Zukunftsfragen

Zukunftsfragen

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Interview von Tichys Einblick mit Professor Andre D. Thess

Es ist nicht immer ein Zei­chen der Stär­ke, Ant­wor­ten zu besit­zen. Eben­so wenig doku­men­tiert der­je­ni­ge, der vie­le Fra­gen stellt, sei­ne Schwä­che. Fra­gen sind wich­ti­ges Mit­tel der Kom­mu­ni­ka­ti­on, um Ande­re zu ver­ste­hen. Inso­fern soll die heu­ti­ge Kolum­ne kei­ne Ant­wor­ten geben oder ein The­ma ver­tie­fen, son­dern Fra­gen auf­wer­fen – Zukunfts­fra­gen. 

Seit dem Jahr 2002, nach einer in Ber­lin vom Umwelt­mi­nis­ter ver­an­stal­te­ten Kon­fe­renz unter dem Titel „Ener­gie­wen­de — Kli­ma­schutz – Atom­aus­stieg“, lei­det die öffent­li­che Denk­wei­se in Deutsch­land unter dem Denk­feh­ler, dass Kli­ma­schutz und Atom­aus­stieg in irgend­ei­ner Wei­se zusammenhängen.

Wenn sie Kli­ma­schutz machen wol­len, müs­sen sie alle ver­füg­ba­ren Instru­men­te Wind – Son­ne – Was­ser — Kern­ener­gie — Geo­ther­mie – Fos­si­le Ener­gie­trä­ger mit Koh­len­di­oxid­ab­schei­dung als Porte­feuille in Betracht zie­hen. Man kann für den Atom­aus­stieg ein­tre­ten, dies hat dann aber nichts mehr mit Kli­ma­schutz zu tun.“

Prof. And­re D. Thess; Pro­fes­sor für Ener­gie­spei­che­rung an der Uni­ver­si­tät Stuttgart.

Verlust an Gewissheit

Es ist nicht immer ein Zei­chen der Stär­ke, Ant­wor­ten zu besit­zen. Eben­so wenig doku­men­tiert der­je­ni­ge, der vie­le Fra­gen stellt, sei­ne Schwä­che. Fra­gen sind wich­ti­ges Mit­tel der Kom­mu­ni­ka­ti­on, um Ande­re zu ver­ste­hen. Inso­fern soll die heu­ti­ge Kolum­ne kei­ne Ant­wor­ten geben oder ein The­ma ver­tie­fen, son­dern Fra­gen auf­wer­fen – Zukunftsfragen.

Fünf­zehn Jah­re lang betrach­te­te ich es als Pri­vi­leg, den Ver­än­de­rungs­pro­zess im Ener­gie­sys­tem unse­res Lan­des, ein­ge­bet­tet in den euro­päi­schen und welt­wei­ten Wan­del beglei­ten zu dür­fen. Lan­ge schie­nen die Ant­wor­ten klar. Getra­gen war die­ser Wan­del von einer brei­ten Com­mu­ni­ty, deren gemein­sa­me Ziel­stel­lung dar­in bestand, die Men­schen in die­sem Ver­än­de­rungs­pro­zess mitzunehmen.

Betei­li­gung, oder neu­deutsch Par­ti­zi­pa­ti­on, hieß das Zau­ber­wort. Die Ener­gie­wen­de soll­te viel­fäl­ti­ge Chan­cen für Bür­ger des Lan­des, klei­ne und mitt­le­re Unter­neh­men, für neue Tech­no­lo­gien gro­ßer Unter­neh­men im inter­na­tio­na­len Wett­be­werb sowie für neue Wert­schöp­fung in Ort­schaf­ten, Städ­ten und Regio­nen im Gegen­satz zu einer zen­tral orga­ni­sier­ten Ener­gie­wen­de ermög­li­chen. 

Die Meta­pher eines zel­lu­lä­ren Ener­gie­sys­tems ver­an­schau­lich­te die­se Sicht. Ins­be­son­de­re wur­de pro­gnos­ti­ziert, dass die Prei­se für Erneu­er­ba­re Ener­gie sin­ken, da Wind und Son­ne kei­ne Rech­nung schi­cken. Heu­te sehen wir das Gegen­teil, denn die Ener­gie­prei­se explo­die­ren beson­ders in Deutsch­land und eine Bes­se­rung ist für die nächs­ten 10 Jah­re nicht in Sicht.

