Klimaneutralität unter der Lupe

Klimaneutralität unter der Lupe

Klimaneutralität unter der Lupe

Klimamodelle, CO₂ und die Rolle der Sonne – Ein kritischer Blick auf die Grundlagen der Klimapolitik von Cohler et al. (2025)

 

Wie soli­de sind die wis­sen­schaft­li­chen Grund­la­gen der ambi­tio­nier­ten Kli­ma­zie­le Deutsch­lands? Ein neu­er Fach­ar­ti­kel von Coh­ler et al. nimmt das The­ma Kli­ma­neu­tra­li­tät unter die Lupe und wirft einen kri­ti­schen Blick auf die Rol­le des CO₂ in den IPCC-Kli­ma­mo­del­len. Er plä­diert für eine stär­ke­re Berück­sich­ti­gung natür­li­cher Varia­bi­li­tä­ten wie Son­nen­ak­ti­vi­tät und ozea­ni­sche Zyklen. Die­ser Bei­trag ana­ly­siert die wich­tigs­ten Aus­sa­gen, Argu­men­te und Wider­sprü­che – und hin­ter­fragt die poli­ti­sche Ablei­tung daraus.

Der Zwei­fel ist kein ange­neh­mer Zustand, aber Gewiss­heit ist ein absurder.“
Vol­taire

Wie sicher ist der Konsens der Wissenschaft zum Thema CO2 wirklich?

Die glo­ba­le Erwär­mung, ihre Ursa­chen und die poli­ti­schen Kon­se­quen­zen dar­aus gehö­ren zu den zen­tra­len The­men unse­rer Zeit. Der Begriff „Kli­ma­neu­tra­li­tät“ ist in aller Mun­de – in Medi­en, Poli­tik und Wirt­schaft wird er nahe­zu infla­tio­när gebraucht. In Deutsch­land wur­de das Ziel der „Net­to-Null-Kli­ma­neu­tra­li­tät“ sogar in Geset­zes­form gegos­sen: Ab dem Jahr 2045 sol­len sämt­li­che men­schen­ge­mach­ten Treib­haus­gas­emis­sio­nen voll­stän­dig kom­pen­siert oder ver­mie­den sein.

Doch wie soli­de ist die wis­sen­schaft­li­che Grund­la­ge die­ser Ziel­set­zung tat­säch­lich? Und ist die Inter­pre­ta­ti­on, wie sie etwa vom Welt­kli­ma­rat (IPCC) ver­tre­ten wird, tat­säch­lich der ein­zi­ge gül­ti­ge Maß­stab? Die­se Fra­gen stellt ein wis­sen­schaft­li­cher Bei­trag von Jona­than Coh­ler, David Lega­tes, Wil­lie Soon und ande­ren, der Anfang 2025 unter dem Titel „A Cri­ti­cal Reas­sess­ment of the Anthro­po­ge­nic CO₂–Global Warm­ing Hypo­the­sis“ ver­öf­fent­licht wur­de. Der Arti­kel wirft einen dif­fe­ren­zier­ten, aber auch pro­vo­kan­ten Blick auf die gän­gi­ge Kli­ma­for­schung – und for­dert ein gründ­li­ches Nach­den­ken über das Ver­hält­nis von Wis­sen­schaft, Poli­tik und gesell­schaft­li­chem Handeln.

Zentrale These: Anthropogenes CO₂ als überschätzter Klimatreiber

Die Kern­aus­sa­ge des Arti­kels lau­tet: Der Ein­fluss von CO₂-Emis­sio­nen aus mensch­li­cher Tätig­keit auf das glo­ba­le Kli­ma wird in den Model­len und Ein­schät­zun­gen des IPCC sys­te­ma­tisch über­schätzt. Zwar erken­nen die Autoren an, dass die Erde sich im 20. und 21. Jahr­hun­dert erwärmt hat. Die Ursa­che dafür sehen sie jedoch nicht pri­mär in den durch Indus­trie, Ver­kehr oder Land­wirt­schaft ver­ur­sach­ten CO₂-Emis­sio­nen, son­dern in einem Zusam­men­spiel natür­li­cher Kli­ma­trei­ber – ins­be­son­de­re der Son­nen­ak­ti­vi­tät und ozea­ni­scher Zyklen.

Dabei beru­fen sich die Autoren auf meh­re­re empi­ri­sche und sta­tis­ti­sche Ana­ly­sen, die nahe­le­gen, dass die Tem­pe­ra­tur­ent­wick­lung in vie­len Regio­nen der Welt deut­lich stär­ker mit der Inten­si­tät der Son­nen­ein­strah­lung („Total Solar Irra­di­ance“, TSI) kor­re­liert als mit der Kon­zen­tra­ti­on von CO₂ in der Atmo­sphä­re. In meh­re­ren Daten­sät­zen fin­den sie Kor­re­la­tio­nen (R²-Wer­te) zwi­schen TSI und Tem­pe­ra­tur von 0.7 bis 0.9 – Wer­te, die signi­fi­kant höher sei­en als bei der CO₂-basier­ten Modellierung.

