales Denken zu verbinden. Dies ist die logische Konsequenz zur Erhaltung von Freiheit, die die Grundlage der Demokratie ist. Ein aktuelles Beispiel der Entfaltung dezentraler Konzepte bei breiter Beteiligung vielfältiger Interessenträger stellt die Transformation des Energiesystems dar. Die resultierende Herausforderung für die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik sowie die notwendige Bewusstseinsbildung wird im Spannungsfeld zwischen Masterplänen und Selbstorganisation mit 11 Prinzipien einer erfolgreichen Energiewende nachfolgend beleuchtet.
11 Prinzipien einer erfolgreichen Energiewende
- Prinzip 1: Chancen für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik begreifen
- Prinzip 2: Kontrolle abgeben
- Prinzip 3: Komplexität zulassen
- Prinzip 4: Flexibilität als Mittel der Freiheit des Handelns in der Gemeinschaft
- Prinzip 5: Resilienz durch verteilte Verantwortung
- Prinzip 6: Autonomie zur Übernahme der Gestaltungshoheit wagen
- Prinzip 7: Städte als Zentren neuer Gestaltungschancen
- Prinzip 8: Regulierung grundlegender Anforderungen anstatt technischer Details
- Prinzip 9: Standardisierung als Grundlage der öffentlich-privaten Partnerschaft
- Prinzip 10: Speicher als unverzichtbares Element eines flexiblen Energiesystems
- Prinzip 11: Bewusstseinsbildung zu Möglichkeiten der Beteiligung unterstützen
Chancen
Prinzip 1: Chancen für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik begreifen
Bei unterstützenden legislativen und regulatorischen Organen steht zum Aufbau eines nachhaltigen Energiesystems oft die Klärung technischer Fragen im Fokus. Weniger sind die politischen Entscheidungen davon geprägt, einen Konsens zur Zielbestimmung herzustellen. Um dies zu erreichen, ist der Kern der Veränderungsprozesse zu betrachten.
Die Energiewende stellt zuerst eine großartige Chance der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik für Innovationen und eine breite Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen dar.
Deshalb besteht die primäre Aufgabe nicht darin, die technischen Details der Funktionen im zukünftigen Energiesystem zu klären. Vielmehr wird ein Rahmen benötigt, der Anreize gibt, die neuen Wertschöpfungsmöglichkeiten für ein nachhaltiges Wachstum vielfältig zu ergreifen und in der Fläche zu verbreiten. Ein derartiger Rahmen gewährt Technologieoffenheit. Er eröffnet neue Möglichkeiten der Gestaltung von Gebäuden, Städten, ländlichen Räumen sowie industrieller Areale.
Ein Rahmen, der neue Wertschöpfungsmöglichkeiten für ein nachhaltiges Wachstum ermöglicht und nicht durch Regulierung begrenzt, sichert die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit des Standortes Deutschland. Technische Detailregulierung kann der zukunftsfähigen Entwicklung im Wege stehen.
Kontrolle
Prinzip 2: Kontrolle abgeben
Aber Deutschland liebt Perfektion. Wir sind stolz darauf, dass die Welt dem Label „Made in Germany“ die Eigenschaften Perfektion, Ordnung, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Sparen und Effizienz zuordnet. Doch wo Licht ist, gibt es auch Schatten.
Diese Eigenschaften erfordern einen hohen Grad an Kontrolle. In unterschiedlichem Maße versuchen Staaten die Bürger und ihr Wirken zu kontrollieren. In Krisensituationen scheint die Bereitschaft der Bürger, kontrolliert zu werden, zu steigen. Mit zentralen Datenplattformen und der Digitalisierung aller Lebensbereiche wird das über Jahrtausende errungene Recht auf Privatsphäre, Wissen und seine Anwendung zunehmend Opfer eines neues Machtabenteuers von Technologieunternehmen.
Eine analoge Entwicklung vollzieht sich im Rahmen der Transformation des Energiesystems. Das bisher zentral organisierte System mit fossilen und kernphysikalischen Energiequellen erlebt einen radikalen Wandel durch erneuerbare Energiequellen. Insbesondere Solarenergie kann dezentral im Wohn- und Arbeitsumfeld der Menschen und Unternehmen geerntet, gespeichert und genutzt werden. Damit verlieren Großunternehmen zunehmend die Kontrolle über die Energieflüsse ihrer Kunden. Dies trifft ebenso auf die Einnahmen des Staates aus der Lieferung von Energie zu. Werkzeuge zur Digitalisierung werden deshalb auch als Mittel zur Kontrolle der Energieflüsse betrachtet.