Die Brücke in die Zukunft war schmal

Das bis­he­ri­ge Kon­zept der Ener­gie­wen­de basier­te auf einer schma­len Brü­cke, um die schwan­ken­de Strom­erzeu­gung durch Wind und Son­ne mit­tels Fle­xi­bi­li­tät des preis­güns­ti­gen Gases aus Russ­land aus­zu­glei­chen. Alle Stu­di­en für unse­re Ener­gie­zu­kunft set­zen auf die Ver­füg­bar­keit von Erd­gas als Brü­cken­tech­no­lo­gie in unter­schied­li­chem Aus­maß und über unter­schied­lich lan­ge Zeit­räu­me. Aber die Brü­cke trägt nicht mehr oder wird mit LNG aus den USA oder in fünf Jah­ren even­tu­ell aus Katar für die Wett­be­werbs­fä­hig­keit der deut­schen Wirt­schaft kaum bezahl­bar. 

Die Ener­gie­prei­se explo­die­ren. Als Lösung wird der beschleu­nig­te Aus­bau von Solar- und Wind­ener­gie ver­bun­den mit dem Über­gang von Erd­gas zu Was­ser­stoff als Mit­tel der Fle­xi­bi­li­tät ver­spro­chen. Doch welt­wei­te Indi­ka­to­ren deu­ten dar­auf hin, dass Was­ser­stoff zur Nut­zung im Flug- und Schiffs­ver­kehr, für bis­her von Koh­le, Erd­öl und Erd­gas ermög­lich­te Pro­zes­se in der Indus­trie sowie zur Bereit­stel­lung von Fle­xi­bi­li­tät im Strom­sys­tem frü­hes­tens in 20 Jah­ren aus­rei­chend zur Ver­fü­gung steht. Also stellt sich die Fra­ge, wie die Akzep­tanz der Gesell­schaft für den Wan­del in den nächs­ten zwan­zig Jah­ren erhal­ten wer­den kann.

Ein Masterplan trägt nicht mehr

Aus mei­ner Sicht befin­den wir uns in einer Situa­ti­on, in der der bis­he­ri­ge Mas­ter­plan, der die letz­ten 10 bis 15 Jah­re For­schungs­pro­jek­te beglei­te­te, nach der soge­nann­ten Zei­ten­wen­de nicht mehr trägt. Der neue Mas­ter­plan scheint kon­zep­tio­nell ähn­lich. Der Unter­schied besteht in der Geschwin­dig­keit. Grund­last­fä­hi­ge Kraft­wer­ke wer­den beschleu­nigt abge­schal­tet. Das betrifft aktu­ell Kern­ener­gie und spä­ter Koh­le­kraft­wer­ke. Ein beschleu­nig­ter Aus­bau von Solar­ener­gie und Wind­ener­gie ist geplant. Die not­wen­di­ge Fle­xi­bi­li­tät sol­len neue Gas­kraft­wer­ke bie­ten, die zuerst mit Erd­gas betrie­ben und dann auf Was­ser­stoff umzu­stel­len sind. 

Beant­wor­tet die­ser aber wirk­lich die Fra­ge der welt­weit höchs­ten Ener­gie­prei­se, wenn Gas als LNG aus den USA und Katar lang­fris­tig das Mehr­fa­che kos­tet und Was­ser­stoff aus­rei­chend zu wirt­schaft­li­chen Prei­sen erst in 20 Jah­ren zur Ver­fü­gung steht? Löst dies die Pro­ble­me der inter­na­tio­na­len Wett­be­werbs­fä­hig­keit der Indus­trie Deutsch­lands? Was bedeu­tet es für unser Land, wenn die che­mi­sche Indus­trie, die Auto­in­dus­trie, die Stahl- und Alu­mi­ni­um­er­zeu­gung, Gie­ße­rei­en und Zement­fa­bri­ken als wirt­schaft­li­ches Fun­da­ment ins Aus­land gehen?

Über­for­dern wir mit der geplan­ten Geschwin­dig­keit nicht die Gesell­schaft und ver­lie­ren wir die Men­schen? Soll­te ein neu­er Mas­ter­plan nicht eher auf einer brei­ten Dis­kus­si­on in der Gesell­schaft beru­hen und auch grund­le­gen­de Zukunfts­fra­gen adres­sie­ren, anstatt Maß­nah­men durch die Exe­ku­ti­ve zu ver­ord­nen? Muss er nicht alle Aspek­te und Zie­le einer Gesell­schaft ein­be­zie­hen und ein brei­tes Lösungs­porte­feuille bieten?