Kritik an Klimamodellen und Datenanpassungen

Beson­ders scharf fällt die Kri­tik an den soge­nann­ten CMIP-Model­len des IPCC (Cou­pled Model Inter­com­pa­ri­son Pro­ject — Pro­jekt zum Ver­gleich und Vali­die­rung glo­ba­ler Kli­ma­mo­del­le) aus, die zur Pro­gno­se künf­ti­ger Kli­ma­trends ver­wen­det wer­den. Die Autoren wer­fen die­sen Model­len eine struk­tu­rel­le Vor­ein­ge­nom­men­heit vor: Sie sei­en von vorn­her­ein auf CO₂ als Haupt­an­trieb fokus­siert, wäh­rend natür­li­che Varia­bi­li­tät weit­ge­hend aus­ge­blen­det oder unter­be­wer­tet werde.

Hin­zu kommt eine tief­grei­fen­de Skep­sis gegen­über der Pra­xis der Daten­ho­mo­ge­ni­sie­rung – also der nach­träg­li­chen Kor­rek­tur his­to­ri­scher Tem­pe­ra­tur­mes­sun­gen zur Ver­bes­se­rung ihrer Ver­gleich­bar­keit. Die­se Ver­fah­ren, so die Autoren, führ­ten dazu, dass his­to­ri­sche Wär­me­pe­ri­oden wie die 1930er Jah­re oder das Mit­tel­al­ter sys­te­ma­tisch abge­schwächt und die jüngs­te Erwär­mung dadurch über­zeich­net wer­de. Es ent­ste­he ein „glat­ter“, schein­bar ste­ti­ger Tem­pe­ra­tur­an­stieg, der in Wirk­lich­keit durch vie­le natür­li­che Schwan­kun­gen geprägt sei.

CO₂: Kurzlebiges Spurengas oder langfristiger Klimafaktor?

Ein zen­tra­ler Streit­punkt ist die Fra­ge, wie lan­ge CO₂ tat­säch­lich kli­ma­wirk­sam in der Atmo­sphä­re ver­bleibt. Wäh­rend der IPCC von einer kli­ma­re­le­van­ten „Ver­weil­dau­er“ von Jahr­hun­der­ten aus­geht – also einer sehr lan­gen Adjus­t­ment Time–, argu­men­tie­ren die Autoren, dass die tat­säch­li­che Resi­dence Time von CO₂ in der Atmo­sphä­re nur weni­ge Jah­re betra­ge. Der Unter­schied liegt dar­in, dass ein­zel­ne CO₂-Mole­kü­le zwar schnell zwi­schen Atmo­sphä­re, Ozea­nen und Bio­sphä­re zir­ku­lie­ren, der „Effekt“ eines Emis­si­ons­im­pul­ses jedoch sehr lan­ge nach­wir­ken kann.

Zudem wei­sen die Autoren dar­auf hin, dass der mensch­li­che Anteil am gesam­ten CO₂-Fluss im Erd­sys­tem bei unter 5 % lie­ge. Dies füh­re zu der Schluss­fol­ge­rung, dass der Mensch gar nicht in der Lage sei, die beob­ach­te­ten Tem­pe­ra­tur­schwan­kun­gen allein durch CO₂ zu erklä­ren – ins­be­son­de­re, da die natür­li­chen Sen­ken wie Wäl­der, Böden und Ozea­ne den Groß­teil der Emis­sio­nen ohne­hin wie­der auf­neh­men würden.

Kausalität oder Korrelation? Was treibt was?

Ein wei­te­rer span­nen­der Aspekt des Arti­kels ist die Fra­ge nach der Kau­sa­li­tät: Führt mehr CO₂ zu höhe­ren Tem­pe­ra­tu­ren – oder ist es umge­kehrt? Die Autoren zitie­ren meh­re­re Stu­di­en, unter ande­rem auch aus der Paläo­kli­ma­to­lo­gie (z. B. Vos­tok-Eis­ker­ne), in denen Tem­pe­ra­tur­ver­än­de­run­gen zeit­lich vor den CO₂-Ver­än­de­run­gen auf­tre­ten. Auch in der Gegen­wart las­sen sich laut Arti­kel sta­tis­tisch signi­fi­kan­te Hin­wei­se dar­auf fin­den, dass Tem­pe­ra­tur­schwan­kun­gen mit zeit­li­chem Vor­lauf zu CO₂-Anstie­gen füh­ren – etwa durch Aus­ga­sung aus wär­mer wer­den­den Ozeanen.