Es gilt also, die Grenzen demokratiegefährdender Kontrolle und Entmündigung aufzuzeigen. Das Verhältnis von Kontrolle durch Staat und Wirtschaftsunternehmen sowie Autonomie von Bürgern, Unternehmen und lokalen politischen Strukturen ist neu zu bewerten. Zwischen Globalisierung und Subsidiarität liegt ein weites Feld.
Aufgabe von Kontrolle heißt nicht, alle Möglichkeiten der Kommunikation von Informationen ungenutzt zu lassen. Wir haben das Recht, selbst zu entscheiden, welche Informationen hinter den Grenzen autonomer Strukturen bleiben; oder was wir über die Grenzen hinaus auf Basis gemeinsamer Regeln austauschen und kommunizieren.
Verlust an Kontrolle verursacht aber das Wachstum von Komplexität. Es ist deshalb notwendig, sich mit Methoden der Komplexitätsbeherrschung zu beschäftigen.
Komplexität
Prinzip 3: Komplexität zulassen
Die menschliche Gesellschaft bildet ein hoch komplexes System. Die Informationsflüsse sowie die Energie- und Stoffflüsse im sozialen Umfeld als auch in Wirtschaft und Handel sind Grundlage eines Netzwerkes mit vielfältigen Verbindungen zwischen den Teilen der Gesellschaft. Aber die Vielfalt der Elemente und Teilsysteme einer Gesellschaft begrenzt die Möglichkeiten der Verbindung aller Teile und des Informationsaustausches. Dies wird durch den Begriff Komplexität beschrieben.
Nun stehen komplexe Systeme immer ein wenig am Abgrund ihrer Existenz. Manchmal kann eine Gesellschaft eine sehr lange Überlebensdauer vorweisen, z.B. das Reich der Ägypter oder das Römische Reich. Die scheinbare Stabilität einer Gesellschaft zerbricht aber teilweise schon nach wenigen Jahrzehnten.
Die Komplexität von Systemen ist durch Vielfalt, den Grad der Vernetzung und die Anzahl der Organisationsformen geprägt. Überschreiten die Anzahl der Elemente und die Parameter ihrer Beeinflussung sowie der Vernetzungsgrad und zugehörige Organisationsformen bestimmte Grenzen, kann Chaos die Folge sein.
Komplexität lässt sich beherrschen, wenn das Gesamtsystem in kleinere, autonome Einheiten zerlegt wird, die miteinander nach festgelegten Regeln interagieren. Dazu existieren Vorschläge einer zellulären Systemgestaltung.
In komplexen Systemen ist das autonome Verhalten der Teilsysteme nicht vollständig planbar. Es stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen die Bestandteile ein stabiles oder instabiles Ganzes bilden?
Flexibilität
Prinzip 4: Flexibilität als Mittel der Freiheit des Handelns in der Gemeinschaft
Die Beantwortung dieser Frage führt zum Begriff Flexibilität. Ein stabiles, aus autonomen Einheiten zusammengesetztes Gebilde benötigt verschiedene Handlungsoptionen, um auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren zu können.
Starre, unflexible Regeln des Zusammenwirkens können aufgrund fehlender Flexibilität zum Zusammenbruch führen. Diese Lektion lernten in der Vergangenheit planwirtschaftliche Systeme. Aber auch marktwirtschaftlich organisierte Systeme sind vor dem Mangel an Flexibilität nicht geschützt. Die Konsequenzen vollständig optimierter, globaler Lieferketten mit minimaler Lagerhaltung wurden mit der Corona-Pandemie offensichtlich.
Mit flexiblen Handlungsoptionen existieren in unvorhergesehenen Situationen in komplexen Systemen Ausweichmöglichkeiten. Insofern muss der Bundesnetzagentur widersprochen werden, die dem Thema Flexibilität nur eine untergeordnete Rolle zuschreibt.
Im Gegenteil, Flexibilität ist der Schlüssel zur Beherrschung komplexer Systeme. Somit ist Flexibilisierung ebenso das Stabilitätsmittel für Energiesysteme, die auf Erneuerbaren Energiequellen und dezentraler Erzeugung beruhen.