Ausstiege ohne vollständig vorbereiteten Fallschirm

Deutsch­land hat das Ziel bis 2038 – man­che Dis­kus­sio­nen for­dern gar 2030 — auf alle bis­he­ri­gen For­men der Ener­gie­ge­win­nung – Fos­si­le Quel­len und Kern­ener­gie – gleich­zei­tig zu ver­zich­ten. Wir engen das Porte­feuille zusätz­lich ein, da Deutsch­land auch auf die Nut­zung fos­si­ler Quel­len in Ver­bin­dung mit CO2-Abschei­dung und Spei­che­rung (eng­lisch: CCS — Car­bon Cap­tu­re and Sto­rage) als auch auf das Gas-Frack­ing im eige­nen Land trotz vor­han­de­ner Res­sour­cen ver­zich­tet. Schluss­end­lich soll auf die Nut­zung fos­si­len Gases zur Ener­gie­ge­win­nung bis 2035 kom­plett aus­ge­stie­gen werden.

Als ein­zi­ge Ener­gie­quel­len sol­len Wind und Son­ne mit gerin­ger Ergän­zung durch Was­ser, Geo­ther­mie und Bio­mas­se ver­blei­ben. Da die­se Haupt­en­er­gie­quel­len nicht gesi­chert zur Ver­fü­gung ste­hen, wer­den Spei­cher­tech­no­lo­gien zum Aus­gleich der Schwan­kun­gen benö­tigt. Dafür sol­len vor­ran­gig Bat­te­rien, Wär­me­spei­cher und als Alter­na­ti­ve zum fos­si­len Erd­gas Was­ser­stoff dienen.

Mit den aktu­el­len Aus­stiegs­sze­na­ri­en sowie der geplan­ten Aus­bau­ge­schwin­dig­keit zur Nut­zung von Wind und Son­ne wer­den ins­be­son­de­re Bat­te­rien und Was­ser­stoff umfas­send schon 2030 benötigt.

Exper­ten, wie bei­spiels­wei­se Pro­fes­sor And­re D. Thess, der in Stutt­gart an zukünf­ti­gen Spei­cher­tech­no­lo­gien forscht, schät­zen aber, dass die Spei­cher­for­schung, ‑ent­wick­lung sowie der wirt­schaft­li­che Ein­satz von Was­ser­stoff mit welt­weit aus­rei­chen­dem Ange­bot noch eini­ge Jahr­zehn­te benö­tigt. Was schlie­ßen wir dar­aus eine Ener­gie­lü­cke ab 2030 oder wei­ter exor­bi­tant stei­gen­de Preise?

Pro­fes­sor Thess for­mu­liert es in einem Inter­view mit „Tichys Ein­blick“ so: „Wir sind heu­te noch nicht in der Situa­ti­on, dass die Kom­bi­na­ti­on von Wind, Son­ne und Spei­chern preis­güns­ti­ger ist als fos­si­le Ener­gien. Da muss man rea­lis­tisch sein…. Wenn sie also ein Flug­zeug mit zwei Trieb­wer­ken haben, wür­den sie dann wäh­rend des Flu­ges ein­fach ein Treib­werk her­un­ter­fah­ren, um zu schau­en, ob das Flug­zeug noch fliegt.“ [TE, 14.04.2023]

Die Mutter aller Ausstiege – Abschaltung der letzten Kernkraftwerke

Als Kern­phy­si­ker fra­ge ich mich des­halb aktu­ell auch, war­um der Aus­stieg aus der Kern­ener­gie die höchs­te Prio­ri­tät besitzt. Aktu­ell scheint es egal, dass damit der Betrieb der Koh­le­kraft­wer­ke sogar wie­der ver­stärkt wird. Der Aus­stieg aus der Kern­ener­gie lässt sich durch eine Gesell­schaft ent­schei­den. Aber ich den­ke, dass Kli­ma­schutz und der gleich­zei­ti­ge Ver­zicht auf eine kli­ma­neu­tra­le Form der Ener­gie­ge­win­nung glo­bal unmög­lich sind. Ist die Dis­kus­si­on um Kern­ener­gie in Deutsch­land ehr­lich, wenn unse­re Nach­bar­län­der neue Kern­kraft­wer­ke bau­en und uns spä­ter wahr­schein­lich mit Strom aus Kern­ener­gie belie­fern? Der Wirt­schafts­mi­nis­ter spricht sogar davon, dass die Kern­kraft­wer­ke in der Ukrai­ne „in Ord­nung sind, da die Din­ger ja gebaut und sicher sind“.

Ich bin über­zeugt davon, dass die Gestal­tung eines erfolg­rei­chen gesell­schaft­li­chen Wan­dels in Frei­heit und Demo­kra­tie mit nach­hal­ti­gem Wachs­tum nur mit Tech­no­lo­gie­of­fen­heit und einer brei­ten Palet­te an Mög­lich­kei­ten gelin­gen kann.