Die­se Beob­ach­tung stellt die linea­re Kli­ma­ket­te des IPCC („CO₂ hoch → Tem­pe­ra­tur hoch“) in Fra­ge. Zwar erken­nen auch die IPCC-Berich­te Rück­kopp­lungs­ef­fek­te an, doch die Autoren for­dern eine neue Gewich­tung der Kau­sal­ver­hält­nis­se, ins­be­son­de­re im Modellierungsansatz.

Was bedeutet das für die Politik?

Coh­ler et al. zie­hen kei­ne direk­ten poli­ti­schen Schluss­fol­ge­run­gen – doch ihre Argu­men­ta­ti­on stellt die Legi­ti­mi­tät beson­ders ambi­tio­nier­ter Kli­ma­zie­le zumin­dest infra­ge. Wenn die Model­le, auf denen die­se Zie­le beru­hen, wesent­li­che Kli­ma­trei­ber wie die Son­ne oder inter­ne ozea­ni­sche Zyklen falsch bewer­ten oder ver­nach­läs­si­gen, könn­te dies weit­rei­chen­de Fol­gen für die Wirk­sam­keit und Ver­hält­nis­mä­ßig­keit poli­ti­scher Maß­nah­men haben.

Deutsch­land etwa ver­folgt – wie bereits dis­ku­tiert – einen Son­der­weg, indem es sich zum Ziel gesetzt hat, bis 2045 net­to kei­ne Treib­haus­ga­se mehr aus­zu­sto­ßen, ohne dabei natür­li­che Sen­ken anzu­rech­nen. Ein sol­cher Kurs erfor­dert enor­me Trans­for­ma­tio­nen, mas­si­ve Inves­ti­tio­nen und gesell­schaft­li­che Zumu­tun­gen. Wenn sich her­aus­stellt, dass die wis­sen­schaft­li­chen Grund­la­gen dafür zu ein­sei­tig oder unvoll­stän­dig sind, wäre eine Kor­rek­tur – oder zumin­dest eine offe­ne Debat­te – drin­gend geboten.

Fazit: Keine Gewissheiten, aber viele offene Fragen

Der Arti­kel von Coh­ler ist kein Fron­tal­an­griff auf die Kli­ma­wis­sen­schaft, son­dern ein metho­disch fun­dier­ter, empi­risch gestütz­ter und sach­lich for­mu­lier­ter Gegen­ent­wurf zur vor­herr­schen­den Sicht­wei­se. Sei­ne Stär­ke liegt in der Auf­de­ckung von Schwä­chen der Kli­ma­mo­del­le, der dif­fe­ren­zier­ten Daten­be­trach­tung und der kri­ti­schen Refle­xi­on von Kausalzusammenhängen.

Natür­lich bleibt Kri­tik ange­bracht: Die Aus­wahl der Daten­sät­ze ist selek­tiv, alter­na­ti­ve Hypo­the­sen erset­zen noch kein voll­stän­di­ges Erklä­rungs­mo­dell, und eini­ge Argu­men­te wie­der­ho­len bekann­te Posi­tio­nen der soge­nann­ten Kli­ma­skep­ti­ker. Den­noch ver­dient der Arti­kel ernst­haf­te Beach­tung – nicht zuletzt des­halb, weil Wis­sen­schaft kei­ne Dog­men kennt, son­dern fort­lau­fend hin­ter­fragt wer­den muss.

In einer Zeit, in der poli­ti­sche Wei­chen­stel­lun­gen auf Jahr­zehn­te hin­aus getrof­fen wer­den, wäre eine brei­te, ehr­li­che und inter­dis­zi­pli­nä­re Dis­kus­si­on über die Grund­la­gen des Kli­ma­han­delns nicht nur wün­schens­wert, son­dern notwendig.

Quellen

  1. Coh­ler, J., Lega­tes, D., Soon, W., et al. (2025). A Cri­ti­cal Reas­sess­ment of the Anthro­po­ge­nic CO₂–Global Warm­ing Hypo­the­sis. Sci­ence of Cli­ma­te Change.

  2. IPCC (2021). Sixth Assess­ment Report. Inter­go­vern­men­tal Panel on Cli­ma­te Change.

  3. Har­de, H. (2017). What Humans Con­tri­bu­te to Atmo­sphe­ric CO₂: Com­pa­ri­son of Car­bon Cycle Models with Obser­va­tions. Int. J. Atmos. Sci.

  4. NOAA, NASA GISS, Ber­ke­ley Earth – Tem­pe­ra­tur­da­ten­ban­ken und Homogenisierungsverfahren.

  5. Soon, W., Con­nol­ly, R., & Con­nol­ly, M. (2015). Re-eva­lua­ting the Role of Solar Varia­bi­li­ty on Nor­t­hern Hemi­sphe­re Tem­pe­ra­tu­re Trends. Earth-Sci­ence Reviews.

 

Kli­ma­neu­tra­li­tät unter der Lupe: Lei­men / Hei­del­berg — 04. April 2025

Andre­as Kieß­ling, ener­gy design

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

20 + 19 =

Consent Management Platform von Real Cookie Banner