In diesem Zusammenhang bedeutet Flexibilität die Fähigkeit zur Änderung der vorgesehenen Energiebereitstellung und ‑nutzung in bestimmten Zeitabschnitten. Ein flexibles System besitzt somit verschiedene Möglichkeiten zur technischen Entkopplung der bisherigen starren Verbindung von Erzeugung und Verbrauch in jedem Zeitabschnitt. Analog zu flexiblen Lieferketten mit ausreichenden Handlungsoptionen durch Lagerkapazitäten benötigen zukünftige Energiesysteme vielfältige Kapazitäten von Energiespeichern, um flexibel miteinander interagieren zu können. Flexibilität im Stromsystem ist dabei nicht ausreichend. Notwendig ist die Kopplung verschiedener Sektoren. Dies umfasst die integrierte Betrachtung der Energieflüsse und Bedarfe an elektrischer Energie, Wärme und erneuerbarem Gas sowie von Energieträgern für Mobilität.
Dabei stellt sich aber die Frage nach der Art der Organisation flexibler Systeme.
Resilienz
Prinzip 5: Resilienz durch verteilte Verantwortung
Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie anfällig rein zentral organisierte Systeme sind. Flexibilität und Autonomie mit verteilter Verantwortung werden benötigt. Dies führt letztendlich zur Dezentralisierung in einer Art zellulärem Verbund. Zentral organisierte Systeme besitzen weniger Widerstandskraft als dezentrale Systeme, die mit autonomen und autarken Formen der Gestaltung sowie gemeinsamen Regeln im Verbund wirken. Bei Verletzungen aufgrund von Angriffen, Störungen und Katastrophen bieten sie parallele technische Möglichkeiten zur Sicherstellung der Funktion von Teilsystemen. Somit kann die Heilung von Verbundsystemen unterstützt werden. Der Techniker spricht von Redundanz. Es wird also die Vereinigung zentraler Großanlagen und dezentraler Lösungen in einem Systemverbund — dem zellulären Energieorganismus — benötigt.
Systemarchitekturen mit verteilter Verantwortung basieren auf autonomen Entscheidungen in Teilsystemen. Nationale Energiesysteme benötigen autonome Entscheidungen im europäischen Verbundsystem. Ebenso sind regionale Energielösungen mit autonomen Konzepten in Städten, urbanen Quartieren und Gebäuden verbunden. Dies umfasst die Gestaltungshoheit zur Konzipierung von Energiegewinnung, Speicherung und Energienutzung sowie zum Energiemanagement.
Erst die Autonomie im Verbund erhöht die Widerstandsfähigkeit – die Resilienz — des Gesamtsystems.
Autonomie
Prinzip 6: Autonomie zur Übernahme der Gestaltungshoheit wagen
Die Bestrebungen zur Autonomie und Autarkie sind legitimes Gestaltungsinteresse Einzelner oder von Gruppen. Gleichzeitig verfolgen Menschen als soziale Wesen gemeinschaftliche Interessen und zeigen die Fähigkeit zur gegenseitigen Unterstützung. Dazu umfasst der Begriff Solidarität die Bereitschaft zu kooperieren.
Mit Autonomie wird das Wechselspiel zwischen Eigenverantwortung und Zusammenwirken beschrieben. Die Gestaltungshoheit in Gebäuden, Städten und ländlichen Räumen sowie auf industriellen Arealen wird durch Bürger, Unternehmen und kommunale Verwaltungen übernommen. Aber dies findet gleichzeitig im Verhältnis zur Umgebung und überregionalen Strukturen statt. Der Grad dieser Beziehung ist einerseits frei gewählt und gestaltet, wird aber auch durch die Gesellschaft bestimmt.
Der Begriff Autarkie beschreibt ein von der Außenwelt abgegrenztes System in dem Sinne, dass die Systemumgebung nicht nötig ist. Dieser Weg kann unsolidarisch sein. Anderseits sind verbundene und gleichzeitig zentral organisierte Systeme vielfältigen Gefahren ausgesetzt. Ein Ausfall der Energie- und Wasserversorgung auf zentraler Ebene führt in der Regel zum Ausfall in den Teilsystemen. Insofern ist das Bestreben nach Autarkie auch ein Beitrag, wichtige Grundfunktionen in Gebäuden, Städten und Regionen aufrechtzuerhalten. Dies unterstützt wiederum die Funktion des Ganzen. Aber auch in dünn besiedelten Regionen und auf Inseln sind autarke Lösungen oft kostengünstiger als zentral organisierte Infrastrukturen.