Des­halb soll an die­ser Stel­le noch­mals Pro­fes­sor And­re D. Thess zu Wort kom­men: „Seit dem Jahr 2002 nach einer in Ber­lin vom Umwelt­mi­nis­ter ver­an­stal­te­ten Kon­fe­renz unter dem Titel „Ener­gie­wen­de — Kli­ma­schutz – Atom­aus­stieg“ lei­det die öffent­li­che Denk­wei­se in Deutsch­land unter dem Denk­feh­ler, dass Kli­ma­schutz und Atom­aus­stieg in irgend­ei­ner Wei­se zusam­men­hän­gen. Wenn sie Kli­ma­schutz machen wol­len, müs­sen sie alle ver­füg­ba­ren Instru­men­te Wind – Son­ne – Was­ser — Kern­ener­gie — Geo­ther­mie – Fos­si­le Ener­gie­trä­ger mit Koh­len­di­oxid­ab­schei­dung als Porte­feuille in Betracht zie­hen. Man kann für den Atom­aus­stieg ein­tre­ten, dies hat dann aber nichts mehr mit Kli­ma­schutz zu tun.“ [TE, 14.04.2023]

Überkomplexe Themen erfordern die Abgabe von Kontrolle

Der Umbau der Ener­gie­ver­sor­gung eines gan­zen Lan­des ist eine äußerst kom­ple­xe Auf­ga­be, die die Her­aus­for­de­run­gen der Ver­ei­ni­gung von Ost- und West­deutsch­land über­trifft. Die Erfah­run­gen im frü­he­ren Ost­deutsch­land haben gezeigt, dass eine zen­tra­le Pla­nung an über­kom­ple­xen Auf­ga­ben schei­tert. Inso­fern soll­ten wir uns eine aus­rei­chen­de Brei­te an Mög­lich­kei­ten, Tech­no­lo­gie­of­fen­heit, markt­wirt­schaft­li­che Lösun­gen für ein nach­hal­ti­ges Wachs­tum sowie Bür­ger­nä­he und Dezen­tra­li­tät beim Umbau des Ener­gie­sys­tems erhalten.

Damit stel­len sich mit einem neu­en Mas­ter­plan grund­le­gen­de Zukunfts­fra­gen zum Ener­gie­sys­tem im gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Kon­text? 

https://energieorganismus.de/notwendigkeit-eines-neuen-masterplans  

Die­se Ener­gie­zu­kunft muss Abhän­gig­kei­ten abbau­en, um Ener­gie­frei­heit im eige­nen Haus, im Unter­neh­men, in Dorf und Stadt sowie im Land zu errei­chen. Es gilt Auto­no­mie auf ver­schie­de­nen Ebe­nen der Arbeit- und Lebens­wel­ten zu schaf­fen. Gleich­zei­tig gilt es, den Ener­gie­mix auf allen Gestal­tungs­ebe­nen neu zu bestim­men und die zuge­hö­ri­gen Ener­gie­quel­len zu diversifizieren.

Oder, lie­be Leser, wie sehen sie / ihr das?

Nach fünf­zehn Jah­ren der Über­zeu­gung die rich­ti­gen Wege zu ken­nen, emp­fin­de ich nun teil­wei­se ein Gefühl der Rat­lo­sig­keit. Wir müs­sen drin­gend reden und offen sein, für die unter­schied­lichs­ten Sich­ten auf das Ener­gie­sys­tem der Zukunft, um den größ­ten gemein­sa­men Nen­ner, statt den kleins­ten gemein­sa­men Nen­ner zu fin­den. 

Ich wür­de mich über eine offe­ne, fai­re und part­ner­schaft­li­che Dis­kus­si­on freuen.

Kom­men­ta­re kön­nen gern gege­ben wer­den über

  • eMail: andreas@energieorganismus.de
  • Kom­men­tar­for­mu­lar unter am Ende die­ses Artikels
  • Lin­ke­dIn-Bei­trag: Zukunfts­fra­gen 

Quellen

[TE, 14.04.2023] Tichys Ein­blick —  Inter­view (14.04.2023). Wird Strom noch teu­rer? Inter­view mit Prof. And­re D. Thess: Der Atom­aus­stieg kommt — Atom­kraft-Ende. https://youtu.be/zVy1gwhXkF8 

 

Zukunfts­fra­gen: Lei­men / Hei­del­berg — 19. April 2023

Andre­as Kieß­ling, ener­gy design

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