Sowohl mit Konzepten zur Autonomie als auch zur Autarkie wird Unabhängigkeit in unterschiedlichem Grad ausgeprägt. Dabei ist sich der Autonome seiner grundsätzlichen Abhängigkeit von Außenbeziehungen bewusst, während der Autarke diese Verbindung in realer Weise oder nur gewünscht nicht zwingend benötigt.
Städte
Prinzip 7: Städte als Zentren neuer Gestaltungschancen
Erneuerbare Energien bieten Chancen zur Energiegewinnung, Speicherung und Nutzung in allen Lebensbereichen. Dies ermöglicht neue Gestaltungsansätze für private und öffentliche Gebäude, Stadtquartiere, gewerbliche und industrielle Areale, Städte und ländliche Regionen. Möglichkeiten zu autonomen Energiekonzepten schaffen Anreize zur Selbstgestaltung sowie zur kommunalen und regionalen Wertschöpfung. Sie fördern nachhaltige Entwicklung und verändern wirtschaftliches Handeln.
Dabei spielen Städte eine zentrale Rolle für die Energiewende und den Klimaschutz. Autonome Lösungen auf Basis erneuerbarer Energien, neuer Werkstofftechnologien sowie der Digitalisierung führen zu neuen Formen des Bauens.
Gleichzeitig bringen Klimawandel, zunehmende Vernetzung und eine globalisierte Welt neue Gefahren für die sichere Funktion der Stadt mit sich. Dies zeigt die zunehmende Anzahl der Cyber-Angriffe aus dem Internet wie auch die aktuelle Corona-Krise. Die Stadt muss sich mit autonomen Funktionen auf diese Gefahren einstellen.
Zur Bewältigung der Veränderungsprozesse in Bezug auf die Gefahren sowie die Nutzung neuer Chancen müssen die Kommunen bei der Stadt- und Quartiersentwicklung durch Exerimentier- und Lernumgebungen befähigt werden. Die neuen Themen der Stadtentwicklung lauten:
- Erhöhung der Widerstandsfähigkeit der Stadt durch Maßnahmen zur Klimanpassung (Starkregen, Hitze) sowie autonomer Infrastrukturfunktionen (Energie, Wasser, Ernährung, Mobilität)
- Nachhaltige Stadtentwicklung in Beziehung zum Umland bezüglich verbundener Infrastrukturen in der Art autonomer und gleichzeitig verbundener Zellen
- Neue Formen der lebenswerten Stadt im Wechselverhältnis von Privatheit und Gemeinschaft
- Maßnahmen für die gesunde Stadt
Die Stadt der Zukunft kann nicht autark funktionieren. Aber die genannten Themen ermöglichen mit der Entwicklung lokaler, resilienter Infrastrukturkreisläufe in Verbindung zur Umgebung sowohl lokale Autonomie als auch die Widerstandsfähigkeit im Gesamtsystem durch regionale und überregionale Vernetzung.
Regulierung
Prinzip 8: Regulierung grundlegender Anforderungen anstatt technischer Details
Auf der anderen Seite können verbundene, autonome Systeme und somit auch Gesellschaften durch einen zu hohen Grad der Flexibilität zerfallen. Die Rolle von Regeln eines organisierenden und kontrollierenden Staates für eine funktionierende, demokratische Gesellschaft mit seinen Schutzfunktionen für den Einzelnen sowie das Wohlergehen der Gesellschaft bleibt unumstritten.
Die Regelungstiefe ist aber im Spannungsfeld zwischen Globalisierung und regionalem Handeln sowie zunehmender Vernetzung durch die Digitalisierung neu zu bewerten. Die gegenseitigen Abhängigkeiten bei der Ressourcennutzung unter den Bedingungen des Klimawandels erhöhen Komplexität und damit den notwendigen Grad an Flexibilität.
Das von einem hohen Umfang technischer Detailregulierung geprägte Vorgehen in Deutschland gelangt unter den Herausforderungen der Transformation des Energiesystems an seine Grenzen.
Die zu den Prinzipien Komplexität und Autonomie geführten Überlegungen führen zu dem Schluss, dass ein Rahmen benötigt wird, der Anreize gibt, die neuen Wertschöpfungsmöglichkeiten für ein nachhaltiges Wachstum vielfältig zu ergreifen. Aufgabe ist es, neue Optionen der Gestaltung von Gebäuden, Städten, ländlichen Räumen sowie industrieller Areale durch Technologieoffenheit zu eröffnen.
Detailregulierung mit dem Ziel der technischen Perfektion kann der zukunftsfähigen und nachhaltigen Entwicklung im Wege stehen.
Dies zeigt sich insbesondere bei der Betrachtung des nationalen Sonderweges zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit sowie des Datenschutzes in der Energiewirtschaft durch das geschützte Smart Meter Gateway. Der Zeitraum von der Beauftragung bis zur Anwendung zertifizierter Gateways umfasste zehn lange Jahre, eine Ewigkeit bezüglich des Innovationstempos in der Informationstechnologie.
Dieses Vorgehen hebt die erfolgreiche Trennung der Festlegung grundlegender Anforderungen im Rechtssystem sowie der Schaffung einer normativen Basis durch Experten von Wissenschaft und Technik auf.
Standardisierung
Prinzip 9: Standardisierung als Grundlage der öffentlich-privaten Partnerschaft
Das Verhältnis zwischen der technischen Detailregulierung im Rechtssystem sowie der Vereinbarung und Anwendung von Normen und Standards durch die Wirtschaft als auch der Beförderung von Innovationen ist neu auszutarieren.
Im Konsensprozess aller interessierten Beteiligten entstehende Normen und Standards bilden die Schnittstelle zwischen der Entfaltung von Innovationen und der autonomen, vielfältigen Gestaltung in Wirtschaft und Gesellschaft sowie dem Rechtssystem als verbindender Überbau der Gesellschaft. Die Stärkung der Normung stärkt wiederum die öffentlich-private Partnerschaft. Gleichzeitig wird im Rechtssystem die Komplexität bei der Gestaltung von Regeln durch die Konzentration der Gesetzgebung und Regulierung auf Leitlinien, Ziele und Anforderungen reduziert. Die Ausgestaltung der dazu notwendigen Maßnahmen in Form von Normen erfolgt im Kontext der Experten aller Interessenträger, integriert in das europäische und internationale Umfeld.
Aber Standardisierung wird häufig als Widerspruch zu Innovationen betrachtet. Die Gegenthese lautet, dass Standardisierung als Katalysator für Innovationen dienen kann. Die zielgerichtete Standardisierung beschleunigt Innovationen.
Denn die entstehende Vielfalt im dezentralen Energiesystem kann nur dann massenfähig und wirtschaftlich betrieben werden, wenn für grundlegende gemeinsame Abläufe gewisse Verabredungen zu Sprache und Aufbau des notwendigen Informationsaustausches, aber auch zur Sicherheit der gemeinsamen Schnittstellen getroffen werden.
Dazu sollte die technische Detailregulierung reduziert und stattdessen stärker auf die Innovationskraft und Möglichkeiten der internationalen Standardisierung gesetzt werden.
Speicher
Prinzip 10: Speicher als unverzichtbares Element eines flexiblen Energiesystems
Wirtschaftlichkeit durch Standardisierung sowie Hindernisse aufgrund einer engen technischen Detailregulierung zeigen sich beim Thema Speicher.
Energiespeicher gewinnen mit der Nutzung schwankender Energieangebote von Wind und Sonne zunehmend an Bedeutung. Die bisherige regions- und ortsbezogene Netzsteuerung muss viel stärker durch Möglichkeiten zur zeitlich asynchronen Entkopplung von Energiebereitstellung und Energienutzung ergänzt werden.
Dabei sind insbesondere elektrochemische Batterien im Gespräch. Jedoch greift der Fokus auf den elektrischen Speicher zu kurz.
Kapazitäten wurden bisher auch durch Pumpspeicherkraftwerke bereitgestellt. Ebenso kann die Speicherfähigkeit von Wärme- und Gasnetzen oder die Speicherung von Wärme und Kälte in Flüssigkeiten, Salzen und weiteren Stoffen genutzt werden. Weitere Speichermöglichkeiten bestehen mit der Verschiebung von Strom nutzenden Prozessen (z.B. Industrieprozesse, Ladung von Elektrofahrzeugen). Hinzu kommen Verfahren zur Kopplung von Stromerzeugungsanlagen mit Energiewandlern (Wandlung von Strom in Wärme/Kälte, Nutzung der Energiekapazität von Stoffen in verschiedenen Aggregatzuständen, usw.). Die Liste der Technologien lässt sich fortführen.
Speicher sind bezogen auf ihren Zweck weder Verbraucher noch Erzeuger, sondern notwendiger Teil des zukünftigen Energiesystems im Verbund verschiedener Energieträger (Sektorenverbund). Andererseits werden Anlagen, deren primärer Zweck die Energiegewinnung oder Energienutzung ist, auch zur Umsetzung von Speicherfunktionen erweitert. Diese Anwendungen führten bisher zur Doppelbelastung bezüglich Steuern und Abgaben. Somit bestehen keine ausreichenden Investitionsanreize zur Bereitstellung von Speicherfunktionen. Gleichzeitig gelten Speicher als Marktkomponenten, die nicht den Netzen und somit nicht der Regulierung zugeordnet sind. Damit werden für den zukünftigen Bedarf zu wenig Speicher errichtet.
Da aber die Speicherfunktion im erneuerbaren Energiesystem unverzichtbar ist, wird zukünftig ein Rahmen benötigt, der zur Bereitstellung der Speicherfunktion anreizt.
Leider sieht dagegen die Bundesnetzagentur keine Nische für Stromspeicher; entgegen dem Rat einer Vielzahl von Wissenschaftlern und Ingenieuren.
Die Europäische Union beabsichtigte mit der Liberalisierung in der Energiewirtschaft sowie der Entflechtung von Stromnetz und Energiemarkt die Stärkung der Wertschöpfung auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Hiermit gewinnt der Einsatz von Speichern insbesondere an Bedeutung.
Speicher sind keine Nische, sondern unverzichtbares Element zur Dekarbonisierung, Dezentralisierung, Digitalisierung und Demokratisierung eines flexiblen Energiesystems der Zukunft.
Verfahren zur technischen Detailregulierung schränken die Möglichkeiten zum Einsatz von Energiespeichern ein. Deren Vielfalt im Umfeld eines nachhaltigen Energiesystems mit autonomen Gestaltungswegen erfordert massenfähige Lösungskonzepte. Massenfähigkeit wird durch Standardisierung im Technologiemarkt im internationalen Kontext erreicht.
Das Verhältnis von Standardisierung und Regulierung ist unter diesem Blickwinkel neu auszurichten.
Bewusstseinsbildung
Prinzip 11: Bewusstseinsbildung zu Möglichkeiten der Beteiligung unterstützen
Eine Vielzahl von Projekten widmete sich der Suche nach Wegen zum weltweiten Umbau des Energiesystems. Aus Erfahrungen dieser Projekte wurden die betrachteten 11 Prinzipien einer erfolgreichen Energiewende abgeleitet.
Erkannt wurde dabei der Nutzen, den eine umfassende Ausprägung von Beteiligungsformen an den Chancen des Transformationsprozesses mit sich bringt. Dieser Prozess beschreibt einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel. Er schafft Sprunginnovationen und generiert neues Wachstum.
Partizipation ist der Schlüssel zum Erfolg der Energiewende. Dabei umfasst dieser Begriff nicht nur Mitsprache. Er beschreibt auch Eigengestaltung, gemeinschaftliches Wirken sowie die Neubestimmung des Verhältnisses lokaler, regionaler und globaler Formen von Energiezugriffen.
Auf Basis von Inspiration und Innovation sowie Übernahme der Gestaltungshoheit entstehen vielfältige Lösungen. Die Chancen der beschriebenen Veränderungen durch Fokussierung auf regionale Möglichkeiten mit breiter Beteiligung der Gesellschaft müssen aber noch stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt werden. Die Bildung entsprechender Strukturen ist deshalb zu unterstützen. Dies kann die Gründung von Think Tanks, von Stiftungen als auch von Akademien betreffen, sollte aber auch den Rahmen von dauerhaft angelegten und finanziell unterstützten Experimentierfeldern als Innovationszonen für Städte und Landschaften der Zukunft umfassen.
Unverzichtbar ist dabei die integrierte Betrachtung von Energieflüssen bezüglich der Angebote für Strom, Wärme, Gas und Mobilität.
Als Mittel zur Beherrschung der daraus resultierenden Komplexität dienen Autonomie und Flexibilität. Dafür werden Zellen als Räume partizipativer und autonomer Gestaltung benötigt, um einerseits die genannten Chancen vielfältig nutzen zu können sowie andererseits das damit verbundene Komplexitätswachstum zu beherrschen.
Der zelluläre Architekturansatz ermöglicht die Entfaltung neuer Gestaltungsmöglichkeiten für Gebäude und Quartiere sowie neue Wertschöpfungsformen.
Grundlage dafür ist die Flexibilisierung, die Digitalisierung unter Beachtung von Datenschutz und Informationssicherheit sowie die Demokratisierung des Energiesystems auf Grundlage von Standardisierung und gemeinsamen Regeln im Sektorenverbund.
Leimen, den 14. Mai 2021